Von außen betrachtet erscheinen Klimawissenschaftler:innen oft als nüchterne Diagnostiker:innen einer globalen Krankheit: Sie berechnen Szenarien, analysieren Kipppunkte, führen Interviews und liefern quantitative sowie qualitative Daten.
Doch hinter den Zahlen, Modellen, Beobachtungen und Interpretationen stehen Menschen – Menschen, die sich nicht nur mit hochkomplexen, weitreichenden Fragestellungen auseinandersetzen, sondern auch mit den emotionalen Auswirkungen ihrer Arbeit konfrontiert sind. Wer sich täglich mit den dramatischen Folgen der Klimakrise beschäftigt, bleibt davon selten unberührt.
Die emotionale Betroffenheit von Klimawissenschaftler:innen äußert sich vielfältig: in der Sorge über unzureichende Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen, in der Angst vor Worst-Case-Szenarien, in der Trauer über bereits verlorene Lebensräume oder in Frustration über politische Untätigkeit, gesellschaftlichen Widerstand und strukturelle Blockaden – und nicht zuletzt in Mitgefühl mit jenen, die unmittelbar von Dürren, Überschwemmungen, Hitze oder steigendem Meeresspiegel betroffen sind.
Dieses emotionale Erleben ist selten eindimensional. Es ist vielmehr von großer Ambivalenz geprägt: Neben wissenschaftlicher Neugier und der Faszination für Mensch-Umwelt-Beziehungen stehen die Besorgnis über die Tragweite der Forschungsergebnisse und die dringende Notwendigkeit entschlossenen Handelns für mehr Klimaschutz und Klimaanpassung.
"Einen Brand melden, den niemand löschen will"
Zugleich können Gefühle der Verantwortung und beruflichen Integrität mit Resignation, Erschöpfung und Ohnmacht einhergehen – besonders dann, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse wiederholt ignoriert, nicht in politisches und gesellschaftliches Handeln übersetzt oder gar mit persönlichen Anfeindungen und Hass quittiert werden.
Anna Lena Bercht
ist Postdoktorandin am Geographischen Institut der Universität Kiel. Zuvor war sie als Gastwissenschaftlerin am Stockholm Resilience Centre der Universität Stockholm in Schweden tätig. Sie forscht zu Klimagerechtigkeit, Klimakommunikation und psychologischen Barrieren bei der Klimaanpassung.
"Manchmal fühlt es sich an, als würde ich täglich einen Brand melden, den niemand löschen will", beschreibt eine Kollegin ihren emotionalen Zwiespalt.
Und dennoch: Viele Klimawissenschaftler:innen sind getragen von tiefer Motivation und Wissbegierde, großer Entschlossenheit, Idealismus sowie einem starken Sinn für ihre Arbeit.
Hoffnung und Energie schöpfen sie aus kleinen Erfolgen, aus engagierter Zusammenarbeit, aus der Überzeugung, dass ihre Forschung positive Veränderung bewirken kann – und aus dem solidarischen Austausch mit Kolleg:innen, die ein ähnliches Spannungsfeld an Emotionen erleben.
Der Spagat zwischen emotionaler Betroffenheit und dem tiefen Bedürfnis, Zusammenhänge zu verstehen, aufzuklären und Lösungen zu entwickeln, fordert eine besondere Form emotionaler Resilienz und macht deutlich, wie eng Wissenschaft und Emotionen miteinander verflochten sind.
Wenn Klima-Daten Gesichter bekommen
Diese Verflechtung zeigt sich besonders eindrücklich in der ethnografischen Feldforschung, wenn Forschende direkt in die Lebenswirklichkeiten der Menschen eintauchen.
Anders als bei Labor- oder Schreibtischarbeit sind die Wissenschaftler:innen unmittelbar vor Ort mit den realen Auswirkungen der Klimakrise konfrontiert – vor allem in der Arktis und in Regionen des globalen Südens, wo die Bevölkerung am wenigsten zur Entstehung der Krise beigetragen hat.
Über Wochen oder Monate hinweg leben die Forschenden im direkten Umfeld der vom Klimawandel Betroffenen, führen Interviews, beobachten, hören zu – und bauen dabei oft enge, vertrauensvolle Beziehungen auf.
So erfahren sie aus nächster Nähe, was es bedeutet, durch Überschwemmungen Häuser zu verlieren, sich an rückläufige Fischbestände anzupassen, unter Wasserknappheit zu leiden oder zur Migration gezwungen zu sein – was es heißt, Träume aufzugeben, Heimat und Identität zu verlieren und mit Trauer, Verunsicherung und Angst zu leben.
Die Erzählungen und persönlichen Begegnungen hinterlassen Spuren. Gefühle wie Solidarität und Verbundenheit mischen sich mit Mitleid, Erschöpfung und Hilflosigkeit.
Notwendige Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle
Aus Beobachtenden werden Mitfühlende, aus reinen Datensammler:innen werden Zeug:innen von Not und Verletzlichkeit, aber auch von Stärke, Widerstandskraft und alltäglichen Bewältigungsstrategien. Die Nähe zu den Betroffenen lässt abstrakte Daten und Modelle lebendig werden: Sie erhalten Gesichter, Stimmen und Geschichten.
Solche Erfahrungen lassen sich nicht einfach im Forschungstagebuch ablegen. Sie machen geschützte Räume notwendig – für Austausch, Reflexion und emotionale Verarbeitung.
Verena Sandner Le Gall
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geographischen Institut der Universität Kiel. Sie ist Gründungs- und Aufsichtsratsmitglied der Genossenschaft The Generation Forest. Sie arbeitet mit Indigenen-Gemeinschaften Zentralamerikas zur politischen Ökologie von Gesellschaft-Meer-Beziehungen, Vulnerabilität und Klimaanpassung.
Im Zentrum steht dabei auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle: Wo verläuft die Grenze zwischen Anteilnahme und notwendiger professioneller Distanz? Wie lassen sich Empathie und Sensibilität bewahren, die für die ethnografische Arbeit so essenziell sind, ohne sich emotional zu überfordern?
Auch ethische Fragen und die Reflexion der eigenen Positionalität rücken in den Fokus: Wie beeinflusse ich das Forschungsfeld – und wie beeinflusst es mich?
Lösen meine Interviewfragen Wut, Angst und Schmerz aus und wie gehe ich damit um? Welche wissenschaftlichen, kulturellen und sozialen Perspektiven und – zum Beispiel weißen – Privilegien bringe ich mit?
Dabei geraten auch strukturelle und historische Machtverhältnisse in den Blick, darunter Fragen der Klimagerechtigkeit und die Verantwortung des globalen Nordens, etwa im Hinblick auf die Klimakrise als Ausdruck kolonialer Kontinuitäten.
Spielräume zum Handeln sind ungerecht verteilt
Diese Reflexion erfordert nicht nur methodisches Feingefühl, sondern auch die Bereitschaft zur kritischen Selbstreflexion – im Bewusstsein, dass die Klimakrise uns alle betrifft, aber nicht alle gleich. Dass Handlungsspielräume ungerecht verteilt sind – entlang asymmetrischer Linien von Macht, Wissen, Kapital und Zugang.
Dieses Bewusstsein hat sich im Rahmen unserer Forschung zu den Folgen des Klimawandels – bei den Küstenfischer:innen auf den Lofoten in der norwegischen Arktis, in der indigenen Gemeinschaft der Guna in Panama und bei Subsistenzbäuerinnen und -bauern in Äthiopien – noch einmal vertieft. Nicht zuletzt durch Gefühle von Schuld und Privilegiertheit, die, je nach Kontext, aus unserer Positionalität als weiße, akademisch gebildete Frauen aus dem globalen Norden resultieren.
Im Austausch mit lokalen Gesprächspartner:innen wurden wir mit berechtigten Vorwürfen und Zweifeln konfrontiert – in konzentrierter Form so:
"Ihr aus den reichen Ländern seid schuld daran, dass Mutter Erde leidet und wir jetzt unsere Inseln verlassen müssen."
"Eure Forschung dauert viel zu lange, wir brauchen jetzt Lösungen."
"Du fährst wieder zurück nach Deutschland, und wir müssen sehen, wie wir hier klarkommen."
Solche Aussagen berühren. Sie rütteln an der vermeintlichen Trennung zwischen Forschenden und Betroffenen und können Gefühle von Unsicherheit und Unbehagen hervorrufen, die sich nicht immer leicht einordnen lassen.
Die Frage, was es bedeutet, inmitten einer Krise zu forschen, von der andere unverhältnismäßig stärker betroffen sind, verlangt eine ehrliche Auseinandersetzung mit den eigenen Positionen und Grenzen.
Umso wichtiger ist es, Kolleg:innen aus dem globalen Süden und Betroffene als Expert:innen ihrer eigenen Lebensrealität in die Forschung einzubeziehen – nicht nur als "Datenlieferant:innen", sondern als gleichberechtigte Partner:innen auf Augenhöhe.
Emotionalität und Professionalität sind kein Widerspruch
In einer Wissenschaftskultur, die vermeintliche Objektivität und Neutralität hochhält, bleiben Gefühle wie Schuld, Trauer, Wut oder Verzweiflung von Klimawissenschaftler:innen oft unausgesprochen – aus Sorge, als unseriös zu gelten und an wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Lisa Schipper
ist Professorin für Entwicklungsgeografie am Geographischen Institut der Universität Bonn. Sie war koordinierende Leitautorin des sechsten Sachstandsberichts des IPCC. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf den Zusammenhängen zwischen Anpassung und Entwicklung. Sie untersucht insbesondere die Ursachen der Verletzlichkeit gegenüber dem Klimawandel.
Das dominante Wissenschaftsverständnis gewährt wenig Raum für persönliche Betroffenheit. Emotionen gelten schnell als Störfaktor – als Zeichen von Schwäche und mangelnder Professionalität.
Doch die Gleichsetzung von Professionalität mit Emotionslosigkeit ist nicht nur unrealistisch, sondern auch problematisch. Sie verkennt, dass Forschen, gerade im Kontext der Klimakrise, immer auch ein Beziehungsgeschehen ist und Emotionen ein integraler Bestandteil eines verantwortungsvollen Zugangs zur Klimakrise sind.
Die eigentliche Herausforderung sollte daher nicht darin bestehen, Emotionen zu unterdrücken oder zu verleugnen, sondern darin, sie bewusst wahrzunehmen, kritisch zu reflektieren und konstruktiv in den Forschungsprozess einzubinden.
Emotionen können zu einer Quelle von Erkenntnis werden – sie können aufmerksam machen auf blinde Flecken im eigenen Denken, auf Widersprüche, Ungleichheiten und Handlungsbedarf. Sie ermutigen dazu, etablierte Denk- und Handlungsmuster zu hinterfragen und neue Perspektiven zu eröffnen.
Menschlichere Wissenschaft ist glaubwürdiger
Eine reflexive Wissenschaftskultur, die Emotionen nicht ausblendet, sondern anerkennt und aktiv integriert, ist keineswegs unprofessionell – vielmehr ist sie menschlicher, kontextsensibler und letztlich glaubwürdiger.
Ein ehrlicher, transparenter Umgang mit Emotionen kann Vertrauen schaffen – sowohl innerhalb wissenschaftlicher Teams als auch im Dialog mit der Gesellschaft. Wer offenbart, Angst zu empfinden, wütend oder traurig zu sein, macht sich immer noch angreifbar, aber auch nahbar und authentisch.
Die Klimakrise ist eine zutiefst menschliche Herausforderung. Sie zu bewältigen, verlangt auch eine Wissenschaft, die den Mut hat, verletzlich zu sein.
Dabei geht es nicht darum, Panik zu schüren oder persönliche Überforderung und Selbstmitleid in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen. Gefragt ist vielmehr eine bewusste Balance zwischen emotionaler Offenheit und professioneller Reflexion.
Wichtig ist, dass Wissenschaftler:innen ihre Emotionen – insbesondere Angst, Wut oder Verzweiflung – nicht ungefiltert in die Öffentlichkeit tragen. Emotionale Betroffenheit sollte nicht isoliert stehen, sondern verantwortungsvoll kontextualisiert werden: auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend, durch sachliche Informationen gestützt und in eine lösungsorientierte Kommunikation eingebettet.
Aufbau unterstützender Strukturen nötig
Damit ein offener Umgang mit Emotionen nicht nur ein individueller Anspruch bleibt, sondern auch im Forschungsalltag gelebt werden kann, braucht es unterstützende institutionelle Strukturen. Formate wie Workshops zu emotionaler Resilienz, Methoden reflexiver Praxis oder Mentoring-Programme, kollegiale Supervision und auch Therapieangebote können hilfreiche Räume schaffen.
Auch in der Aus- und Weiterbildung sollten Kompetenzen im Umgang mit emotionalem Stress, in Selbstfürsorge und in kollegialer Unterstützung gezielt vermitteln werden, etwa im Rahmen von Studiengängen, Doktorandenkolloquien oder Fortbildungen.
Solche Maßnahmen fördern auch eine Kultur der Achtsamkeit und Solidarität innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Sie tragen dazu bei, das Ausblenden oder Herunterspielen emotionaler Belastungen zu durchbrechen, Isolation vorzubeugen und eine Sprache für das zu finden, was oft unausgesprochen bleibt.
Entscheidend ist: Emotionen gehören zum Forschen dazu – als Ausdruck persönlicher Betroffenheit, Verantwortung und Verbundenheit. Sie sollten nicht ausgeblendet, sondern als integraler Bestandteil wissenschaftlicher Praxis anerkannt und ernst genommen werden.