Fatih Birol
Fatih Birol. (Foto: Andrew Wheeler/​IEA)

Eine Zukunft für die Weltwirtschaft auf 170 Seiten: Die Internationale Energieagentur (IEA) hat einen Bericht vorgelegt, mit dem sie Regierungen eine nachhaltige Konjunktur nach der Coronakrise schmackhaft machen möchte. 

"Regierungen haben gerade die einmalige Chance, ihre Wirtschaft wieder anzukurbeln und eine Vielzahl neuer Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen und sich gleichzeitig schneller auf eine widerstandsfähige und saubere Energiezukunft zuzubewegen",  sagte IEA-Chef Fatih Birol.

Herausgekommen ist eine Art Masterplan. Dafür hat die IEA zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) 30 energiepolitische Maßnahmen ausgewertet.

Viel Neues erfährt man nicht. Das größte Potenzial liegt demnach darin, Solaranlagen und Windräder zu bauen, weil das mittlerweile billig und einfach geht. Wenig überraschend werden auch Investitionen in passende Stromnetze und die ökologische Gebäudesanierung sowie mehr Energieeffizienz empfohlen.

Die umstrittene Atomkraft zählt die Internationale Energieagentur trotz aller ökologischen und sonstigen Risiken traditionell zu den "sauberen" und damit empfehlenswerten Energiequellen. Auch die weitere Nutzung von Atomkraftwerken steht deswegen im Plan.

Den sollen die Staaten in den kommenden drei Jahren mit insgesamt drei Billionen US-Dollar aus öffentlichen und privaten Töpfen unterfüttern, wenn es nach IEA und IWF geht. Laut IEA würden die CO2-Emissionen, die durch die Nutzung fossiler Kraftstoffe anfallen, dadurch im Jahr 2023 um 4,5 Milliarden Tonnen niedriger ausfallen als sonst anzunehmen. Zur Orientierung: Im vergangenen Jahr lagen die energiebezogenen CO2-Emissionen bei rund 33 Milliarden Tonnen. Birol zufolge kann die Welt so ihre Ziele aus dem Paris-Abkommen erreichen.

"Die wichtigste Messlatte verfehlt"

Klimaschützer:innen bezweifeln das. "Die IEA verfehlt erneut das wichtigste Ziel, weil sie die Verbindung zwischen einer nachhaltigen Konjunkturbelebung und der Begrenzung der Erderwärmung bei 1,5 Grad völlig ignoriert", sagte Kelly Trout von der US-Klimaschutzorganisation Oil Change. Das 1,5-Grad-Ziel werde in dem Report nicht einmal erwähnt.

Formal betrachtet ist das vielleicht noch zu rechtfertigen. In erster Linie haben die Staaten im Paris-Abkommen 2015 versprochen, die globale Erwärmung bei "deutlich unter zwei Grad" gegenüber vorindustriellen Zeiten zu begrenzen – nur "wenn möglich" soll sie bei 1,5 Grad stoppen.

Die Staaten haben mit dem Paris-Abkommen aber auch erst den Weltklimarat IPCC beauftragt, den mittlerweile erschienenen Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel anzufertigen.

Das Ergebnis: Jenseits von 1,5 Grad Erderhitzung steigt das Risiko enorm, dass Elemente des Erdsystems kippen, die gerade unser Klima stabilisieren. Dazu gehört etwa der Permafrostboden. Taut er auf, werden Unmengen des hochwirksamen Treibhausgases Methan frei. Die Klimakrise befeuert sich dann selbst.

"Wenn jetzt Billionen Dollar im Zuge der Covid-19-Erholung fließen, brauchen Regierungen Klarheit über die mutigen und entschlossenen Schritte, die die CO2-Emissionen innerhalb dieses Jahrzehnts halbieren können", sagte Trout.

Sie bezieht sich dabei auf ein weiteres Ergebnis des IPCC-Sonderberichts. Demnach muss die Welt ihre Emissionen bis 2030 praktisch halbieren, um auf den richtigen Pfad für die Klimaneutralität im Jahr 2050 und das 1,5-Grad-Ziel zu kommen. Neuere Studien kommen sogar auf ein noch kleineres CO2-Budget und einen entsprechend strafferen Zeitplan.

Dabei geht es auch nicht nur um die Treibhausgase aus der Nutzung fossiler Brennstoffe, auf die sich die IEA konzentriert, sondern auch um den Klimaeffekt der Land- und Forstwirtschaft sowie der Vernichtung von Wäldern und Mooren. Zum Vergleich: Rechnet man diese Emissionen für das vergangene Jahr ein, kommt man auf insgesamt 43 Milliarden Tonnen CO2.

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