Autoverkehr in einer US-amerikanischen Großstadt, transparent darüber gelegt sind technisch-geometrisce Strukturen, alles blau eingefärbt.
Ein selbstfahrendes Auto erzeugt jeden Tag 4.000 Gigabyte an Daten, die alle durchs Netz geleitet werden. (Foto: Gerd Altmann/​Pixabay)

Klimareporter°: Herr Santarius, das Internet verbraucht weltweit rund zehn Prozent des Stroms, bis 2030 könnten es laut Prognosen 30 Prozent sein. Ist das verkraftbar?

Tilman Santarius: Wenn die Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien dazu führt, dass wir in allen Bereichen – im Haushalt, in der künftigen Elektromobilität, in der Industrie, beim Konsum – die Stromnachfrage drastisch reduzieren, dann ja.

Dann würde zwar der Anteil digitaler Geräte am Stromverbrauch steigen, aber insgesamt ließe sich mit verringertem Stromverbrauch die Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien leichter bewältigen.

Sehr wahrscheinlich ist diese Variante aber nicht.

Was sind die richtigen Stellschrauben, um die Internet-Nutzung klima- und umweltverträglich zu machen? 

Wenn die Digitalisierung noch zunimmt, aber zugleich der Stromverbrauch – und überhaupt Energieverbrauch – zurückgehen soll, dann braucht es dafür einerseits eine sehr aktive Gestaltung digitaler Tools. Also nicht noch mehr Video-Streaming, Social Media, Gaming und Shopping-Assistenten. Zudem Vorsicht bei künftigen energieintensiven Anwendungen der künstlichen Intelligenz, wenn diese nicht ausdrücklich Nachhaltigkeitsziele verfolgen.

Und andererseits braucht es flankierende Maßnahmen, wie etwa eine steigende Ökosteuer oder Verbrauchsstandards für Elektroautos, die Anreize setzen, den Stromverbrauch zu verringern.

Internetkonzerne wie Apple werben damit, dass sie mit Ökostrom arbeiten. Ist das ein Vorbild? 

Unbedingt. Aber 100 Prozent Ökostrom hat Apple leider nicht. Dennoch ist es erfreulich, dass Unternehmen wie Apple oder Google hier vorangehen. Amazon hingegen bezieht den Strom "aus der Steckdose" und hat damit nur ein paar Prozent Ökostrom.

Porträtaufnahme von Tilman Santarius.
Foto: ECDF

Tilman Santarius

ist Professor für Sozial-Ökologische Transformation und Nachhaltige Digitalisierung an der TU Berlin und am Einstein Center Digital Future. Der Soziologe und Ökonom forschte zuvor am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie über zukunftsfähige Globalisierung und war bei der Heinrich-Böll-Stiftung für internationale Klima- und Energiepolitik zuständig.

Doch bei allem Vorbildcharakter: Eine Umstellung auf Ökostrom reicht nicht. Die Unternehmen – wie auch die Nutzer und die Politiker – müssen sich auch immer wieder die Frage stellen, welchen Zielen die Anwendung digitaler Tools dienen soll.

Es gibt beispielsweise Rechenzentren für das Bitcoin-Mining, die mit Ökostrom laufen. Aber leistet das Echtzeit-Trading virtueller Währungen einen Beitrag zur Nachhaltigkeit? Mitnichten. Und wenn die Bitcoin-Rechenzentren mit Ökostrom laufen, dann kann dieser nicht für andere Nachfragebereiche genutzt werden, die sinnvoller sind.

Sollten Anwendungen wie die Kryptowährung Bitcoin verboten werden?

So rigoros würde ich es jetzt auch wieder nicht machen. Aber insgesamt sollte dem Handel mit Währungen und der Hochgeschwindigkeits-Spekulation an den Finanzmärkten dringend Sand ins Getriebe gestreut werden – zum Beispiel mit einer Finanztransaktionssteuer oder vergleichbaren Instrumenten.

Eine einzige Berechnung eines "Blocks" in der Bitcoin-Datenkette ist 10.000-mal so energieintensiv wie eine Kreditkartentransaktion ...

Das stimmt nach groben Schätzungen, gilt aber nur für Bitcoins. Nicht alle Anwendungen der Blockchain-Technologie sind so energieintensiv. Beispielsweise könnten Blockchain-basierte Verträge mit wesentlich weniger komplexen Berechnungen auskommen und würden entsprechend weniger Energie fressen.

Trotzdem ist es eine völlig irrsinnige Vorstellung einiger eingeschworener Blockchain-Fans, mit der breiten Anwendung der Blockchain-Technologie ließe sich eine nachhaltige Ökonomie realisieren.

Leider ist das in der Öffentlichkeit und Politik noch nicht angenommen, hier sitzt man immer noch einem naiven Hype auf. Ich würde Blockchain nicht verbieten, aber zusehen, dass es eine Nischentechnologie für spezielle Anwendungsfelder bleibt.

Immer mehr Lebensbereiche werden digitalisiert, wodurch die Datenmengen extrem zu wachsen drohen. Ein einziges selbstfahrendes Auto zum Beispiel kann nach Ihren Berechnungen, Herr Santarius, jeden Tag locker 4.000 Gigabyte an Daten generieren, die alle über das Netz geleitet werden müssen. Was bedeutet das für die erhoffte klimafreundliche Verkehrswende? 

Wenn die über 40 Millionen Pkw auf deutschen Straßen auch nur zum Teil aus selbstfahrenden Autos bestehen würden, wäre das eine Katastrophe für den Klima- und Ressourcenschutz. Denn das würde wegen der ungeheuren Mengen an Datentransfers nicht nur jede Menge Energie fressen. Auch die digitalen Infrastrukturen – Serverparks, Rechenzentren, Hochgeschwindigkeitsnetzwerke wie 5G – kosten ja ungeheure Mengen an Ressourcen.

Aber von diesem Schreckgespenst mal abgesehen: Der Hype um selbstfahrende Autos ist eigentlich schon wieder vorbei. Kaum jemand, der sich ernsthaft mit der Technik sowie mit den rechtlichen Fragen beschäftigt, die an der Nutzung hängen, glaubt heute noch, dass die Dinger kommen werden. Auch das ist leider noch nicht überall angekommen.

Das Internet bietet aber auch viele Chancen für eine klimafreundliche, nachhaltige Entwicklung. Wo liegen die größten Potenziale? 

Statt der digitalen Aufrüstung des individuellen Pkw-Verkehrs sehe ich große Chancen, den öffentlichen Verkehr mithilfe der Digitalisierung nutzerfreundlicher und auch umweltfreundlicher zu machen. Wenn die Nutzer mit einem Klick ein integriertes Ticket kaufen könnten – zum Beispiel für das Bikesharing von zu Hause zum S-Bahnhof, die Fahrt mit der S-Bahn an den Stadtrand und die Überwindung der letzten Meile per Carsharing – und wenn auch noch alle Verkehrsträger und Zeitpläne intelligent aufeinander abgestimmt sind, dann kann die Digitalisierung der Verkehrswende einen neuen Frühling bescheren.

Was muss die Politik tun, um eine nachhaltige Digitalisierung voranzubringen und Auswüchse zu stoppen?

Im Experten-Schnack sagen wir: Es braucht den vollen Policy-Mix aus Regulierung, Anreizen und Rahmenbedingungen. Zum Beispiel brauchen wir eine IT-Designrichtlinie, die festschreibt, dass digitale Geräte modular und reparierfähig aufgebaut werden, lange halten, bis zum Nutzungsende von den Herstellern mit Updates versorgt werden, energie- und ressourcensparend produziert werden und laufen.

Sodann braucht es Anreize, etwa Subventionen oder Forschungsförderung, beispielsweise für eine datenoffene Plattform zur Steuerung des öffentlichen Verkehrs oder um nachbarschaftliche, dezentrale Energieverbünde aus erneuerbaren Energien zu entwickeln.

Und drittens sollte die Politik das Ganze mit allgemeinen Rahmenbedingungen flankieren, etwa steigenden Ökosteuern – oder beispielsweise einer Reform des Monopolrechts, damit die digitalen Lösungen von morgen nicht von Google, Facebook und Amazon stammen.

Könnte Deutschland hier eine Vorbildfunktion bekommen, gibt es Ansätze dazu? 

Ich bin hocherfreut, dass das Umweltministerium die Zeichen der Zeit erkannt hat und sehr gewillt ist, das Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit voranzutreiben. Das macht derzeit kaum ein anderes Land. Aber noch ist offen, ob auch genügend Taten folgen werden. Und ob Deutschland andere Länder – mindestens in der EU – überzeugen kann, mitzumachen.

Derzeit sind weltweit rund 2,5 Milliarden Menschen "online". Was kann der Einzelne tun, um sich dabei nachhaltig zu verhalten?

Nachhaltige Produkte kaufen, denn das geht online genauso einfach per Mausklick, wie Wohlstandsschrott bei Amazon zu kaufen. Vorsicht bei datenintensiven Anwendungen walten lassen, vor allem beim Video-Streaming. Wer in der Straßenbahn Video streamt, hat fast den gleichen Energieverbrauch wie jemand, der mit dem Auto nebenher fährt.

Und insgesamt sollte man sich immer wieder die Frage stellen: Wie viel permanente Vernetzung brauche ich eigentlich, um ein glückliches Leben zu führen?

Und was halten Sie vom Internet-Fasten? 

Für viele wohl eine super Idee, um sich die Abhängigkeit von der Technik immer mal wieder vor Augen zu führen und partiell abzugewöhnen. Und für die vermutlich fünf bis zehn Prozent Internet- beziehungsweise Smartphone-süchtigen Menschen in Deutschland eine dringend zu empfehlende Therapie!

Anzeige