Mikropastik am Strand von Teneriffa.
"Fußabdrücke" der Zivilisation: Kleinste Plastikreste an einem Strand der Kanaren-Insel Teneriffa. (Foto: Heiko Lange)

Es ist eine Mammutaufgabe der Umweltpolitik. Doch die Weltgemeinschaft will sie nun anpacken. Vertreter von 175 Nationen haben sich darauf geeinigt, die Verhandlungen über ein globales Abkommen zur Bekämpfung der Plastikverschmutzung aufzunehmen, die in den letzten 50 Jahren stark angewachsen ist.

Ziel ist eine völkerrechtlich verbindliche Vereinbarung, vergleichbar mit dem Pariser Weltklimaabkommen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke sprach von einem "historischen Ergebnis".

Die Entscheidung fiel auf der UN-Umweltversammlung Unea in Nairobi. Die Regierungsdelegationen stimmten dort für die Einsetzung eines zwischenstaatlichen Verhandlungskomitees, das das internationale Abkommen aushandeln soll. In Kraft treten soll der Vertrag spätestens Ende 2024. Die Verhandlungen sollen in der zweiten Jahreshälfte 2022 beginnen. Sie stehen allen UN-Mitgliedsstaaten offen.

Weltweit werden jährlich mehr als 450 Millionen Tonnen Kunststoffe produziert. Davon werden nur rund zehn Prozent wiederverwertet, gut ein Fünftel wird unkontrolliert in der Umwelt entsorgt oder landet auf wilden Müllhalden. Jedes Jahr gelangen schätzungsweise elf Millionen Tonnen davon in die Ozeane, so ein aktueller Bericht des UN-Umweltprogramms Unep.

Die Kunststoffe haben gigantische Müllstrudel in den Meeren gebildet, sie verschmutzen die Strände, belasten Meerestiere und das Klima. Außerdem entsteht Mikroplastik, das in der Luft, im Boden, in den Meeren und in der Nahrungskette nachgewiesen wurde.

Die Produktion von Kunststoffen hat in den letzten Jahrzehnten schneller zugenommen als die anderer Materialien und es wird erwartet, dass sie sich ohne Gegenmaßnahmen binnen zwei Jahrzehnten weltweit verdoppeln wird.

Vertrag soll kompletten Lebenszyklus abdecken

Der Verhandlungsauftrag, der von 175 Nationen angenommen wurde, enthält noch keine Festlegungen zu den zu treffenden Maßnahmen, sondern überlässt die Einzelheiten den Gesprächen. Dabei soll aber der vollständige Lebenszyklus von Plastik – "von der Quelle bis zum Meer" – behandelt werden, also Herstellung, Gebrauch und Wiederverwertung oder Entsorgung im Müll.

Es könnte erstmals Obergrenzen für die Produktion neuer Kunststoffe aus fossilen Rohstoffen, vor allem Erdöl und Erdgas, und Vorschriften zur Eindämmung von Einwegartikeln geben. Andere Vorschriften könnten die Industrie verpflichten, ihre Produkte so zu gestalten, dass sie "kreislauffähig" werden, also leichter recycelt oder wiederverwendet werden können. Zum Verhandlungsmandat gehören auch die Einführung von Kontrollmaßnahmen sowie Hilfen für ärmere Länder.

Der Unea-Vorsitzende, der norwegische Umweltminister Espen Barth Eide, erklärte die Resolution per Schlag mit einem Hammer – übrigens aus Recyclingplastik hergestellt – für angenommen. Daraufhin brachen die Delegierten in Jubel und Beifall aus. Eide sprach von einem Tag, der in die Geschichtsbücher eingehen werde. Es gebe einen klaren Zusammenhang zwischen der Klima- und der Umweltkrise, hob er hervor.

Umweltschützer, aber auch Industrievertreter lobten die Entscheidung. WWF-Vorstand Christoph Heinrich sagte, es sei "ein Meilenstein für den Schutz der Umwelt", dass sich die UN-Mitgliedsstaaten zu einem so klaren Verhandlungsauftrag entschieden hätten. "Das kann den Anfang vom Ende der Plastikflut bedeuten."

Greenpeace-Vertreter Graham Forbes lobte, dass der gesamte Lebenszyklus von Plastik von der Gewinnung fossiler Rohstoffe bis zur Entsorgung in den Blick genommen werden soll.

US-Hersteller wollten Beschränkung auf Abfallbeseitigung

Die Unea-Resolution stelle "einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer abfallfreien Zukunft dar, die für das Erreichen unserer gemeinsamen Klimaziele von entscheidender Bedeutung ist", kommentierte der Präsident des Industrieverbandes Plastics Europe, Markus Steilemann. Die Kunststoffhersteller würden ihren Teil dazu beitragen, das Recycling zu fördern und neue Lösungen zu finden.

Beim britischen Konsumgüterhersteller Unilever hieß es zu dem Nairobi-Beschluss: "Dies ist eine bahnbrechende Entscheidung der UN-Mitgliedsstaaten."

Die US-Industriegruppe American Chemistry Council (ACC) hingegen hatte im Vorfeld gegen einen weitgehenden Beschluss lobbyiert. Man solle sich auf Plastikabfälle in den Ozeanen konzentrieren und den Schwerpunkt auf die Abfallwirtschaft legen, forderte sie. Dem ACC gehören 190 Mitglieder an, darunter Exxon Mobil Chemical, Shell Chemical und Dow.

Eine Gruppe von Konzernen wiederum, die große Abnehmer von Kunststoffen sind, darunter Coca-Cola, Pepsi, Unilever und Nestlé, hatte ein Unea-Abkommen gefordert, das den gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen abdeckt und eine Verringerung der Produktion von Neukunststoffen zum Ziel hat.

Dass am Ende wirklich ein starkes Anti-Plastikmüll-Abkommen steht, ist freilich noch nicht ausgemacht. Die Chefin des UN-Umweltprogramms Unep, Inger Andersen, nannte die Festlegung von konkreten Minderungszielen, die Ausgestaltung der Rechenschaftspflicht und die Überwachung des Erfolgs als Knackpunkte.

"Wie immer, wenn wir einen Verhandlungsprozess beginnen, wird es eine Reihe heikler Fragen geben", sagte Andersen. Einige Länder fordern, nicht zu stark festgelegt zu werden und bei der Umsetzung frei zu sein.

Der Beitrag wurde am 10. März korrigiert. Es stimmten 175 Staaten zu, weil nicht alle der 193 Unep-Staaten anwesend waren. Fast alle deutschsprachigen Agenturen und Medien haben es anders gemeldet.

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