
"Vieles von dem, was Sie vermutet haben, werden Sie nicht finden", erklärte der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz letzte Woche bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages. Da ist es zumindest eine Erleichterung zu sehen, dass in den Vertragstext eine proaktive Entwicklungspolitik und das Bekenntnis zu humanitärer Hilfe eingeflossen sind.
Denn Deutschland steht an einem Scheideweg. Mit den abgeschlossenen Koalitionsverhandlungen hat die neue Bundesregierung die Chance, ihre Rolle als globaler Akteur in der internationalen Zusammenarbeit zu stärken.
Während die USA und Großbritannien ihre Budgets für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe drastisch kürzen, muss Deutschland jetzt entscheiden, ob es diesem Rückzug folgt oder das im Koalitionsvertrag gegebene Versprechen erfüllt, die humanitäre Hilfe zu "stärken" und "verlässlich, gezielt und vorausschauend" zu leisten.
Die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus hat die internationale Ordnung ins Wanken gebracht. Besonders gravierend ist die Finanzierungslücke, die durch den Abbau der Behörde für Entwicklungszusammenarbeit USAID entstanden ist. Mit eingefrorenen 60 Milliarden US-Dollar und der abrupten Kündigung tausender Hilfsprojekte drohen lebenswichtige Programme im Bereich Wasser- und Sanitärversorgung zusammenzubrechen.
Auch Großbritannien hat sich zurückgezogen: Die Labour-Regierung von Keir Starmer hat die Gelder für Entwicklungszusammenarbeit von 0,5 auf 0,3 Prozent des Bruttonationaleinkommens reduziert – zugunsten von Verteidigungsausgaben. Der damit verbundene Rücktritt der britischen Entwicklungsministerin Anneliese Dodds zeigt, wie groß die Enttäuschung über diese Prioritätenverschiebung ist.
Frauen tragen die Hauptlast – Deutschland kann das ändern
Die Auswirkungen all dieser Entscheidungen werden Millionen von Menschen treffen. Sie schaffen eine Lücke, die Deutschland nicht ignorieren kann. Die neue schwarz-rote Koalition hat jetzt die Chance, sich als verlässlicher Partner in der Entwicklungszusammenarbeit zu positionieren.
Die Verfügbarkeit von Wasser ist dabei die Basis für Frieden, Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung. Es ist Quelle allen Lebens, verbindet Gemeinschaften, überwindet Grenzen und ist zentral für die Erreichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung, der SDGs – von Gesundheit über Bildung und Geschlechtergerechtigkeit bis Klimaschutz.
Sareen Malik
leitet das African Civil Society Network for Water and Sanitation (ANEW), den Dachverband der Wasser- und Sanitär-NGOs in Afrika, der in über 40 Ländern vertreten ist. Zudem ist sie Vorsitzende des Steering Committee des Stockholm International Water Institute.
Seit Einführung der Millennium Development Goals im Jahr 2000 haben Milliarden Menschen Zugang zu sicherem Wasser erhalten. Doch diese Fortschritte stehen auf der Kippe. Die Klimakrise verschärft die Wasserknappheit und extreme Wetterereignisse gefährden die Wasserqualität.
Von Wasserknappheit sind gerade Frauen und Mädchen unverhältnismäßig stark betroffen. Traditionelle Rollenverteilungen weisen ihnen häufig die Aufgaben im Wassermanagement zu.
In ländlichen Gebieten Afrikas verbringen Frauen jährlich geschätzte 40 Milliarden Stunden mit dem Wasserholen, so viel wie die gesamte aufgewendete Arbeitszeit in Frankreich. Diese Zeit fehlt ihnen für Bildung und Arbeit. Gleichzeitig sind sie dabei oft Gewalt und Gesundheitsrisiken ausgesetzt.
Deutschland hat sich stets für Geschlechtergerechtigkeit eingesetzt, sich einer feministischen Außenpolitik verschrieben und hat jetzt die Möglichkeit, dieses Engagement zu bekräftigen. Projekte wie "Water Policy – Innovations for Resilience", die von Deutschland finanziert werden, haben bereits gezeigt, wie klimaresiliente Wasserinfrastruktur und nachhaltiges Ressourcenmanagement Leben zum Positiven verändern können.
Wasser ist Menschenrecht und Garant für Stabilität
Ein Beispiel dafür ist der Water-Energy-Food-Nexus, ein Ansatz, der in Ländern Lateinamerikas, Nordafrikas und des Nahen Ostens angewandt wird. Er verbindet die Bereiche Wasser, Energie und Nahrung, um Versorgungsrisiken zu verringern. Konkret werden Energieerzeugung und Ernährungssicherung mit einem integrierten Management von Wasserressourcen kombiniert.
So hilft der Ansatz, Ressourcenkonflikte zu lösen – oft sogar über Ländergrenzen hinweg – und stärkt gleichzeitig die Vorbereitung auf Katastrophen und Pandemien.
Carolin Stüdemann
ist Geschäftsführerin der Organisation Viva con Agua, die sich weltweit für den Zugang zu sauberem Trinkwasser einsetzt. Sie hält Vorträge und ist Koautorin des Buches "Die Zukunft unseres Wassers".
Wasser ist nicht nur lebensnotwendig, sondern auch eine treibende Kraft für wirtschaftliches Wachstum. Ohne verlässliche Wasserversorgung stehen Landwirtschaft, Industrie und ganze Gemeinschaften still. Laut Weltbank bringt jeder investierte Euro in Wasser- und Sanitärprojekte einen vierfachen wirtschaftlichen Nutzen.
Deutschland hat als wirtschaftliche Macht die Mittel und die Verantwortung, dort einzuspringen, wo andere sich zurückziehen. Investitionen in Wasser- und Sanitärinfrastruktur schaffen nicht nur Partnerschaften, die Stabilität fördern, sie stärken auch Deutschlands internationales Ansehen.
Der Rückzug westlicher Länder aus der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe öffnet die Tür für andere Akteure. China nutzt seine "Neue Seidenstraße", um durch Wasserprojekte in Afrika und Asien geopolitischen Einfluss zu gewinnen. Russland bietet strategische Infrastrukturinvestitionen an, um sich in wasserarmen Regionen Vorteile zu verschaffen.
Wenn Deutschland demokratische Werte und internationale Stabilität verteidigen will, muss es sicherstellen, dass die Wasserinfrastruktur nicht zum Spielball autoritärer Regime wird. Eine klare Wasserstrategie würde Deutschlands diplomatische Position stärken und ein Zeichen für eine gerechte und stabile Weltordnung setzen.
Zugang zu sauberem Wasser und Sanitärversorgung sind Menschenrechte und nicht verhandelbar. Deutschland hat jetzt die Möglichkeit, eine humanitäre Krise abzuwenden, seine Rolle zu festigen und Millionen Menschen eine nachhaltige Zukunft zu sichern.
Die Geschichte wird darüber urteilen, ob Deutschland in der Krise Verantwortung übernommen oder sich abgewandt hat. Die Entscheidungen von heute werden die Stabilität und den Wohlstand künftiger Generationen prägen. Die neue Koalition muss diese Chance ergreifen und ein klares Zeichen für globale Solidarität setzen.