
Die Weltgemeinschaft hat noch die Chance, die Erderwärmung langfristig auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, doch dazu müssten die Regierungen ihre Anstrengungen zur Treibhausgas-Einsparung rasant hochfahren. Das mahnt das UN-Umweltprogramm Unep in Nairobi an.
Werden nur die bisherigen CO2-Einsparpläne umgesetzt, droht in diesem Jahrhundert hingegen eine Aufheizung des Planeten um 2,6 bis 3,1 Grad. "Dies hätte lähmende Auswirkungen auf Menschen, Planet und Volkswirtschaften", heißt es im Emissions Gap Report 2024. Der Bericht trägt den Titel: "Keine heiße Luft mehr ... bitte!"
Laut dem Bericht müssen sich die Staaten der Welt in der nächsten Runde ihrer offiziellen nationalen CO2-Pläne, der sogenannten NDCs, gemeinsam dazu verpflichten, die jährlichen Treibhausgasemissionen bis 2030 um 42 Prozent und bis 2035 um 57 Prozent zu senken.
Zudem sei es wichtig, dies mit rasch wirkenden Maßnahmen zu untermauern. Andernfalls wird das 1,5-Grad-Limit des Pariser Klimaabkommens nach den Unep-Kalkulationen bereits innerhalb weniger Jahre dauerhaft überschritten.
Die Klimapläne der Staaten sind zu schwach
Der Unep-Emissionsbericht erscheint jährlich im Vorfeld der UN-Klimagipfel. Der diesjährige Gipfel COP 29 beginnt am 11. November in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, einem Land mit umfangreicher Erdöl- und Erdgas-Produktion.
Aktualisierte nationale Pläne sollen von den Regierungen Anfang nächsten Jahres im Vorfeld der Nachfolgekonferenz COP 30 in Brasilien eingereicht werden. Dann bleiben allerdings nur noch fünf Jahre, um ambitionierte CO2-Zwischenziele für 2030 zu erreichen.
Klimaschutz rechnet sich für alle
Der Unep-Report beschreibt auch die Folgen verzögerter Klimaschutz-Maßnahmen. Die für das 1,5-Grad- oder das Zwei-Grad-Ziel erforderlichen CO2-Minderungen beziehen sich auf den globalen CO2-Ausstoß von 2019, die Emissionen sind seither allerdings weiter gestiegen, auf den Rekordwert von 57,1 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent.
Dies macht laut Unep zwar nur einen geringen Unterschied bei den insgesamt im Zeitraum 2019 bis 2030 erforderlichen Kürzungen aus, jede Verzögerung der Maßnahmen bedeutet allerdings, dass die nötigen Einsparungen pro Jahr bis 2035 immer höher werden. So müssen die Emissionen nun bereits jedes Jahr um 7,5 Prozent gesenkt werden, um das 1,5-Grad-Limit zu halten, und für zwei Grad um vier Prozent.
Das 1,5-Grad-Ziel ist laut dem Report technisch noch drin, allerdings nur bei enormen Anstrengungen. Es gibt danach ein technisches Potenzial für Emissionskürzungen um bis zu 31 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent im Jahr 2030, was etwa 52 Prozent der Emissionen von 2023 entspricht, und von 41 Milliarden Tonnen im Jahr 2035. Dies würde die Lücke zum 1,5-Grad-Limit in beiden Jahren zu Kosten von weniger als 200 US-Dollar pro Tonne CO2 schließen.
Der verstärkte Einsatz von Solar- und Windenergie könne 27 Prozent des gesamten Reduktionspotenzials im Jahr 2030 und 38 Prozent im Jahr 2035 liefern, Maßnahmen zum Schutz der Wälder jeweils rund 20 Prozent. Weitere gute Optionen seien Effizienzmaßnahmen, Elektrifizierung und Technologiewechsel in den Sektoren Gebäude, Verkehr und Industrie.
Um die Netto-Null bei den Emissionen zu erreichen, ist laut Unep eine Versechsfachung der Investitionen zur CO2-Reduktion erforderlich – unterstützt durch eine Reform der globalen Finanzarchitektur, ein starkes Engagement des privaten Sektors und internationale Zusammenarbeit.
Dies sei erschwinglich: Die geschätzten zusätzlichen Investitionen für die Netto-Null betragen laut dem Report 0,9 bis 2,1 Billionen US-Dollar pro Jahr von 2021 bis 2050 – Investitionen, die sich in Form vermiedener Kosten durch Klimawandel, Luftverschmutzung, Naturschäden und Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit auszahlen würden. Zum Vergleich: In der Weltwirtschaft werden pro Jahr Unep zufolge 110 Billionen US-Dollar umgesetzt.
Das anzustrebende 1,5-Grad-Limit wurde 2015 auf dem Gipfel in Paris beschlossen. Die UN-Klimapolitik geht allerdings schon auf den "Erdgipfel" von Rio 1992 zurück, auf dem die Weltklimakonvention beschlossen wurde.
Der neue Report zeigt, dass eine bloße Fortsetzung der aktuellen Politik eine Erwärmung von 3,1 Grad provozieren würde – aber auch eine vollständige Umsetzung der vorliegenden NDCs würde das Temperaturplus nur auf 2,6 Grad drücken. In diesen Szenarien, die alle mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln operieren, würden die Temperaturen bis ins nächste Jahrhundert weiter steigen.
Geht man davon aus, dass die bisher gemachten, noch unverbindlichen Netto-null-Versprechen tatsächlich umgesetzt werden, könnte die globale Erwärmung laut Unep auf 1,9 Grad begrenzt werden.
"Aber derzeit besteht wenig Vertrauen in die Umsetzung dieser Versprechen", moniert das Unep. Einige Länder und Ländergruppen wie die USA und die EU haben angekündigt, den Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen bis 2050 auf null zu bringen. Andere wichtige Emittenten wie etwa China und Indien peilen 2060 respektive 2070 dafür an.
Warnung vor Kipppunkten
Der Unep-Bericht untersucht auch, was nötig wäre, um die globale Erwärmung wenigstens "deutlich" auf unter zwei Grad zu begrenzen, was im Paris-Abkommen als zweite Sicherheitslinie festgelegt ist. Dazu müssen die Emissionen bis 2030 um 28 Prozent und bis 2035 – dem neuen "Meilenstein-Jahr", das in die nächsten NDCs aufgenommen werden soll – um 37 Prozent gegenüber dem Stand von 2019 sinken.
Problematisch ist bei diesem Limit allerdings, dass dann bereits erste Kippelemente des Weltklimas irreversibel ausgelöst werden könnten, wie das Abschmelzen der Eisschilde an Nord- und Südpol sowie das Absterben der tropischen Korallenriffe.
Unep-Chefin Inger Andersen kommentierte den Report so: "Die Zeit der Klimakrise ist gekommen. Wir brauchen eine globale Mobilisierung in einem noch nie dagewesenen Ausmaß und Tempo – und zwar sofort, vor der nächsten Runde der Klimaversprechen –, sonst ist das 1,5-Grad-Ziel bald tot, und 'deutlich unter zwei Grad' wird seinen Platz auf der Intensivstation einnehmen."
Andersen forderte die Regierungen auf, die COP 29 im November zu nutzen, um die Voraussetzungen für strengere NDCs zu schaffen, und dann alles daranzusetzen, einen 1,5-Grad-Pfad einzuschlagen. "Jeder Bruchteil eines vermiedenen Grades zählt, wenn es darum geht, Leben zu retten, Volkswirtschaften zu schützen, Schäden zu vermeiden, die Artenvielfalt zu erhalten und jede Temperaturüberschreitung schnell zu reduzieren."
Auch UN-Generalsekretär António Guterres äußerte sich zu dem Report. Er sagte: "Die Emissionslücke ist kein abstrakter Begriff. Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen steigenden Emissionen und immer häufigeren und intensiveren Klimakatastrophen."
Rekordemissionen bedeuteten Rekordtemperaturen der Meere, die Hurrikans verschlimmerten, so Guterres. Rekordhitze verwandle Wälder in Zunderbüchsen und Städte in Saunen, während Rekordregen zu biblischen Fluten führe.
"Der heutige Emissionslücken-Bericht ist eindeutig: Wir spielen mit dem Feuer, aber wir können nicht länger auf Zeit spielen", mahnte der UN-Chef. Auf der COP 29 müsse begonnen werden, die Ambitionslücke, die Umsetzungslücke und die Finanzierungslücke zu schließen.