Bedrohtes Inselparadies Vanuatu
Bedrohtes Inselparadies: Vanuatu liegt im Südpazifik, gut 2000 Kilometer östlich von Australien. (Foto: Phillip Capper/​Flickr)

Immer mehr Länder schließen sich dem pazifischen Inselstaat Vanuatu an. Dieser will im Kampf für mehr Klimaschutz den Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen (IGH) in Den Haag einschalten. Anfang des Monats berichtete die britische Zeitung The Guardian, dass auch Australien den Antrag Vanuatus unterstützt.

Bereits 80 Staaten – darunter auch Deutschland – stünden hinter dem Vorhaben, verkündete Vanuatus Außenminister Ralph Regenvanu im vergangenen November auf dem Weltklimagipfel in Ägypten. Auf der Website der Initiative ist sogar von "mehr als 105 Nationen" die Rede.

Um sein Anliegen vor den IGH zu bringen, braucht Vanuatu die Zustimmung der UN-Vollversammlung – zumindest eine einfache Mehrheit. Spätestens hierfür ist von Bedeutung, wie viele Staaten tatsächlich hinter der Resolution stehen.

Nicht nur Vanuatu, auch weitere kleine Inselstaaten wie Tuvalu oder Antigua und Barbuda kritisieren immer wieder lautstark, dass die bisherigen Klimaanstrengungen nicht ausreichen und Abkommen nicht eingehalten werden. "Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie das Wasser um uns herum steigt", mahnte Tuvalus Außenminister Simon Kofe vor der Weltklimakonferenz 2021 in Glasgow.

Dabei geht es nicht nur um den Anstieg des Meeresspiegels. Auch immer stärkere Wirbelstürme, zunehmende Trinkwasserknappheit und die Zerstörung mariner Ökosysteme als Folgen des Klimawandels erschweren das Leben der Inselgemeinschaften.

Sie alle gehören zu den sogenannten Small Island Developement States (SIDS), den Kleinen Inselentwicklungsländern. Wenig überraschend wurde der Welt-Risiko-Index bis 2021 von dieser Ländergruppe angeführt, mit Vanuatu an der traurigen Spitze.

Im neuesten Welt-Risiko-Bericht von 2022 liegt Vanuatu nur noch auf Platz 49. Auch alle anderen Kleinen Inselstaaten rutschen nach unten. Grund dafür ist nicht, dass das Katastrophenrisiko für die Inseln gesunken ist, sondern dass die Bewertungskriterien verändert wurden.

Während früher allein der Anteil der gefährdeten Bevölkerung eines Landes ausschlaggebend war, hat das "Bündnis Entwicklung hilft" in seinem neuesten Bericht auch die absolute Bevölkerungszahl einbezogen. Damit müssen kleine Inselstaaten – Vanuatu hat rund 320.000 Einwohner:innen, Tuvalu gerade mal 11.000 – bevölkerungsreichen Ländern wie Indien oder den Philippinen weichen.

"No Harm"-Prinzip ist wichtiger Bestandteil des Völkerrechts

Die Initiative um Vanuatu möchte mit ihrem Gesuch an den Internationalen Gerichtshof nun endlich rechtliche Klarheit schaffen und damit auch den Klimaschutz beschleunigen.

Bei dem Antrag geht es im Kern um zwei Fragen.

Erstens: Welche Verpflichtung haben Länder, basierend auf internationalem Recht, das Klimasystem und damit das Wohlergehen gegenwärtiger und zukünftiger Generationen zu schützen?

Dazu existieren diverse internationale Abkommen, wie das Pariser Klimaabkommen und das Kyoto-Protokoll. Der IGH wird sich aber nicht nur auf diese Abkommen, sondern auch auf das allgemeine Völkerrecht beziehen, wie Prabhash Ranjan, Professor für internationales Handelsrecht an der Jindal Global Law School im indischen Sonipat, erläuterte.

Ein wichtiger Bestandteil des Völkerrechts ist das "No Harm"-Prinzip: Staaten sind verpflichtet, anderen Ländern durch ihr Handeln nicht zu schaden. Das könne der IGH nutzen, um "mehrdeutige Punkte im Paris-Abkommen zu klären", schreibt Ranjan in einem Gastkommentar in der Tageszeitung The Hindu.

Zweitens: Welche rechtlichen Konsequenzen zieht es nach sich, wenn Länder den No-Harm-Grundsatz nicht befolgen? Welchen Preis müssen Länder zahlen, die dem Klimasystem und damit den Inselstaaten – beziehungsweise gegenwärtigen und zukünftigen Generationen – erheblichen Schaden zugefügt haben?

Auf der jüngsten Weltklimakonferenz einigten sich zwar die Staaten auf die Einrichtung eines Fonds für Klimaschäden, bisher ist aber weitestgehend unklar, welche Länder dafür Geld zur Verfügung stellen und welche auf die Gelder zugreifen können. Auch in dieser Hinsicht könnte eine Antwort des IGH Klarheit schaffen.

Für rechtliche Verbindlichkeit wird allerdings auch der Internationale Gerichtshof nicht sorgen. Er kann zwar im Falle eines Rechtsstreits zwischen Staaten Urteile sprechen, in Fragen des internationalen Rechts ist er aber überwiegend beratend tätig.

Die Länderkoalition um Vanuatu ersucht den IGH also um ein Gutachten. Darin können die Richter:innen ihre Einschätzung zu den Rechtsfragen darlegen. Wenn auch nicht rechtlich bindend, so haben IGH-Gutachten dennoch großes "normatives Gewicht", schreibt Prabhash Ranjan.

Auch die nationale Rechtsprechung beruft sich nicht selten auf Gutachten des IGH.

Inselstaaten wenden sich an Seegerichtshof in Hamburg

Gleichzeitig hoffen die Inselstaaten noch auf die Stellungnahme eines weiteren Gerichts. Die Kommission der SIDS hat sich an den Internationalen Seegerichtshof mit Sitz in Hamburg gewendet.

Der Seegerichtshof soll bestimmen, welche Verpflichtungen aus dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen hervorgehen. Dabei geht es im Speziellen darum, zu welchen Maßnahmen zur "Verhütung, Verringerung und Überwachung der Verschmutzung der Meeresumwelt" die Vertragsstaaten verpflichtet sind, wie es in dem Antrag der Inselstaaten heißt.

Weiter heißt es wörtlich: "Welche besonderen Verpflichtungen haben die Vertragsstaaten ... zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt im Hinblick auf die Auswirkungen des Klimawandels, einschließlich der Erwärmung der Meere, des Anstiegs des Meeresspiegels und der Versauerung der Meere?"

Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen

Das 1982 beschlossene und 1994 in Kraft getretene internationale Abkommen regelt alle Nutzungsarten der Meere. 164 Staaten haben das Abkommen unterzeichnet, darunter beinahe alle großen Wirtschaftsmächte. Nicht Teil des Abkommens sind allerdings die USA.

Der Seegerichtshof teilte auf Nachfrage von Klimareporter° mit, dass bis zum 16. Juni Stellungnahmen der Vertragsstaaten und einiger Organisationen zu der Rechtsfrage eingehen können. Erst danach wird der Termin zur Verhandlung festgelegt. In vergleichbaren Fällen seien bis zum letztendlichen Gerichtsgutachten zwischen einem und zwei Jahren vergangen.

Eine Garantie für schnellen Klima- und Meeresschutz sind auch die Gerichte nicht. Aber einen Versuch ist es allemal wert. In den letzten Jahren entschied die internationale wie nationale Rechtsprechung immer wieder zugunsten des Klimaschutzes. Das hat zwar nicht immer unmittelbare Folgen, aber der Druck auf Politik und Unternehmen steigt.

Anzeige