Blick auf eine Plantage mit jungen Nadelbäumen
Das CO2, das neu gepflanzte Baumplantagen binden, soll in Form von Emissionsrechten gehandelt werden, damit Unternehmen und Staaten ihre Klimaziele schaffen. (Foto: Lukas Goumbik/​Pixabay)

Auf dem Klimagipfel in Glasgow häufen sich nur so die Verpflichtungen, mit denen Staaten und Unternehmen auf eine Netto-Null bei den Treibhausgas-Emissionen zusteuern wollen. "Das ist hier gerade die ganz große Story, dass die COP 26 der Netto-Null-Gipfel sein wird, der der Menschheit das 1,5-Grad-Ziel beschert", sagt Teresa Anderson von der Entwicklungsorganisation Action Aid.

Allerdings erfahre man von den Staaten und Firmen nicht besonders viel über Details und wie sie ihre Ziele denn erreichen wollen, kritisiert die Klimaexpertin.

Vor allem aber müsse man verstehen, dass "netto null" eben nicht "null" bedeute, also dass dann keine menschenverursachten Treibhausgase mehr die Atmosphäre aufheizen, erklärt Anderson in einer Debattenrunde von Klima- und Umweltaktiven am heutigen Montag.

Der Grund: Die jetzigen Netto-Null-Ziele beruhen zumeist darauf, dass sowohl Länder als auch Unternehmen künftig sogenannte Offset-Rechte nutzen wollen. Das sind Emissionsrechte, die gewissermaßen künstlich geschaffen werden, derzeit vor allem durch Aufforstungsprojekte. Die dort wachsende Biomasse bindet CO2, wofür dann Emissionsrechte verkauft werden können, was den Erwerbern dazu dient, ihre CO2-Pflichten zu erfüllen.

Im Pariser Klimavertrag soll das vor allem im Artikel 6 geregelt werden, über den in Glasgow hart verhandelt wird. Vorgesehen ist aber auch ein privatwirtschaftlicher Offset-Markt.

Mit diesem CO2-Handel planen die meisten Staaten und Unternehmen bereits jetzt, sagt Anderson. Für sie ist das eindeutiges "Greenwashing". Es regiere der Glaube, man brauche den Planeten nur ergrünen zu lassen und könne so das Klima retten.

Das Problem sei aber, dass zum Aufforsten riesige Ländereien benötigt werden. So wolle der Shell-Konzern für sein Ziel, im Jahr 2050 die Netto-Null zu erreichen, Offsets nutzen, zu deren "Erzeugung" Bäume auf der dreifachen Fläche der Niederlande nötig wären.

Und das sei nur ein Beispiel – um auf diese Weise das Netto-Null-Ziel zu verwirklichen, gebe es einfach nicht genug Land auf der Erde, betont Anderson. Betrachte man die Emissionen, könne "Offsetting" mit Bäumen höchstens die laufende Abholzung der Wälder ersetzen.

"Nur eine Transformation der ganzen Ökonomie hilft"

Scharfe Kritik gibt es bei der Veranstaltung auch an Australien. Das Land will sein Nullemissionsziel zu einem Fünftel mithilfe von Offsets erfüllen – und vertritt in Glasgow bei den entsprechenden Artikel-6-Verhandlungen den Standpunkt, dies sei vereinbar mit dem 1,5-Grad-Ziel.

Weitere Fachleute weisen darauf hin, dass der künftig entstehende riesige Offset-Markt nicht nur ein großes Loch in die globale CO2-Bilanz reiße, sondern wegen des Landbedarfs auch intakte Ökosysteme in "clean green zones" umwandle, diese also am Ende zerstöre.

Wachsende Bedeutung erlange dabei auch die Umwandlung von Biomasse in Biogas, in Methan vor allem. Das lieferten die Offset-Firmen dann an Autokonzerne als Antriebsenergie. Da kämen "zwei schmutzige Industrien zusammen", heißt es.

Um diese Entwicklung zu stoppen, setzen die Umweltschützer ihre Hoffnungen vermehrt in klimaschützende Rechtsprechung. So lobt Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan in der Debatte ausdrücklich das Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Das habe aus den Rechten künftiger Generationen die Pflicht zu schärferen CO2-Minderungen abgeleitet.

Auch in Frankreich gebe es inzwischen eine wachsende Zahl von Urteilen, die dem Staat und den Unternehmen schärfere Klimapflichten auferlegten, betont Morgan.

Sie lobt auch das jüngste niederländische Urteil, bei dem der Shell-Konzern für schuldig befunden wurde, das Klima zu zerstören. Erstmals sei ein Unternehmen für den Klimawandel verantwortlich gemacht und verpflichtet worden, seine Klima-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent gegenüber dem Stand von 2019 zu reduzieren.

COP 26 in Glasgow

Nach 25 UN-Konferenzen gibt es noch immer keine Lösung für die Klimakrise, aber wenigstens das Pariser Klimaabkommen. Wie gut es funktioniert, wird sich beim 26. Gipfel in Glasgow zeigen. Ein Team von Klimareporter° ist vor Ort in Schottland und berichtet mehrmals täglich.

Solange der Shell-Konzern seine Verpflichtung künftig auch mit Offsets erfüllen kann, läuft ein solches Gerichtsurteil allerdings zum Teil ins Leere, wäre hinzuzufügen.

Um bei der realen Senkung der Treibhausgasemissionen rasch voranzukommen, ist für Teresa Anderson von Action Aid ein tiefgreifender Wandel unabdingbar – eine Transformation der Energiesysteme, des Wohnens, des Verkehrs sowie der ganzen Ökonomie.

Je mehr Menschen ein solcherart "radikales" Herangehen als normal empfänden, eine Radikalität gewissermaßen normalisiert wird, wie sie es ausdrückt, desto größer sei die Chance, die Klimakrise noch zu bewältigen. Eine andere Chance gebe es eigentlich auch nicht.

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