Durch Unterspülung zerstörte Asphaltstraße und Bahnstrecke in Schlottwitz bei Glashütte.
Nach jedem Hochwasser alles eins zu eins wieder aufbauen – das geht nicht mehr. (Foto: Harald Weber/​Wikimedia Commons)

Der Klimawandel hat sich in diesem Sommer besonders deutlich bemerkbar gemacht. Als Zeitungsjournalist hat man die Qual der Wahl: Soll man was zum Streit um das knapper werdende Trinkwasser, zu den Niedrigständen der Flüsse, den Dürrefolgen oder doch eher zu Rekord-Waldbränden machen?

Doch egal, welcher Bereich herausgegriffen wird – bei der Suche nach konkreten Anpassungsmaßnahmen in Deutschland wird es dank des berühmten deutschen Föderalismus-Flickenteppichs unübersichtlich.

Umso verdienstvoller ist es, dass sich Spiegel-Redakteurin Susanne Götze und Correctiv-Journalistin Annika Joeres in ihrem neuen Buch "Klima außer Kontrolle" die Mühe machen, das Thema in all seiner Vielschichtigkeit zu durchleuchten.

Die Autorinnen klettern mit Geografen in den Alpen über metertiefe Erdspalten, stehen mit Landschaftsökologen im Wattenmeer, lassen sich von Bodenökologen Test-Äcker in Sachsen-Anhalt zeigen und laufen mit Stadtplanerinnen durch Hitzeinseln in der Duisburger Innenstadt.

Was die Kapitel deutlich machen: Es gibt sehr viele kompetente Menschen, die wissen, wie Anpassungsstrategien hierzulande aussehen müssten. Doch in der politischen Umsetzung stehen wir noch ganz am Anfang.

Was unterschiedliche Gründe hat. "Aus Geiz, Unwissenheit und Profitgier treffen wir an vielen Stellen nicht die nötigen Vorbereitungen, um unsere Bevölkerung zu schützen", schreiben die Autorinnen. "Das grenzt an Fahrlässigkeit."

Dass es hier buchstäblich um Leben und Tod geht, zeigte die Flutkatastrophe im rheinland-pfälzischen Ahrtal im Sommer 2021, bei der 134 Menschen ums Leben kamen und hunderte Gebäude zerstört wurden.

Die Katastrophe wirkte bundesweit wie ein Schock, da sie zeigte, wie verwundbar auch ein reiches Industrieland angesichts des Klimawandels ist, und sie hatte letztlich sogar Auswirkungen auf das Ergebnis der Bundestagswahl.

Flächen zu versiegeln ist lukrativ

Der Weckruf wurde trotzdem nicht gehört. Für Götze und Joeres ist das überraschend: Beim Wiederaufbau im Ahrtal werden frühere Fehler wiederholt. Mit wenigen Ausnahmen werden die Häuser an der alten Stelle neu errichtet, obwohl die Hochwassergefährdung nun bewiesen ist.

Dabei war das Ausmaß der Katastrophe deshalb so groß, weil über die Jahrzehnte Gebäude immer näher ans Wasser gerückt waren. Hotels am Fluss bringen eben mehr Touristen. Neubausiedlungen mit Wasserblick locken einkommensstarke Familien an.

Experten warnen unermüdlich, das Wasser im Tal brauche viel mehr Platz. Die geringe Umsiedlungsrate sei ein Fehler. Doch die lokale Politik schielt auf Wählerstimmen und verspricht großspurig, dass alles so wird wie vorher.

Es gibt in Deutschland interaktive Hochwasserkarten, auf der jeder sehen kann, ob er in einem Gefahrengebiet lebt. Theoretisch sollte dort nicht gebaut werden dürfen.

Warum die Realität anders aussieht, haben die Autorinnen nach langer Recherche und in vielen Gesprächen ermittelt: "Es gibt rechtliche Regelungen für den Schutz von Überschwemmungsflächen. Die haben aber zu viele Ausnahmen. Alle bemühen sich angeblich um Hochwasserschutz, aber der ist teuer, aufwendig, zeitintensiv und belastet Hausbesitzer und Gemeinden."

Transparenz sei das erklärte Ziel, in der Realität aber würden, schreiben Götze und Joeres, unangenehme und wertmindernde Informationen gern weggelassen. "Die politische Fahrlässigkeit ist auch Ergebnis finanzieller Interessen, denn für Kommunen wie für Investoren ist es lukrativ, Flächen zu versiegeln und zu bebauen. Dadurch gehen noch mehr Retentionsflächen verloren und Fluten werden dann eben katastrophaler in ihrem Ausmaß."

Dass man sich in Deutschland so wenig um Vorbeugung kümmert, ist auch aus anderem Grund nicht nachvollziehbar: 30 Milliarden Euro lässt sich die Bundesregierung den Wiederaufbau im Ahrtal kosten. Schäden und Verluste sind teuer, Vorbeugung wäre deutlich günstiger.

Schwächen des Föderalismus

Bei der aber wird gekleckert: Zählt man alle Anpassungsprogramme zusammen, kommt man auf 1,5 Milliarden pro Jahr. Und in einem neuen, angekündigten Anpassungs-Sofortprogramm von Umweltministerin Steffi Lemke stehen rechnerisch pro Kommune 1.250 Euro bereit, verteilt auf vier Jahre.

Fraglich ist zudem, ob das wenige Geld überhaupt abgerufen wird. In den meisten Kommunen gibt es laut Götze und Joeres bis heute keine Anpassungsstrategie.

Das Verdienst der Publikation ist es, dass sie anschauliche und informative Reportagen über einzelne Bereiche bietet, aber auch Ursachen und Zusammenhänge beleuchtet. Aufgezeigt wird die Schwäche unseres föderalistischen politischen Systems, bei dem jeder die Verantwortung weiterschiebt und bürokratische Hindernisse die Anpassung bremsen.

Aber es geht auch um wirtschaftliche Interessen und psychologische Faktoren, die erklären, warum gegen besseres Wissen alles weiterläuft wie bisher.

Allerdings tat sich auch die Klimabewegung mit dem Thema lange Zeit schwer. Das hatte Gründe: Die Forderung nach ambitionierterem Klimaschutz soll ja gerade verhindern, dass umfangreiche Anpassungsmaßnahmen nötig werden.

Das Buch

Susanne Götze, Annika Joeres: Klima außer Kontrolle. Fluten, Stürme, Hitze: Wie sich Deutschland schützen muss. Piper, München 2022, 335 Seiten, 20 Euro. Das Buch ist ausgewählt für die Longlist des NDR-Sachbuchpreises.

Vor allem ist der Umkehrschluss heikel: Wer sich an die Klimawandelfolgen anpasst und sich schützt, kommt mit gescheiterten Klimazielen besser klar. Außerdem hatte Anpassung bisher auch den Ruch, dass reiche Staaten einfach ihre Dämme erhöhen, sich in Prepper-Manier vom Rest der Welt abschotten.

An dieser Stelle hat das Buch von Götze und Joeres aber auch eine positive und optimistische Botschaft parat: Viele Anpassungsstrategien beinhalten Maßnahmen, die das Leben besser machen und die auch Treibhausgase einsparen. Man denke nur an Aufforstung, die Schaffung von Auenwäldern und die Renaturierung von Mooren oder daran, dass Städte grüner und fußgängerfreundlich werden müssen.

Oder wie es die Autorinnen abschließend formulieren: "Es müsste der Blick für naturnahe Lösungen geweitet werden – und diese dürfen nicht mehr als 'Ökoprojekte' abgetan werden. Das Zusammenspiel von Mensch und Natur muss zur Grundlage von Fördermaßnahmen und Gesetzen werden."

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