Luftbild einer quadratkilometergroßen Fläche mit Flüchtlingszelten, alles ist mit rotbraunem Staub bedeckt.
Viele Herkunftsregionen sind sowohl von Gewaltkonflikten als auch von Umwelt- und Klimakatastrophen betroffen. (Foto: DOS/​Wikimedia Commons)

Der Klimawandel verschärft Umweltbelastungen, Wassermangel, Naturkatastrophen, Hunger, Krisen und Konflikte – und heizt so auch Fluchtbewegungen an. Die Folgen der Erderwärmung, hauptsächlich verursacht von den reichen Industrieländern, werden denen aufgebürdet, die kaum dafür verantwortlich sind.

"Der Klimawandel beschleunigt und verstärkt die Verschlechterung von Lebens- und Produktionsbedingungen insbesondere ärmerer Bevölkerungsgruppen in ländlichen Regionen von Entwicklungsländern", so der Agrarökonom Hans-Joachim Preuß, einer der 23 Autorinnen und Autoren des Buches "Flucht. Ursachen bekämpfen, Flüchtlinge schützen".

Preuß beschreibt, was auf die ärmeren Länder zukommt, die wenig Möglichkeiten zur Anpassung an den Klimawandel haben. Bangladesch wird wohl kaum auf den steigenden Meeresspiegel und drohende Überschwemmungen so reagieren können wie beispielsweise die Niederlande.

Dabei gibt es Strategien, die Folgen der Erderwärmung mindestens zu verringern: neue Anbauverfahren beispielsweise, Pflanzen, die Trockenheit besser durchstehen, bauliche Anpassungen, aber auch neue Einkommensquellen. Nur braucht es dafür eben Geld, das in den ärmeren Ländern nicht vorhanden ist.

Gebotene finanzielle Unterstützung

Gerade deshalb wurde jüngst bei der 27. Weltklimakonferenz in Sharm el-Sheikh der verabredete Fonds für Klimaausgleichszahlungen als Durchbruch gefeiert. Zehn Jahre lang hatten die Industriestaaten gemauert. Nun stand das Thema auf der Tagesordnung.

Deutschland ist auf der Befürworterseite und hat 170 Millionen Euro zugesagt. Das ist freilich nicht mehr als ein Tropfen auf den heißer werdenden Stein. Dieser Tropfen ist immerhin ein Beitrag zu der Erkenntnis, dass wir mit unserem Wohlstands- und Wirtschaftsstil andernorts Menschen ihre Existenz rauben und dafür Verantwortung zu übernehmen haben.

Porträtaufnahme von Ralf-Uwe Beck.
Foto: Inga Hanke

Ralf-Uwe Beck

ist Theologe und Demokratie­aktivist. In Thüringen war er Umwelt­beauftragter der evangelischen Kirche und Mitgründer des BUND. Mit Klaus Töpfer und Angelika Zahrnt initiierte er 2017 die Bundestags-Enquete "Flucht­ursachen". Sie gaben nun das vorliegende Buch heraus, um die Forderungen des Enquete-Berichts zu verstärken.

Das ist zu pauschal? Dann denken wir einen Moment an die Menschen, die auf Madagaskar gerade hungern und verhungern. Oder die Opfer der Flutkatastrophe von Pakistan. Ursache für diese "Ereignisse": der Klimawandel. Ursache für den Klimawandel: wir, die im reichen Norden zu Hause sind.

Um die gebotene finanzielle Unterstützung für die armen Länder des globalen Südens in Sachen Klimafolgeschäden nicht immer wieder neu austarieren zu müssen und vom Auf und Ab der jährlichen Haushalte unabhängig zu machen, gibt es die Idee des "Climate Matching".

Dabei sollte "ein prozentualer Anteil der Klimaschutzinvestitionen in Deutschland für den Klimaschutz in den Entwicklungs- und Schwellenländern festgelegt und nicht in jährlichen Haushaltsberatungen infrage gestellt werden können", beschreibt Jürgen Scheffran von der Uni Hamburg in dem Buch einen Schlüssel-Mechanismus der Nord-Süd-Angleichung. Nur so – über eine verlässliche Nord-Süd-Verbindung – wird sich der Klimawandel wirksam bekämpfen lassen.

Klagen für Klimagerechtigkeit

Um Klimagerechtigkeit geht es auch bei den Klimaklagen. Rechtsanwältin Roda Verheyen ist in dem Buch die Dritte im Bunde, die den Klimafragen auf den Grund geht. Sie vertritt unter anderen Saúl Luciano Lliuya aus Peru, der eine Musterklage gegen den Energiekonzern RWE führt, weil durch Klimafolgeschäden seine Existenz bedroht ist.

Porträtaufnahme von Angelika Zahrnt.
Foto: Ludwig Niethammer

Angelika Zahrnt

war von 1998 bis 2007 Bundes­vorsitzende des Umwelt­verbandes BUND. Die wachstums­kritische Ökonomin startete bundes­weit beachtete Studien und Initiativen für nachhaltiges Wirtschaften und Suffizienz­politik.

Solche Klagen fordern Entschädigungen. Um diese zu vermeiden, würde der wirtschaftliche Druck auf Konzerne wachsen, weniger Treibhausgase auszustoßen. Auch könnte auf diese Weise eine Politik wahrscheinlicher werden, die Großemittenten von Treibhausgasen an die Kandare nimmt, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.

Verheyen plädiert zudem für eine verstärkte Anrufung des Internationalen Gerichtshofs. Kein Staat soll – so das völkerrechtliche Gewohnheitsrecht – einem anderen Schaden zufügen. Aber was heißt das angesichts der Klimakrise?

Wie ist es zu bewerten und welche Konsequenzen hat es für die Verursacher, wenn ganze Inselstaaten im Südpazifik absaufen? Der Gerichtshof könnte Verpflichtungen für die Staaten formulieren, sodass Vereinbarungen wie der schon erwähnte Klimaschutzfonds befördert würden.

Humaner Flüchtlingsschutz

Mit der Aussicht, dass nach Angaben des Weltklimarates 3,6 Milliarden Menschen von den Folgen des Klimawandels betroffen sein werden, wird wie nie zuvor die Frage zugespitzt: Wofür sind wir mit unserem Wirtschaftssystem und unserem Lebensstil verantwortlich? Und wozu verpflichtet uns diese Verantwortung?

Die Klimavertriebenen sind Boten des von uns mitverursachten Unheils. Sie bringen die Aufgabe für uns mit, vor der Verantwortung nicht zu fliehen. Das Buch führt immer wieder an diesen Punkt zurück.

Das Buch

Ralf-Uwe Beck, Klaus Töpfer, Angelika Zahrnt (Hrsg.): Flucht – Ursachen bekämpfen, Flüchtlinge schützen. Plädoyer für eine humane Politik. Oekom Verlag, München 2022, 160 Seiten, 22 Euro

So werden Schneisen geschlagen für die Bekämpfung des Hungers, die größte lösbare Katastrophe der Welt, für eine EU-Agrarpolitik, die nicht Perspektiven auf dem afrikanischen Kontinent über die Klinge von Dumpingpreisen springen lässt, für einen sozialen Basisschutz, der im Süden mithilfe des Nordens auszubauen ist, damit Menschen existenzielle Nöte überstehen können. Es ist ein Buch, das den Anspruch hat, hinter all den Nachrichten und Zahlen die Menschen zu sehen.

Deshalb liegt auf dem Gleis neben der Schiene der Fluchtursachen auch eine, die konkreten Flüchtlingsschutz einfordert. Kritisiert werden die deutsche und europäische Flüchtlingspolitik und die Zustände bei der Abschiebepraxis an den EU-Außengrenzen und bei der Seenotrettung.

Auch hier werden die Missstände auf einen politischen Pfad zurückgeführt: Etwas gegen Fluchtursachen zu tun und gleichzeitig für einen humanen Flüchtlingsschutz – das gehört zusammen.

Redaktioneller Hinweis: Die Autoren sind Mitherausgeber des Buches.

 

 

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