Bei den untersten Einkommen etwas draufpacken und dann die Leute den Klimaschutz selber stemmen lassen? (Bild: Marian Weyo/​Shutterstock)

Das Bürgergeld gehört, das zeichnet sich ab, zu den Streitpunkten einer neuen Koalition von CDU und SPD. Die Union will das Bürgergeld abschaffen und in eine "Neue Grundsicherung" überführen. Die soll mehr Anreize setzen, verfügbare Arbeit anzunehmen, auch soll es mehr Sanktionen geben. Die SPD dagegen will das Bürgergeld retten und auch die aktive Arbeitsmarktpolitik beibehalten.

Keine Rolle spielen bei den Koalitionären die absehbar steigenden Kosten im Zuge der Klimakrise. Meist stehen da steigende CO2-Preise im Fokus, die Heizen und Tanken verteuern.

Es gibt aber auch Wirkungen, die auf den ersten Blick nicht so erkennbar sind. Der ungebremste Klimawandel bedeutet auch mehr Schäden, beispielsweise an Häusern. Ein vom Sturm zerstörtes Dach kann sozial benachteiligten Haushalten Existenzprobleme bringen.

Menschen mit geringen Einkommen sind auch häufiger in Berufen tätig, die vom Klimawandel stärker betroffen sind, etwa von Produktionsausfällen, benennt Benjamin Held von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg eine weitere Folge.

"Wer keine oder nur sehr geringe finanziellen Rücklagen hat, kann nicht einfach seine Sparquote verringern, wenn es gar nichts zu sparen gibt", betonte Held kürzlich bei der Vorstellung eines Gutachtens zur Bestimmung eines sozial-ökologischen Existenzminimums.

Klimawandel gefährdet Existenzsicherung

Die Studie hatte der evangelische Wohlfahrtsverband Diakonie Deutschland bei FEST und weiteren Sozialforschern in Auftrag gegeben. "In der Debatte um den Klimaschutz wird die Perspektive von Menschen mit wenig Geld viel zu oft vergessen", erklärte Diakonie-Vorständin Elke Ronneberger die Motivation zu der Untersuchung.

Das Gutachten zeige, dass die Folgen der Klimakrise auch in Deutschland das Existenzminimum gefährden könnten, wenn die Politik nicht gegensteuere. Bei der Bestimmung des Existenzminimums müssten ökologische Kriterien berücksichtigt werden, mahnte Ronneberger.

Im Gutachten selbst ist dazu zu lesen: Der Klimawandel gefährde die Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums, auch in Deutschland. Dies könnte auch durch nötige Maßnahmen zur Treibhausgas-Reduktion und zur Klimaanpassung geschehen.

Bei den Gutachtern und der Diakonie klingt es ein wenig so, als ob der Klimawandel an den kommenden sozialen Problemen schuld ist. Darüber ist in der Studie allerdings wenig zu lesen. Sie stellt vor allem klar, dass die heutige prekäre Lage von Wenigverdienern und Transferempfängern durch die Politik der letzten 30 Jahre entstanden ist. Dabei war mindestens in den ersten 20 Jahren vom Klimawandel keine Rede.

Regelsatz auch heute nicht höher als vor 30 Jahren

So stiegen von 1995 bis 2020 laut dem Gutachten die verfügbaren Einkommen der obersten zehn Prozent in Deutschland um rund 50 Prozent, bei den untersten zehn Prozent aber nur um vier Prozent. Besonders schlecht entwickelte sich das Einkommen von Transferempfängern, wie Sozialhilfe, Hartz IV oder zuletzt das Bürgergeld.

So ging der entsprechende Regelsatz besonders von 2002 bis 2008, also in der Hochzeit von Hartz IV, deutlich zurück. 2020 lag der Regelsatz immer noch unter dem Niveau von 1995. Das verbesserte sich erst mit dem Bürgergeld wieder. Menschen, die vom Regelsatz leben müssen, haben heute in etwa das verfügbare Einkommen von 1995, stellte Benjamin Held bei der Vorstellung der Studie klar.

Kurvendiagramm: Die Einkommen sind vor allem seit 2014 gestiegen, vor allem für die reichten zehn Prozent, aber überhaupt nicht für die ärmsten zehn Prozent.
Entwicklung der verfügbaren Haushalts­einkommen (nach Dezilen) und des Regelsatzes (1995 = 100, preis­bereinigt, Netto­äquivalenz­einkommen nach neuer OECD-Skala). (Bild: aus dem Gutachten.)
Quellen: 1) Dezildaten: DIW Berlin, SOEP-Daten, Grabka 2024, Daten auf Anfrage zur Verfügung gestellt, eigene Darstellung; 2) Regelsatz: 2.1) Eckregelsätze 1991-2004: Bäcker et al. 2007: S. 324, Tabelle III.19.; 2.2) Regelsätze 2005 bis 2024: Statista, ID 241114, auf Basis von Daten des BMAS; VPI 1995-2017: Statistisches Bundesamt, Genesis-Datenbank, Code: 61111-0001; RPI 2017-2023: auf Anfrage vom BMAS bereitgestellt; Schätzung Preisentwicklung 2024: 2,8 % (Prognose Bundesregierung, Februar 2024)

Der Sozialforscher widersprach auch dem öffentlichen Eindruck, das Bürgergeld habe dafür gesorgt, dass bei seinen Beziehern viel mehr vorhanden sei. "Das lässt sich nicht bestätigen", betonte Held und verwies auch auf eine deutlich vergrößerte Ungleichheit bei den verfügbaren Einkommen. Je höher die Einkommen, desto höher seien über die Zeit die Zugewinne ausgefallen.

Bleibt alles beim Alten, wird sich die Ungleichheit weiter verstärken, konstatiert die Studie. Dann würden die obersten 20 Prozent der Einkommensbezieher noch schneller reich – und die anderen 80 Prozent würden Verluste erleiden, am stärksten die Menschen, die auf den Regelsatz angewiesen sind.

Moderate Umverteilung bremst lediglich das Reichtumswachstum

Das Gutachten plädiert deswegen für eine, wie es heißt, moderate Umverteilung. Das oberste Zehntel müsste ein halbes Prozent seiner Einkommen abgeben. Dies würde auf die unteren Einkommen umverteilt. Die Ungleichheit würde sich dann laut dem Gutachten verringern, allerdings würden die obersten Einkommen weiter schnell wachsen – die Reichen würden nur, salopp gesagt, weniger schnell reich werden.

Mit den ökologischen Kosten des Klimawandels hat all das wenig zu tun. Eine moderate Umverteilung reiche als alleiniger Lösungsansatz für Klimaneutralität auch nicht aus, räumte Sozialforscher Held ein. Aber mit so einer Umverteilung könne in einem gewissen Rahmen darauf reagiert werden, dass CO2-Preise negative soziale Effekte haben. Wer hingegen das Bürgergeld abschaffe, erweise der Transformation einen schlechten Dienst.

Dass ein zusammengestrichenes Bürgergeld die Leute nicht für eine ökologische Transformation einnimmt, ist sofort einsichtig. Doch die Frage "Wie viel Bürgergeld braucht der Klimaschutz?" wird durch das Gutachten auch nicht im Ansatz beantwortet.

Über den Weg, um die Belastungen durch die Klimapolitik auszugleichen, scheinen Diakonie und Klimaforscher uneins zu sein. Müssen die unteren Einkommen so weit erhöht werden, dass Haushalte die Transformation gewissermaßen individuell schultern können? Oder können "kollektive" Lösungen günstiger sein wie beispielsweise ein Deutschlandticket für 25 oder gar neun Euro, das sich so gut wie alle leisten könnten?

Auf individuelle Klimalösungen zu setzen reicht nicht

Das Gutachten verheddert sich bei diesen Fragen. Es spricht sich für einen Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge aus, für eine soziale Ausrichtung von Förderprogrammen oder für ein sozial gestaffeltes Klimageld. Aber schon bei der Frage, ob dieses Klimageld auf ein Bürgergeld draufgeschlagen oder angerechnet werden soll, gibt es keine Klarheit.

Die Klimawissenschaftlerin Brigitte Knopf warnte zur Präsentation des Diakonie-Gutachtens davor, Klima und Soziales "gegeneinander auszuspielen". Vielmehr müsse beides zusammengedacht werden.

Aus Sicht von Knopf muss zunächst in der Klimapolitik selbst die soziale Dimension stärker beachtet werden. Bisherige Förderprogramme für E‑Autos oder für Gebäudesanierung seien vor allem reicheren Haushalten zugutegekommen.

 

Der Anspruch auf ein sozial-ökologisches Existenzminimum ist für die Klimaforscherin letztlich aber nicht auf einer individuellen Ebene einlösbar. Für die Menschen müssten die Chancen, die Klimaschutz biete, besser herausgearbeitet, "erfahrbar" gemacht werden, erklärte Knopf.

Einfach gesagt: Wenn ein Haus saniert und auf klimaneutrale Wärme umgestellt wird, dies aber warmmietenneutral geschieht, muss nicht mehr Einkommen aufgewendet werden – und dem Klima und der Lebensqualität ist gleichermaßen geholfen.

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