Klimareporter°: Herr Njehu, im November findet mit der COP 30 der nächste UN-Klimagipfel statt – dieses Mal in Belém in Brasilien. Sie waren kürzlich bei den vorbereitenden Verhandlungen in Bonn. Was erwarten Sie, speziell bei den Themen Klimafinanzierung sowie Verluste und Schäden? 

Fred Njehu: Viele zentrale Fragen sind noch ungelöst, besonders bei der Klimafinanzierung. Noch immer wird diskutiert, wer wie viel beitragen soll – sowohl hinsichtlich der Zusammensetzung des Geberkreises als auch der Höhe der Beiträge.

Zwar gibt es die Zusage, 300 Milliarden US-Dollar bereitzustellen, doch viele Akteure fordern bis zu 1,3 Billionen Dollar als angemessene Summe, die jährlich in die am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder fließen muss. Wie diese Mittel aufgeteilt werden sollen, etwa zwischen öffentlichen Geldern und anderen Quellen, ist ein besonders heikler Punkt. 

Genauso brauchen Programme für eine gerechte Energiewende und zum Klimaschutz breite Zustimmung. Bis zur COP 30 müssen noch viele Details geklärt werden. Entscheidend wird sein: Wie sorgen wir dafür, dass die Länder, die historisch und strukturell am meisten zur Klimakrise beigetragen haben, tatsächlich entsprechend ihren Zusagen zahlen?

Gleichzeitig steht der Multilateralismus unter massivem Druck. Die USA ziehen sich zunehmend zurück, ob bei der UN-Klimakonvention oder der Welthandelsorganisation WTO. Das hinterlässt ein Führungsvakuum. 

Bild: privat

Fred Njehu

ist globaler politischer Leiter der Fair-Share-Kampagne von Greenpeace. Er ist ein Vordenker in globalen Klima- und Wirtschafts­fragen mit Expertise und Erfahrung in multi­lateralen Verhandlungen, Diplomatie und politischen Entscheidungs­prozessen.

Wie schätzen Sie Chinas Rolle in den internationalen Verhandlungen ein?

Ob China dieses Vakuum füllt, ist offen. China ist Teil der G77, also der Gruppe der Entwicklungsländer, aber zugleich eine der größten Volkswirtschaften der Welt. Es steht in einer Doppelrolle: als aufstrebende Macht und Vertreter des globalen Südens.

Klar ist: Wenn Staaten nicht aktiv globale Kooperation suchen, wird das vor allem für Länder problematisch, die auf Klimafinanzierung angewiesen sind, wirtschaftliche Gerechtigkeit fordern, die UN-Nachhaltigkeitsziele erreichen wollen, die Lösung der Schuldenkrise brauchen und globale Steuerregeln reformieren wollen.

Chinas Rolle gegenüber Staaten des afrikanischen Kontinents ist ambivalent, auch im entwicklungs- und klimapolitischen Kontext. China investiert viel auf dem afrikanischen Kontinent, doch ein Großteil der Gelder kommt als Kredit – und viele Investitionen sind nicht sonderlich "grün" ...

Ja, ein Großteil der chinesischen Investitionen ist in Infrastruktur und extraktive Industrien geflossen – besonders in den Abbau mineralischer Rohstoffe, die exportiert werden. Es gibt ein Wettrennen zwischen China und seinen westlichen Konkurrenten – USA, EU und anderen –, die kritischen Mineralien zu sichern, die für die Energiewende notwendig sind.

Das wirft ernste Fragen zu Umweltverträglichkeit und Ressourcenhoheit auf. Denn die gegenwärtige Industrie- und Handelspolitik führt strukturell dazu, dass afrikanische Länder am unteren Ende der Wertschöpfungskette bleiben – während sie unter den Umweltfolgen des Rohstoffabbaus am meisten leiden.

Daten des Thinktanks E3G zeigen, dass China zwischen 2010 und 2021 jährlich etwa drei Milliarden US-Dollar an klimapolitischer Finanzierung für Entwicklungsländer bereitgestellt hat – vor allem in Form von Krediten. Über 40 Prozent davon gingen an afrikanische Staaten. Wie blicken Sie darauf?

Ja, viele der chinesischen Kredite, etwa im Rahmen der Seidenstraßen-Iinitiative, sind zwar sogenannte Konzessionskredite und kommen daher zu vergleichsweise günstigen Konditionen. Trotzdem haben sie zu hoher Verschuldung vieler afrikanischer Länder geführt. Ähnlich wie der globale Norden trägt China dazu bei, dass Länder des Südens in einer Schuldenfalle landen.

Zahlreiche Windräder und eine Umspannstation um einen etwas bewaldeten Hügel in ländlicher Umgebung.
Windpark in Kenia: Afrika kann fossile Pfade überspringen und direkt auf Erneuerbare setzen, sagt Fred Njehu. (Bild: Singularity Preparation/​Wikimedia Commons)

Allerdings besteht in Afrika die Chance, fossile Pfade zu überspringen und direkt in erneuerbare Energien wie Wind und Sonne zu investieren. Neue Schulden sollten genau diesen Technologiesprung ermöglichen.

China ist einer der wichtigsten Akteure im Bereich Erneuerbare und hat daher eine Verantwortung, afrikanische Länder gezielt bei Investitionen in Solar-, Wind- oder Geothermieprojekte zu unterstützen, um Energiezugang und eine gerechte Energiewende zu fördern.

Was muss sich strukturell ändern?

Greenpeace hat keine offizielle Position zum Thema Schulden, aber die Zivilgesellschaft diskutiert intensiv über eine neue globale Schuldenarchitektur, etwa durch eine UN-Schuldenkonvention. Das Ziel wäre, multilaterale Entwicklungsbanken, bilaterale und privatwirtschaftliche Schulden neu zu denken.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die internationale Steuerreform. Eine neue multilaterale Plattform entsteht, um faire Regeln zur Besteuerung von reichen Privatpersonen, multinationalen Unternehmen und deren Tochterfirmen zu gestalten.

Von Bedeutung sind außerdem Fragen der Verteilung der Steuerrechte und der Transparenz. Werden diese Probleme gelöst, können Länder des globalen Südens, insbesondere Afrikas, illegale Finanzflüsse eindämmen und ihre Inlandseinnahmen erhöhen. Das ist unerlässlich, um Entwicklungsziele zu finanzieren und auf die vielfältigen Krisen zu reagieren.

 

Wo sehen Sie Raum für afrikanische Länder, um bei internationalen Verhandlungen gemeinsam aufzutreten?

Afrikanische Länder haben großes Potenzial, sich enger zu verbünden. In multilateralen Prozessen wie der UN-Klimakonvention, der Biodiversitätskonvention oder der Wüstenkonvention verhandeln sie oft als Block – etwa über die African Group, die LDCs, die G77 oder andere Zusammenschlüsse. Viele Länder verfolgen ähnliche Interessen.

Diese Koalitionen zu stärken, ist entscheidend, um geopolitisch besser dazustehen und mehr Druck in den multilateralen Verhandlungen auszuüben. Die Afrikanische Union spielt dabei eine zentrale Rolle und hat mit der African Group of Negotiators eine Struktur geschaffen, um gemeinsame Positionen zu entwickeln – etwa zu Klimafinanzierung, Anpassungsfinanzierung oder dem Umgang mit Verlusten und Schäden. Regionale Zusammenarbeit ist der Schlüssel.

 

Chinas Klima- und Umweltpolitik

China ist der größte Treibhausgasemittent der Welt, treibt aber auch den Ausbau der erneuerbaren Energien am schnellsten voran. Die Volksrepublik ist bei vielen "grünen" Technologien führend – und hat eine Schlüsselrolle bei der Weiterverarbeitung von Rohstoffen wie Kobalt und Lithium. Während China in der internationalen Klimapolitik eine prominente Position innehat, kommt es im Land immer wieder zu Protesten gegen Umweltverschmutzung. Die Serie wirft ein Auge auf Akteure und Debatten, Gesetze und Industrien in China.