Statue der Justitia mit Waage und verbundenen Augen.
Vor dem Gesetz sind alle gleich und es zählen die Fakten – für dieses Prinzip stehen die Waage und die verbundenen Augen der Justitia. (Foto: Edward Lich/​AJEL/​Pixabay)

Klimareporter°: Herr Ott, Sie sind ein langjähriger Beobachter der UN-Klimagipfel. Es gibt sie seit Rio 1992, seit fast drei Jahrzehnten. Wie ist Ihre Bilanz?

Hermann Ott: Negativ. In den 90er Jahren hätte die Wende geschafft werden können, selbst in den Nullerjahren gab es mit dem Kyoto-Protokoll für die Industrieländer eine Chance – die dann an den USA gescheitert ist, weil sie nicht mitgemacht haben.

Aber das Kyoto-Protokoll war doch erfolgreich darin, Emissionen zu senken, sogar mehr, als gefordert war.

Schon. Die Methode, mit rechtlich verbindlichen Obergrenzen zu arbeiten, hat überwiegend funktioniert. Das hätte beim Kopenhagen-Gipfel 2009 ausgebaut werden müssen, mit einer Verschärfung der Pflichten und der Erweiterung der Verpflichteten auf Schwellenländer. Das ist – wie bekannt – krachend gescheitert. Damit war das Modell tot und konnte nicht weiterentwickelt werden.

Aber immerhin gibt es das Pariser Klimaabkommen.

Mit dem Paris-Abkommen von 2015 wurden dann die Vorstellungen der USA übernommen: Die Staaten schlagen ihren Beitrag vor, und dann wird überprüft, ob sie sich daran gehalten haben. Aber das funktioniert nicht: Die gemeldeten Beiträge sind viel zu niedrig, um das Ziel zu erreichen, unter zwei Grad globaler Erwärmung zu bleiben oder idealerweise sogar unter 1,5 Grad.

Was erwarten Sie denn nun vom Klimagipfel in Glasgow, der am Montag beginnt? Wie nahe kann man da an den 1,5-Grad-Pfad kommen?

Ich erwarte sehr wenig. Wenn wir Glück haben, kommt es zu einer Finanzierungszusage an die Entwicklungsländer für die Zukunft, wie sie von Deutschland und Kanada erarbeitet worden ist. Aber die angepeilte Summe von 100 Milliarden US-Dollar darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies vor allem Darlehen sind, die von den ärmsten Staaten zurückgezahlt werden müssen.

Hat es nicht mehr Sinn, den globalen Klimaschutz in kleinere Gruppen zu verlagern, die sich leichter einigen können? Die Industrie- und Schwellenländer, die in der G20 sind, zum Beispiel. Die sind zusammen für rund 80 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich.

Die Vorschläge für "Klimaklubs" sind nicht neu – und es muss jeweils genau hingeschaut werden, was damit gemeint ist. Die teilweise, auch von dem designierten Kanzler Scholz, vertretene These, dass ein Klub der Reichen das Problem besser angehen könnte, ist eine Nullnummer.

Solche Klubs haben wir schon, mit den G7, G20 oder der OECD. Hier hätte in den letzten 30 Jahren schon eine Menge kommen können – ist es aber nicht. Deshalb erwarte ich das auch nicht, wenn diese Staaten einen weiteren Klub gründen.

Gibt es Alternativen? Die Zeit läuft im internationalen Klimaschutz ja förmlich davon.

Porträtaufnahme von Hermann Ott.
Foto: privat

Hermann Ott

leitet das Deutschland-Büro der Umwelt­rechts­organisation Client Earth in Berlin und lehrt an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Der promovierte Jurist forschte zuvor am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, war Bundes­tags­abgeordneter der Grünen und Mitglied der Enquete-Kommission zum Thema Wachstum.

Ich bin seit Kopenhagen der festen Überzeugung, dass es eine Allianz der Vorreiterstaaten braucht, also eine Klimapolitik der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Dazu müsste ein paralleles Vertragsregime entstehen, weil innerhalb der bestehenden Verträge nur im Konsens gehandelt werden kann.

Das muss man sich mal vorstellen: Jede Maßnahme muss von allen über 190 Staaten mitgetragen werden. Und da sind auch die Dealer dabei, also die Staaten, die an der Förderung fossiler Brennstoffe verdienen. Das kann nicht funktionieren.

Deshalb braucht es einen neuen Vertrag, in dem Mehrheitsentscheidungen möglich sind. Wie fantastisch das funktioniert, hat das Montreal-Protokoll zum Schutz der Ozonschicht gezeigt: Hier wurde von der Weltgemeinschaft eine tödliche Bedrohung von Mensch und Natur abgewendet. Es geht also.

In jüngster Zeit habe in mehreren Ländern Gerichte der Politik auf die Sprünge geholfen, 2019 in den Niederlanden zum Beispiel, zuletzt das deutsche Bundesverfassungsgericht mit seinem spektakulären Klima-Urteil vom Frühjahr. Ist das die richtige Strategie?

Ich arbeite nicht ohne Grund seit 2018 für Client Earth, einer internationalen Umweltrechtsorganisation. Nämlich aus der Erkenntnis heraus, dass die Diplomatie und staatliches Handeln zu langsam sind. Das Recht ist das schärfste Schwert, das wir haben. Unter anderem deshalb, weil es nicht ökonomisch tickt.

Schauen Sie sich den Karlsruher Beschluss an: Da steht klar und deutlich, dass eine Rechtspflicht zu befolgen ist, egal, ob der eigene Beitrag klein oder groß ist. Das ist klarer juristischer Verstand, eine Wohltat.

Warum braucht es Gerichte, um den von den Politikern doch eigentlich akzeptierten Klimaschutz durchzusetzen?

Grund eins siehe oben: Die juristische Argumentation folgt nicht der ökonomischen Logik. Zweitens sind politische Akteure vielfältig abhängig von starken ökonomischen Interessen.

Drittens fürchten alle, mit unpopulären Forderungen – Stichwort Verzicht – bei Wahlen keine Chance zu haben. Und damit haben sie wahrscheinlich sogar recht ...

Ist das nicht ein Armutszeugnis für die Politik?

Ja, zumindest so, wie sie bei uns verfasst ist. Aber ich will den Ball gleich weiterspielen: Es ist auch ein Armutszeugnis für die Bürgerinnen und Bürger. Denn die bestimmen, was politisch geht und was nicht.

Es ist zu befürchten, dass die in Deutschland sich abzeichnende Ampel-Koalition Maßnahmen beschließt, die dem von Karlsruhe geforderten 1,5-Grad-Pfad nicht entsprechen. Was dann?

Dann wird Karlsruhe noch einmal bemüht werden müssen und die Chance haben, seinen Beschluss vom April zu verbessern und auszubauen.

In welchen Ländern sind solche Klagen noch aussichtsreich?

COP 26 in Glasgow

Nach 25 UN-Konferenzen gibt es noch immer keine Lösung für die Klimakrise, aber wenigstens das Pariser Klimaabkommen. Wie gut es funktioniert, wird sich beim 26. Gipfel in Glasgow zeigen. Ein Team von Klimareporter° ist vor Ort in Schottland und berichtet mehrmals täglich.

In allen demokratischen Staaten. Und sie werden kommen. Was noch fehlt, sind Klagen vor internationalen Gerichten. Wir arbeiten daran.

Schlagzeilen hat auch der Prozess gemacht, in dem der Ölkonzern Shell im Mai in den Niederlanden zu schnellerer CO2-Reduktion verurteilt wurde. Ein Muster für weitere Verfahren?

Ja. Da ist noch einiges zu erwarten.

Letzte Frage: Haben Sie noch Hoffnung, dass die Welt auf einen 1,5-bis-zwei-Grad-Pfad kommt, den das Paris-Abkommen fordert?

Das wird extrem schwierig. Aber wir haben mit Fridays for Future gesehen, wie schnell die Stimmung umschlagen kann. Und auch Teile der Industrie klingen inzwischen schon genauso. Wir können auch hoffen, dass die Erdsysteme mehr verkraften, als es jetzt scheint, und wir also etwas mehr Zeit haben.

Wissen Sie, ich bin ein unverbesserlicher Optimist. Denn nur das gibt die Kraft zu kämpfen.

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