Porträtaufnahme von Friederike Otto.
Friederike Otto. (Foto: David Fisher)

Immer wieder sonntags, diesmal ausnahmsweise am Montag: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Friederike Otto, Klimaforscherin am Grantham Institute for Climate Change and the Environment des Imperial College London.

Klimareporter°: Frau Otto, bereits eines der nächsten fünf Jahre könnte das 1,5-Grad-Limit reißen, warnt die UN-Wetterorganisation. Die einen lesen die Nachricht so, dass die 1,5-Grad-Grenze Geschichte ist. Andere beruhigen: Nach einem Jahr mit 1,5 Grad Plus könnten auch wieder Jahre mit 1,2 oder 1,3 Grad kommen. Wie nah sind wir den 1,5 Grad wirklich?

Friederike Otto: Wir sind der 1,5-Grad-Marke sehr nahe. Dabei ist es allerdings vollkommen egal, ob sie 2025 oder 2030 zum ersten Mal überschritten wird. Um dauerhaft die Temperatur um 1,5 Grad herum zu stabilisieren – und darum geht es –, haben wir noch unglaublich viel in kurzer Zeit zu tun.

Solange die am höchsten bewertete Firma der Welt Saudi Aramco ist, solange BP und Shell trotz ihrer derzeitigen Geschäftsmodelle Rekordgewinne einfahren, werden wir die globale Mitteltemperatur nicht stabilisieren – weder auf 1,5 noch auf 1,6 Grad oder irgendeiner anderen Temperatur. Mit netto-positiven Emissionen gibt es keine Temperaturstabilisierung.

Damit der Fleischkonsum sinkt, empfehlen einige eine Fleischsteuer, andere wollen lieber die Produktion regulieren oder setzen auf "Novel Food". Gerade wurde der neue Thinktank Agora Agrar gegründet. Warum rückt die Ernährung so in den Fokus, obwohl ihr Treibhausgasausstoß viel niedriger ist als der von Energie und Verkehr?

Den Klimawandel kann man nicht als rein physikalisches Problem betrachten und vor allem nicht lösen. Die heutige extrem zerstörerische Form der Landwirtschaft führt auch zu großen lokalen Schäden.

Diese Schäden und die Klimaschäden verstärken sich gegenseitig und haben uns in eine riesige Biodiversitätskrise gebracht.

Würde sich die Welt weitgehend vegan ernähren, wäre das eine absolute Win-win-Situation – für die Ökosysteme, für das Klima, aber auch für unser aller Gesundheit.

Wie auch beim Verkehr, geht es in politischen Entscheidungen zur Ernährung eigentlich nicht um die Menschen, sondern um Ideologie – oder das, was wir dafür halten. Das zu ändern, ist in allen Sektoren wichtig.

Letztendlich zählt auch, betrachtet man nur den Klimawandel, jedes Gramm an Emissionen.

Für neun Euro können wir in Deutschland bald drei Monate den öffentlichen Verkehr nutzen. Nun gibt es eine Debatte, ob die Leute so zu Dauernutzern von Bahnen und Bussen werden. Schwappen solche Diskussionen auch nach Großbritannien, wo Sie leben? Wie sieht man dort die Zukunft des öffentlichen Verkehrs?

Die Debatte ist hier nicht angekommen. Das liegt nicht daran, dass es keinen Bedarf gäbe, sondern an dem ziemlich armseligen, ideenlosen Zustand der Regierung – was am Ende alle Bereiche der Politik betrifft.

Dabei wäre es gerade in Großbritannien – wo allgemein Konsens herrscht, dass Klimaschutz wichtig ist, zugleich aber die extrem hohe Inflation die soziale Ungleichheit dramatisch verschärft – wirklich wichtig, den Nahverkehr besser zugänglich zu machen. Das wäre auch politisch durchsetzbar.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die Berichterstattung über die andauernde extreme Hitze in Südasien. Überrascht hat mich nicht die Tatsache, dass viel darüber berichtet wird, sondern dass immer noch Berichte mit lustig im Wasser planschenden Kindern illustriert sind.

An Hitze müsste niemand sterben, aber solange wir Hitze als den Killer, der sie ist, nicht ernst nehmen, werden jedes Jahr weiterhin Tausende sterben.

Fragen: Jörg Staude

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