Einige junge Menschen an einem großen Segel, das noch am Segelbaum des Schiffs zusammengerollt ist.
Ohne fossile Energien über den Atlantik zum Klimagipfel in Belém. (Bild: Kathrin Henneberger)

Nichts erscheint mir faszinierender als fliegende Fische. Das erste Mal bekomme ich sie morgens im Sonnenaufgang zu sehen, während ich an Deck dusche – indem ich mir einen Eimer Seewasser über den Kopf gieße. 

Zuerst halte ich sie tatsächlich für einen Schwarm kleiner Vögel, halte irritiert inne, sehe genauer hin. Der Schwarm taucht wieder in die Wellen und wenige Meter später fliegen sie erneut durch die Luft: glitzernd silberne Pfeile mit blau-metallisch leuchtenden, gespannten Flügeln. 

In den folgenden Tagen scheint das Meer voll von ihnen zu sein. Immer wieder springen die Fische links und rechts von uns in die Höhe, segeln über die Wellen und klatschen mit einem spritzenden Geräusch zurück ins Wasser. 

Fische, die fliegen können – wenn die Natur so etwas schafft, können wir Menschen es dann nicht auch schaffen, aus den Fossilen auszusteigen? 

Wir sind mit unserem Segelschiff vor der Küste Mauretaniens, weiter im Süden liegt Senegal. Offshore zwischen diesen beiden Ländern wurden erst im vergangenen Jahr neue Gasvorkommen erschlossen. Die britische Firma BP bohrt vor der Küste in mehr als 2.800 Metern Tiefe, fördert Gas und verschifft es als Flüssigerdgas (LNG) in alle Welt. 

Küstenfischer, die ohnehin schon von internationaler Überfischung existenziell betroffen sind, protestieren gegen die neue fossile Infrastruktur. Die für Bohrplattformen gesperrten Meeresgebiete dürfen sie nicht mehr nutzen, während sich der Fisch unter den Plattformen sammelt – so wie bei uns an einem Tag eine ganze Gruppe Thunfische im Schatten unseres Segelbootes spielt. 

Shell – ein Konzern, der Tod und Zerstörung bringt

Rückblende. Im August 2023 bis ich als Bundestagsabgeordnete im Senegal. "Shell ist interessiert, vor unserer Küste neue Ölfelder zu erschließen." Dieser Satz des mauretanischen Wirtschaftsministers lässt mich erschauern. Für einen Moment entgleitet mir mein freundlich-diplomatisches Pokerface. 

Svenja Schulze, damals Entwicklungsministerin, hat drei Abgeordnete auf ihre Dienstreise in die Sahelregion mitgenommen. So saß ich in schicker Kleidung in einem klimatisierten Raum mit blitzendem Marmor mitten im ersten Meeting, gerade aus dem Bereitschaftsflugzeug der Bundeswehr gestiegen. 

Als der Minister seine Bemerkung über die Shell-Pläne macht, wirft mir Svenja rasch einen Blick zu – eine stille Bitte, liebe Kathrin, jetzt keine Grundsatzdiskussion. 

Die Information ist neu für mich – und, wie sich später herausstellt, auch für viele meiner Verbündeten. Ich mache mir Notizen und plane im Kopf schon die nächsten Gespräche mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich mit dem fossilen Extraktivismus europäischer Konzerne in afrikanischen Ländern beschäftigen.  

Bild: privat

Kathrin Henneberger

ist Klimaaktivistin und ehemalige Bundes­tags­abgeordnete der Grünen und engagiert sich seit vielen Jahren in der Klima­gerechtigkeits­bewegung. Als Teil der "Flotilla 4 Change" schreibt sie für Klima­reporter° eine Gast­beitrags-Serie auf dem Weg zur Klima­konferenz COP 30 in Brasilien sowie vom Gipfel selbst. 

Die Gewässer Mauretaniens gehören zu den biodiversitätsreichsten Fischregionen der Welt, da hier verschiedene Meeresströmungen aufeinandertreffen. Menschen an der Küste leben vom Fischfang, meist mit kleinen Holzbooten. 

Wir besuchen gemeinsam mit Mitarbeiter:innen von GIZ und KfW den lokalen Markt am Strand. Es ist trubelig: Boote werden an Land gezogen, Fische verkauft. Ich staune über die Vielfalt: Thunfische, Seebarsche, Doraden, Makrelen, Adlerfische. Frauenkollektive leiten den Verkauf, während die Männer auf See fahren. 

Doch ein Großteil des Fangs wird in Fabriken zu Fischmehl verarbeitet und exportiert, etwa für Lachsfarmen in Norwegen, während viele Menschen in Mauretanien selbst unter Ernährungsunsicherheit leiden. 

Wir werden von Presse und Regierungsmitgliedern umschwärmt. Ich halte mich etwas zurück und versuche, in bilateralen Gesprächen mehr über die Situation vor Ort zu erfahren. Man erzählt mir von einem Naturschutzgebiet im Norden, von geschützten Arten, die nicht gefangen werden dürfen, und von Schonzeiten, deren Einhaltung schwer zu kontrollieren ist. 

Die Menschen hier sind direkt von ihrem Fischfang abhängig. Internationale Überfischung durch große Industrietrawler bedroht ihre Lebensgrundlage – ebenso wie die Klimakrise, die die Meeresströmungen verändert und die Ozeane versauern lässt. 

Und dann ist da noch Shell: der britisch-niederländische Konzern, dessen Ölproduktion in Nigeria für massive Umweltzerstörung berüchtigt ist. Nun will er vor der Küste Mauretaniens nach Öl bohren. Was wird passieren, wenn wieder Unfälle geschehen, wenn Öl austritt, wenn ganze Küstenregionen verseucht werden? 

Solarstrom für Wohlstand, Sicherheit und Geschlechtergerechtigkeit

Die gelebte Alternative treffen wir wenig später in einer Berufsschule, die mit Mitteln der deutschen Entwicklungszusammenarbeit unterstützt wird. Eine Start-up-Gründerin stellt ihre Solarmodule vor. Sie sollen kaum elektrifizierte Dörfer mit Strom versorgen und in Städten mehr Energieunabhängigkeit schaffen. 

In der Sahelregion haben besonders ländliche Gebiete kaum Zugang zu Elektrizität. Gleichzeitig eskaliert die Klimakrise, zwingt Menschen, ihre Dörfer zu verlassen, verschärft Landnutzungskonflikte zwischen Viehhalter:innen und Landwirt:innen und erhöht die Gewalt gegen Frauen und Mädchen. 

Der Aufbau einer dezentralen, erneuerbaren Energieversorgung ist hier der Schlüssel zu Sicherheit, Wohlstand, Resilienz – und Geschlechtergerechtigkeit. 

Zugang zu Strom bedeutet Zugang zu Bildung, zu Gesundheitsversorgung, zu Infrastruktur. Er eröffnet Frauen Möglichkeiten, eigenes Einkommen zu erzielen, Betriebe zu gründen und sich politisch zu engagieren. 

Liegt die Energieversorgung von Anfang an in der Hand der Menschen vor Ort, etwa durch grüne Energiegenossenschaften, entstehen lokale Arbeitsplätze und Unabhängigkeit. 

Mit dem Aufbau von Ausbildungsstrukturen und globaler Wissenskooperation – gemeinsamer Forschung und Entwicklung, angepasst an lokale Bedingungen – wird viel getan für eine klimagerechte Weltgemeinschaft. Geschlechtergerechte Ansätze, die weibliches Wissen einbeziehen und Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen schaffen, sind zentral: Sie ermöglichen eine gute Infrastruktur für alle und Unabhängigkeit für Frauen. 

Diese Form internationaler Zusammenarbeit steht im krassen Gegensatz zur fossilen Expansion globaler Konzerne, die Umwelt zerstören, Menschen vertreiben und Wohlstand nur für wenige schaffen. 

Zivilgesellschaftliche Gruppen wie Don't Gas Africa fordern mehr Investitionen in eine gerechte Transformation. Aktivist:innen aus verschiedenen Ländern schließen sich zusammen, um gegen neue fossile Projekte zu kämpfen und Alternativen einzufordern. 

Sie versuchen auch auf den Weltklimakonferenzen Druck auf die Verhandlungen auszuüben – gegen die geballte Macht der fossilen Lobby und die fortgesetzte koloniale Ausbeutung ihrer Regionen. 

Während ich auf Dienstreisen in Nigeria, Burkina Faso, Benin oder im Kongo war, habe ich versucht, so viele dieser Gruppen wie möglich zu treffen. Ihre Perspektiven sind mir wichtiger als die der fossilen Lobbyisten in Berlin – oder auf einer Klimakonferenz. 

Sheet out – lasst die Segel mehr Wind fangen

Jetzt bin ich wieder unterwegs – aber diesmal nicht im Flugzeug der Flugbereitschaft, nicht in gepanzerten Autos, nicht beschattet von BKA-Personenschutz. Nicht in schicker Kleidung. 

Tag für Tag werden die Flecken auf meiner Arbeitskleidung mehr, meine Hände zeigen die Spuren der Seile, meine Haare sind zerzaust von Wind und Salzwasser, meine Haut so braun gebrannt, als hätte ich nie ein Büro von innen gesehen. 

Ich segle in der "Flotilla​4 Change" entlang der westafrikanischen Küste – in der Hoffnung, viele Menschen der Zivilgesellschaft und Verbündete in Regierungen und Parlamenten bei der kommenden Weltklimakonferenz in Brasilien wiederzutreffen. 

Die Flaute, die uns tagelang festgesetzt hatte, ist vorbei. Der Mond geht neu auf – eine schmale Sichel am Horizont. Ich stehe am Steuer und habe das Gefühl, über dem Wasser zu schweben, wenn die Wellen uns anheben und der Wind in unsere Segel bläst. In einiger Entfernung springt ein Wal aus dem Wasser, jagt und bleibt desinteressiert zurück. 

Wir wechseln die Ausrichtung der Segel. "Sheet in!" bedeutet, das seitlich ausgerichtete Segel wieder in die Mitte zu ziehen. Je nach Wind braucht es dafür die Kraft mehrerer Menschen – und die Fähigkeit, sich schnell zu ducken, wenn der Baum sich unkontrolliert bewegt. 

"Sheet out!" ist der Ruf, wenn das Segel wieder zur anderen Seite über das Wasser geschwenkt wird. Oft müssen sich mehrere mit ihrem ganzen Körpergewicht ins Seil hängen, um es Stück für Stück zu bewegen. 

"Two!" – wir ziehen seitwärts, um das Seil zu lockern. "Six!" – mit aller Kraft ziehen wir es nach unten. "Make fast!" – wir halten das Seil stabil, bis es gesichert ist. 

 

Kurzes Luftholen – und weiter zur nächsten Aufgabe. Keine Zeit zu verlieren: Wir haben noch Verspätung und müssen jeden Windstoß nutzen. 

So erreichen wir Sal – eine Insel der Kapverden. Hier wird Fracht entladen: Salz, das ironischerweise aus Deutschland stammt, obwohl es auf der Insel selbst gewonnen wird. Eine Absurdität globaler Wirtschaft. 

Wir Klimaaktivist:innen auf dem Schiff machen uns bereit für die letzte Etappe. Kurs Südwest – über den Atlantik, auf gerader Linie zur nächsten Weltklimakonferenz.