Hat der neue brasilianische Präsident den Wert des Amazonas-Regenwalds nun doch erkannt? Waren die Sorgen, die die Welt angesichts seiner Ankündigungen hatte, den Regenwald für die Wirtschaft zu öffnen, übertrieben?
Nach der Rede von Jair Bolsonaro auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos am gestrigen Dienstag hätte man das fast glauben können. Seinen ersten Auftritt auf der Weltbühne nutzte er, um sich als Versöhner von Umwelt und Wirtschaft zu präsentieren.
"Es ist jetzt unsere Aufgabe, Fortschritte zu erzielen und die Erhaltung der Umwelt und die biologische Vielfalt einerseits mit der dringend benötigten wirtschaftlichen Entwicklung andererseits in Einklang zu bringen, wobei zu bedenken ist, dass beide voneinander abhängen und untrennbaren Säulen unserer Gesellschaft sind."
Vor der versammelten Wirtschaftselite erklärte Bolsonaro: "Diejenigen, die uns kritisieren, müssen noch viel lernen. Wir möchten mit gutem Beispiel vorangehen, und wir möchten, dass die Welt das Vertrauen und die Zuversicht zurückgewinnt, die sie uns schon immer entgegenbrachte."
Auf die Nachfrage des Moderators, was denn seine Pläne zum Schutz der Nachhaltigkeit seien, sagte Bolsonaro, dass Wirtschaft und Umwelt versöhnt werden müssten. "Man sollte das eine nicht stärker betonen als das andere."
Bolsonaro hält an "Öffnung" des Regenwalds fest
Kritiker sehen in den Ankündigungen den Versuch, die globalen Wirtschaftspartner und Investoren nicht zu verschrecken.
Dass Bolsonaro an seinen Plänen zur "Öffnung" des Regenwaldes für die Wirtschaft weiter festhält, verdeutlichte seine Rede in Davos. Er beklagte, dass die Landwirtschaft nur neun Prozent und die Viehwirtschaft 20 Prozent der brasilianischen Fläche in Anspruch nähmen, und kündigte an, dass die beiden Sektoren in Zukunft Grenzen überschreiten würden.
Auch warb er für Investoren, um die Ausbeutung der "reichen Bodenschätze" seines Landes voranzutreiben. "Wir wollen denjenigen, die produzieren, das Leben leichter machen."
Was ist dran an Bolsonaros Klagen, die Wirtschaft werde in Brasilien zulasten des Umweltschutzes gegängelt?
Dinamam Tuxá, Chef der Dachvereinigung der indigenen Gruppen in Brasilien Apib, weist in einem Gastbeitrag für das britische Onlineportal Climate Home darauf hin, dass allein zwischen 1985 und 2015 schon eine Regenwaldfläche von der doppelten Größe Deutschlands verschwunden sei.
Zahlreiche Länder hätten proportional zur Landesfläche sogar eine größere Waldbedeckung als Brasilien – etwa Japan und Südkorea, schreibt Tuxá. Das Gleiche gilt für Naturschutzgebiete. Und während zwischen 2002 und 2012 die Entwaldung in Brasilien zurückging, stieg die Produktion der Landwirtschaft.
Amazonas-Regenwald kurz vor dem Kipppunkt
Mehr als seine Rede dürften Bolsonaros Taten eine Antwort auf die Frage geben, wie es um den Amazonas-Regenwald steht. Der rechtsextreme Präsident hat per Anordnung die Verantwortung für die indigenen Schutzgebiete im Regenwald an das Agrarministerium übertragen. Das Ressort wird jetzt von Tereza Cristina geführt. Sie leitete zuvor die Landwirtschaftsgruppe im Parlament und war als Agrar-Lobbyistin tätig.
Die Schutzgebiete bedecken etwa 13 Prozent der Fläche Brasiliens. Im brasilianischen Regenwald leben nach Angaben von Amazon Watch fast 400 indigene Völker, die auf das intakte Ökosystem ökonomisch und kulturell angewiesen sind.
Der brasilianische Regenwald setzt jährlich ein Viertel des weltweiten Kohlenstoffs um. Er gilt als sogenanntes Kippelement: Es ist eine irreversible Änderung im Klimasystem zu erwarten, wenn die Ausdehnung des Waldes eine bestimmte Fläche unterschreitet. Der brasilianische Klimaforscher Carlos Nobre geht davon aus, dass das bei etwa 20 Prozent Entwaldung sein könnte. Dieser Wert ist schon heute erreicht.