
Brasilien will sich als Vorreiter beim Klimaschutz etablieren. Als Gastgeber der COP 30 im November – der wichtigsten Klimakonferenz seit Paris 2015 – präsentiert sich das Land mit neuen Ambitionen und einem klaren Bekenntnis zum Klimaschutz. Die Regierung kündigt verschärfte Emissionsziele an, will die Entwaldung stoppen und in eine nachhaltigere Wirtschaft investieren.
2022 sprach der heutige Präsident Luiz Ignácio Lula da Silva im Wahlkampf davon, die "räuberische Ausbeutung der natürlichen Ressourcen zu bekämpfen und wirtschaftliche Aktivitäten mit geringeren ökologischen Auswirkungen zu fördern".
Doch bereits in seinem ersten Amtsjahr gab Lulas Regierung 602 neue Explorationsblöcke für Öl und Gas zur Auktion frei. In diesen Gebieten erhalten Unternehmen das Recht, nach Erdöl und Erdgas zu suchen und die fossilen Energieträger zu fördern.
2025, im COP‑30-Jahr, sind es erneut 172 Blöcke. Sie waren zuvor Teil eines Permanent-Bietverfahrens, bei dem sie dauerhaft angeboten wurden. Die Vergabe der Rechte erfolgt nun in einer einmaligen Auktion, bei der die Regierung die Konzessionsrechte für diese Blöcke vergibt.
Die von der brasilianische Öl- und Gasagentur ANP neu zur Auktion freigegebenen Gebiete umfassen insgesamt rund 145.000 Quadratkilometer – das entspricht etwa der Hälfte der Fläche Deutschlands. Mit der Auktion setzt die Regierung ihr Vorhaben fort, Brasilien zu einem der weltweit führenden Ölproduzenten zu machen.
"Eine Weltuntergangs-Auktion"
Mehr als die Hälfte der Öl- und Gasressourcen, die derzeit in Lateinamerika erschlossen werden, befinden sich in Brasilien. "Es ist das Land mit den sechstgrößten kurzfristigen Expansionsplänen, gleich nach den USA, Russland und den Golfstaaten", hebt Heffa Schücking hervor. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin der deutschen Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Urgewald.
An der aktuellen Auktion beteiligen sich neben dem größten brasilianischen Energieunternehmen Petrobras auch internationale Konzerne wie BP, Equinor, Shell und Total aus Europa sowie Chevron und Exxon Mobil aus den USA.
Die brasilianische Klima- und Umweltschutzorganisation Arayara nennt die Versteigerung eine "Weltuntergangs-Auktion". "Was hier zur Debatte steht, ist ernst und schwerwiegend – für die Biodiversität, für die Gemeinden und für das Klima", warnt Nicole Figueiredo de Oliveira, Geschäftsführerin von Arayara.
Brasiliens Erdölagentur argumentiere, das geförderte Öl werde im Ausland verbrannt und habe daher keine Auswirkung auf das nationale Klimaziel, das sogenannte NDC. "Aber der Planet leidet trotzdem, wenn wir weiter Öl verbrennen", kritisiert die Umweltschützerin.
Besonders betroffen von der Auktion sind zahlreiche Gebiete in der ökologisch sensiblen Äquatorialmarge – der kontinentalen Randzone nahe dem Äquator. Auch das Amazonas-Mündungsbecken (Bacia da Foz do Amazonas) im Norden Brasiliens ist betroffen, ebenso Gebiete im nordöstlich gelegenen Potiguar-Becken und im Parecis-Becken weiter im Landesinneren, im Westen des Landes.
Der vierte Klimagipfel in Folge in einem Erdölstaat
Lulas fossiler Entwicklungspfad stößt angesichts der Klimakrise und der bevorstehenden COP 30 in Belém auf internationale Kritik. "Es ist das vierte Mal in Folge, dass eine COP in einem Erdölstaat stattfindet", betont Heffa Schücking.
"Mehr als ein Viertel der jetzt zur Auktion anstehenden Blöcke liegt im Mündungsgebiet des Amazonas – einer der artenreichsten und sensibelsten Regionen weltweit", so Schücking. Der Großteil der Fördergebiete liegt vor der Küste im Meer, nur zwölf Prozent befinden sich an Land.
Fast 80 Prozent der künftigen Öl- und Gasfördergebiete überschneiden sich mit prioritären Schutzgebieten für die Küsten- und Meeresbiodiversität. Besonders umstritten sind 47 Blöcke an der Amazonasmündung, darunter auch Block 59.
Seit mehr als zehn Jahren befindet sich das Gebiet in der Genehmigungsphase, da es sich um ein ökologisch sensibles Gebiet handelt. "Block 59 stellt das Tor zum Amazonasbecken dar und gefährdet die gesamte Amazonas-Küste", betont Nicole Figueiredo de Oliveira.
Betroffen sind auch das artenreiche Amazonas-Riff sowie mehrere besonders geschützte Regionen. Dazu zählen das Unesco-Weltnaturerbe Fernando de Noronha – eine Inselgruppe etwa 350 Kilometer vor der brasilianischen Nordostküste – und das rund 150 Kilometer westlich gelegene Atol das Rocas, das als einziges Atoll im Südatlantik gilt und ebenfalls unter strengem Naturschutz steht. Im Potiguar-Becken im Nordosten Brasiliens befinden sich 17 umstrittene Förderblöcke in unmittelbarer Nähe weiterer Unesco-Schutzgebiete.
Rechtliche Risiken für Investoren
Lateinamerika ist laut Umweltschützerin Schücking ein globaler Hotspot für die Öl- und Gaserkundung. "Seit 2020 wurden auf dem Kontinent über 359.000 Quadratkilometer für die Öl- und Gasexploration freigegeben" – eine Fläche größer als Deutschland.
Doch die Kritik an dem Verfahren betrifft nicht nur die ökologischen Risiken. "Die Umweltprüfung ist nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden", kritisiert Oliveira. Erforderlich sei eine sedimentbezogene Umweltverträglichkeitsprüfung. Diese "Avaliação Ambiental de Área Sedimentar" untersucht, welche Arten in dem Gebiet vom Aussterben bedroht sind, was für Gemeinden es dort gibt und welche wirtschaftlichen Voraussetzungen für das Überleben der Region notwendig sind.
Stattdessen wurde eine gemeinsame Stellungnahme des Ministers für Bergbau und Energie und der Umweltministerin verwendet, die die Prüfung ersetzen soll. Sie läuft jedoch am 18. Juni – nur einen Tag nach der Auktion – aus und betrifft die Mehrheit der zur Auktion stehenden Blöcke.
Hinzu kommt, dass für 45 der 47 Amazonas-Blöcke bislang keinerlei Umweltstudien vorliegen. Die wenigen vorhandenen Gutachten seien teils mehr als 15 Jahre alt und entsprächen nicht mehr den heutigen Anforderungen, betont Oliveira.
Dies berge erhebliche rechtliche Risiken für Investoren, da die Genehmigungen unmittelbar nach der Versteigerung ablaufen und die Konzessionen erst mit Vertragsunterzeichnung wirksam werden. Zudem haben weder die Regierung noch die Erdölbehörde bislang eine umfassende Emissionsbilanz für das Bietverfahren vorgelegt.
"Dieses Narrativ nennen wir 'Gesang der Meerjungfrau'"
Arayara informiert daher die an den Gebieten interessierten Unternehmen schon im Vorhinein über die Risiken. Zusätzlich hat die Umweltorganisation fünf Klagen gegen die aktuelle Öl- und Gasauktion eingereicht – unter anderem auch wegen fehlender Konsultation der rund 560.000 von den Explorationsgebieten betroffenen Menschen und der indigenen Völker. Weiter bemängelt die NGO die fehlende Transparenz bei den Klimarisiken und die Überschneidung mit wichtigen Schutzgebieten.
Trotz Einwänden der Staatsanwaltschaft des Bundesstaates Pará, die gefordert hat, die 47 Förderblöcke im Amazonas-Mündungsgebiet von der Auktion auszuschließen, hält Brasiliens Ölbehörde ANP bislang an dem Angebot fest.
Dennoch zeigt sich Nicole Figueiredo de Oliveira zuversichtlich. "Es gibt eine gute Chance, dass die Vergabe der Förderblöcke gestoppt oder rückgängig gemacht wird, entweder noch vor der Auktion oder danach."
Dem Ton der Regierung, die Förderung sei notwendig für die wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens, widerspricht die Umweltschützerin: "Das ist ein Entwicklungs-Narrativ, das wir 'Gesang der Meerjungfrau' nennen – es klingt wunderschön, aber es ist am Ende nicht wahr."
Beispielsweise schränken die Ölplattformen die Fischerei ein. Aber auch der Strandtourismus leidet durch die Gas- und Ölvorhaben. "Das haben wir vor fünf Jahren gesehen, als ein Ölteppich mehr als 100 Strände in Brasilien bedeckte und der Tourismus einbrach."
Brasiliens Klimapolitik steht vor einer Herausforderung. Denn das Land will seine Ölproduktion deutlich ausbauen und gleichzeitig als COP‑30-Gastgeber eine wichtige Rolle im globalen Klimadiskurs spielen. Urgewald-Chefin Schücking warnt: "Tatsächlich gefährdet die Erschließung weiterer Öl- und Gasfelder unsere Fähigkeit, bis 2050 netto null-Emissionen zu erreichen."
Ergänzung am 19. Juni: Am Ende boten Unternehmen bei der Auktion nur für 34 Blöcke, ein Fünftel des Gesamtangebots. Stark betroffen ist allerdings das "Foz do Amazonas"-Becken, das als eine der sozial und ökologisch sensibelsten Regionen des Landes gilt.