In der kanadischen Hauptstadt Ottawa ging Ende April die vorletzte Verhandlungsrunde für das globale Abkommen zur Beendigung der Plastikverschmutzung zu Ende. Wenngleich Fortschritte bei den Verhandlungen erzielt wurden, liegt eine Einigung noch in weiter Ferne.

Zwar sind sich die Vertragsparteien einig, dass das künftige Abkommen Bestimmungen zum Abfallmanagement enthalten muss. Einige Länder und Ländergruppen lehnen aber weiterhin jegliche Bestimmungen ab, die die frühen Phasen im Lebenszyklus von Kunststoffen regulieren sollen. So bleibt eines der grundlegenden Probleme bisher ungelöst:

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Maro Luisa Schulte

ist Expertin beim Thinktank Adelphi in Berlin mit den Schwer­punkten inter­nationale Zusammen­arbeit, Chemikalien und Kunst­stoffe. Die studierte Verwaltungs­wissen­schaftlerin unter­stützt durch ihre Projekt­arbeit unter anderem das Bundes­umwelt­ministerium und die EU-Kommission.

Zwar findet mittlerweile der Kampf gegen die Verschmutzung durch Kunststoffe weltweit eine ungeahnte Aufmerksamkeit. Das gilt auch für die Verhandlungen über ein verbindliches Abkommen. Der globale Fokus richtet sich aber immer noch stark auf nachgelagerte Lösungen wie die Säuberung von Stränden oder die Verbesserung der Abfallentsorgung und der Recycling-Infrastruktur.

Deutlich weniger Aufmerksamkeit wird vorgelagerten Maßnahmen auf der Produktions- und Vertriebsebene geschenkt. Diese Konzentration auf die nachgelagerte Ebene wirkt vergleichsweise so, als wollte man unter einem überlaufenden Waschbecken den Boden wischen, aber nicht den Wasserhahn zudrehen.

Sicher ist die Verbesserung des Abfallmanagements vor allem im globalen Süden nach wie vor von entscheidender Bedeutung. Doch es reicht nicht aus, nur hinter uns aufzuräumen.

Bis 2060 sollen sich der weltweite Kunststoffverbrauch und die daraus resultierenden Abfallmengen schätzungsweise fast verdreifachen.

Der damit verbundene Anstieg von Einwegplastikmüll stellt sogar für die gut etablierten Abfallsysteme im globalen Norden schon jetzt eine große Herausforderung dar. Eine Folge davon ist, dass Kunststoffabfälle in wirtschaftlich benachteiligte Länder mit unzureichender Abfallentsorgungsinfrastruktur exportiert werden. Das verschärft die Plastikkrise weiter.

Plastik wird zum Ausweichgeschäft der Erdölbranche

Der in Ottawa diskutierte Entwurf des Weltkunststoffvertrags enthält sowohl vor- als auch nachgelagerte Maßnahmen. Unterschiedliche Auffassungen der Verhandlungsführer:innen über die Notwendigkeit und die konkrete Form vorgelagerter Maßnahmen behindern jedoch einen Konsens.

Beispiele für vorgelagerte Maßnahmen sind der Vorschlag, die Produktion von Primärkunststoffen weltweit zu beschränken oder die darin enthaltenen, häufig gesundheitsschädlichen Chemikalien zu regulieren.

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Evita Hegmann

ist Analystin bei Adelphi im Bereich Kreis­lauf­wirtschaft. Die Ökonomin befasst sich vor allem mit der Vermeidung von Plastik- und Meeres­müll, etwa durch erweiterte Hersteller­verantwortung.

Eine zurzeit aus über 60 Ländern bestehende und stetig wachsende "High Ambition Coalition" setzt sich dabei für rechtlich verbindliche vorgelagerte Verpflichtungen ein, während eine Gruppe überwiegend öl- und gasproduzierender Länder, die sogenannte Like-Minded Group, alle Maßnahmen ablehnt, die auf die Kunststoffproduktion selbst oder die Produktgestaltung abzielen. Die verhandelnden Delegationen stehen vor der Aufgabe, diese stark konkurrierenden Interessen auszugleichen.

Ein weiteres Hindernis für die Annahme wirksamer Vorschriften stellt die Lobbyarbeit dar, insbesondere von Branchen wie der Öl- und Gasförderung. Angeheizt durch die sinkende Nachfrage nach fossilen Energierohstoffen hat sich die Kunststoffproduktion zu einem Ausweichgeschäft für die petrochemische Industrie entwickelt. Diesen letzten Strohhalm will sich der Industriezweig offensichtlich nicht nehmen lassen. Das zeigt sich auch an der starken Vertretung der Branche bei den Verhandlungen.

Anlass zur Sorge gibt auch, dass Vertreter:innen der Petrochemie und der Polymerhersteller bei den Vertragsverhandlungen in Ottawa in den nationalen Delegationen von Ländern wie China, Iran, Kuwait, Malaysia und Thailand zu finden sind. Immer wieder ist auch Kritik zu hören, das Plastik-Abkommen werde im Elfenbeinturm beschlossen und die Bedürfnisse der Menschen vor Ort würden nicht ausreichend berücksichtigt.

Das Abkommen kann systemische Veränderungen ermöglichen

Dabei werden nachgelagerte Maßnahmen bei der Bekämpfung der Plastikverschmutzung weiterhin von entscheidender Bedeutung sein. Nur müssen die vorgelagerten Maßnahmen als Katalysator für die Bemühungen vor Ort betrachtet werden, um endlich die für eine deutliche Verringerung der Plastikverschmutzung erforderliche Handlungsgeschwindigkeit zu erreichen.

Die globale Zusammenarbeit, also auch das Abkommen, hat dabei das Potenzial, systemische Veränderungen zu ermöglichen, die über den Handlungsspielraum einzelner Länder hinausgehen:

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Johanna Katharina Mützel

arbeitet bei Adelphi als Managerin zum Thema Kreis­lauf­wirtschaft, vorrangig zu nach­haltigen Textil-Liefer­ketten, aber auch zu Plastik- und Meeres­müll.

  • Viele vorgelagerte Maßnahmen, über die im Abkommen verhandelt wird, würden den überbordenden Abfallstrom von vornherein besser beherrschbar machen. So würden verringerte Mengen von Kunststoffen die Abfallsysteme weniger belasten.
  • Gleichzeitig würde eine geringere Verfügbarkeit von Primärkunststoffen die Nachfrage nach sekundären, das heißt recycelten Materialien erhöhen, vermutlich sogar stärker als die ebenfalls diskutierten Quoten für Recyclingmaterial in Produkten.
  • Eine strengere Regulierung bedenklicher Chemikalien und Polymere würde nicht nur der Gesundheit nützen, sondern auch zu höheren Recyclingraten führen, da die Verwendung heute oft verunreinigter Recyclingrohstoffe und -materialien einfacher wird.
  • Mindestnormen für Produktdesign und Performance – wie eine längere Nutzbarkeit oder ein verminderter Abrieb –, die Abfallströme quasi "reinigen", dürften ebenfalls den Recycling- und Abfallinitiativen zugutekommen.
  • Eine in den Verhandlungen diskutierte Einschränkung oder ein Verbot der problematischsten und besonders leicht zu vermeidenden Produkte oder Einsatzzwecke würde dafür sorgen, dass jener Plastikmüll beseitigt wird, der am häufigsten in der Umwelt vorkommt, wie Trinkhalme oder Shampoo-Tütchen, oder der schlicht überflüssig ist, wie etwa die Plastikverpackung um eine geschälte Banane.

 

Die Bekämpfung der Plastikverschmutzung erfordert einen mehrgleisigen Ansatz, bei dem vorgelagerte Regelungen als Grundlage für weitere Bemühungen dienen. Um erfolgreich und wirksam zu sein, muss das globale Abkommen deswegen rechtlich verbindliche Verpflichtungen sowohl für die vorgelagerten als auch für die nachgelagerten Bereiche enthalten. Dies fordert eine große und stetig wachsende Gruppe ehrgeiziger Nationen bei den Verhandlungen.

 

Darüber hinaus wird der Gesamterfolg des Vertrags stark davon abhängen, mit welchen Kapazitäten die Länder und Projekte die Bestimmungen umsetzen können. Die Verhandlungsführenden müssen also die Kluft zwischen hohen Ambitionen und finanzieller sowie technischer Unterstützung für Länder mit begrenzten Kapazitäten überbrücken.

Wie dies erreicht werden kann, ist eine wichtige Frage, an der die Delegationen bis zur nächsten Verhandlungsrunde Ende November im südkoreanischen Busan und wahrscheinlich darüber hinaus arbeiten müssen.