Seit hierzulande in den 2000er Jahren der Siegeszug der Solarenergie begann, sieht sich Deutschland gern als Vorreiter bei Klimaschutz und Energiewende. Die Fakten geben das nur bedingt her.
Jetzt ist die Bundesrepublik sogar im Ranking des diesjährigen "Klimaschutz-Index" (Climate Change Performance Index, CCPI) von "gut" auf "mäßig" abgerutscht – trotz der selbsternannten Fortschrittskoalition von SPD, Grünen und FDP, die drei Jahre lang regierte. Das zeigt jedenfalls der von den Organisationen Germanwatch und New Climate Institute auf dem UN-Klimagipfel in Baku vorgelegte aktuelle Index (interaktive Grafik unten).
Die Hauptgründe fürs mäßige Abschneiden: "In der Klimapolitik sind vor allem bei Verkehr und Gebäuden keine echten Fortschritte erkennbar. Hinzu kommen ein verwässertes Klimaschutzgesetz und drohende Haushaltskürzungen, die nationale und internationale klimapolitische Fortschritte massiv erschweren könnten", so das Urteil von Germanwatch. Die seit 2022 gute Entwicklung beim Ausbau von Solar- und Windenergie konnte das nicht drehen.
Der Pro-Kopf-CO2 liegt mit 8,1 Tonnen pro Jahr hierzulande laut dem Index immer noch recht hoch, gemessen an vergleichbaren Ländern. Das bringt schlechte Platzierung in der Kategorie Emissionslevel. Hier erreicht Deutschland nur Platz 41 von den insgesamt untersuchten 63 Ländern plus EU, die zusammen für 90 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich sind.
Mehr Erneuerbare, aber auch mehr Erdgas
Der Trend bei der Emissionsentwicklung war dagegen zuletzt recht gut, hier reicht es für die Top Ten. Die Mitautorin des Index, Thea Uhlich von Germanwatch, sagte daher bei der Präsentation auf dem Gipfel in Baku am Mittwoch: "Die nächste Bundesregierung sollte die Chance ergreifen, diesen Trend mit wirksamen Maßnahmen im Verkehrs- und Gebäudebereich zu beschleunigen, um die selbst gesetzten Klimaziele zu erreichen."
Die Entwicklung in Deutschland spiegelt zum Teil den Trend, den es laut der Analyse in fast allen Staaten mit hohen Emissionen gibt – von den klassischen Industriestaaten bis zu Schwellenländern wie China. Dort seien die erneuerbaren Energien "mit Wucht auf der Überholspur".
Das führe aber noch immer in viel zu wenigen Ländern zu einer konsequenten Abkehr von fossilen Energien, insbesondere von Erdgas. Entsprechend zeigt der Klimaschutz-Index ein uneinheitliches Bild. Zwar haben 61 der 64 untersuchten Staaten den Erneuerbaren-Anteil in den letzten fünf Jahren gesteigert, doch in 29 Staaten ist der Emissionstrend immer noch schlecht oder sehr schlecht.
Viele Anzeichen deuten laut den Index-Fachleuten darauf hin, dass sich die Welt beim CO2-Ausstoß am Wendepunkt befindet. "Der Höhepunkt der weltweiten Emissionen ist in greifbarer Nähe. Nun kommt es darauf an, dass wir in einen schnellen Sinkflug kommen", sagte Niklas Höhne vom New Climate Institute, ebenfalls Autor der Analyse.
Der Einfluss der fossilen Lobby sei in vielen Staaten weiterhin groß, wie sich etwa in den USA gezeigt habe. Dort sei sie mitentscheidend dafür gewesen, den Republikaner Donald Trump zurück ins Weiße Haus zu hieven.
Beispiel hierfür sind auch die vier Letztplatzierten im Index: Iran, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und Russland, alle große Erdöl- und Erdgasproduzenten. Der Anteil der Erneuerbaren im Energiemix liegt in diesen Ländern unter drei Prozent. "Dort ist keine Abkehr vom fossilen Geschäftsmodell erkennbar", so Höhne.
Skandinavische Länder liegen vorn, Ölstaaten hinten
Die ersten drei Plätze in dem Index blieben wie immer unbesetzt, da keiner der untersuchten Staaten laut der Analyse genug tut, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Mit Platz vier untermauerte Dänemark erneut seine Position als Vorreiter beim Klimaschutz, vor allem beim Ausbau der erneuerbaren Energien, wo es ein "Sehr gut" gab. Die internationale Klimapolitik des kleinen Landes gilt ebenfalls als vorbildlich.
COP 29 in Baku
Bei der 29. UN-Klimakonferenz in Aserbaidschan geht es um ein neues Ziel für die internationale Klimafinanzierung. Klimareporter° ist mit einem Team vor Ort und berichtet täglich.Auch Norwegen und Schweden schnitten bei den Erneuerbaren mit der Top-Bewertung ab. In dieser Kategorie erreichen zum ersten Mal überhaupt drei Länder ein "sehr gut". Die EU als Ganzes zählt zu den als "mittelmäßig" bewerteten Staaten. Ihr "Green Deal" enthalte große Fortschritte in der Klimapolitik, die bisherigen Maßnahmen reichten aber noch nicht dafür aus, dass die EU, global betrachtet, ihren fairen Anteil an der CO2-Reduktion leistet.
Ein anders europäisches Land zählt zu den größten Aufsteigern im Ranking: Großbritannien, das von Platz 20 hoch auf sechs kletterte. Die neue Labour-Regierung sei deutlich ambitionierter in ihrer Klimapolitik, habe den Kohleausstieg in diesem Jahr erfolgreich abgeschlossen und zudem zugesagt, keine neuen fossilen Projekte zu genehmigen.
Zu den größten Absteigern gehören die Schweiz (minus zwölf Plätze auf 33), Finnland (minus elf auf 37) und Argentinien (minus sechs auf 59). Alle drei Länder haben vor allem in der Klimapolitik erheblich schlechtere Noten bekommen. Argentiniens neuer Präsident Milei leugnet sogar den menschengemachten Klimawandel.
Die beiden größten CO2-Emittenten, China und die USA, finden sich in der Kategorie "sehr schlecht" wieder (Rang 55 und 57). In China mit seinem Pro-Kopf-Ausstoß von 10,2 Tonnen pro Jahr könnte nach Einschätzung der Fachleute der Höhepunkt der Emissionen angesichts eines beispiellosen Booms bei den Erneuerbaren nahezu erreicht sein, es brauche nun aber eine klare Abkehr von fossilen Energien.
Hoffnung setzt man dabei in Chinas neuen Fünfjahresplan, der 2025 beschlossen wird. "Für China ist das eine Riesenchance, internationales Ansehen zu gewinnen – gerade im Kontrast zur künftigen Regierung der USA", sagte Jan Burck von Germanwatch dazu.
In den USA liegen die Pro-Kopf-Emissionen mit 15,8 Tonnen CO2 pro Jahr noch immer sehr hoch, was zum schlechten Abscheiden stark beiträgt. In der Energiepolitik hat die Biden-Regierung etwa mit dem Anreizprogramm "Inflation Reduction Act" viel bewegt. Mit Trumps fossiler Agenda, die im aktuellen Klimaschutz-Index noch nicht berücksichtigt ist, droht hier nun freilich ein harter Rückschlag.