Marlon Brando als Colonel Kurtz in Francis Ford Coppolas Antikriegsfilm
Zum Glück hat Colonel Kurtz (Marlon Brando) in "Apocalypse Now" nicht auch noch den Tropenwald massakriert. Da blieben die Viren in den Tieren. (Foto: Todd Barnard/​Flickr, CC BY‑SA 2.0)

"Das Grauen, das Grauen", raunt Marlon Brando alias Oberst Kurtz, ein durchgeknallter US-Militär, der im vietnamesischen Urwald eine surrealistische Gewaltherrschaft über desertierte Soldaten und Angehörige einheimischer Bergvölker aufgebaut hat und jetzt von einem Kommando der US-Army zur Strecke gebracht werden soll. Es ist eine Schlüsselszene aus Francis Ford Coppolas Antikriegs-Thriller "Apocalypse Now" von 1979. Vierzig Jahre später haben wir nun die Apokalypse, zumindest bahnt sich etwas an, das diese Züge trägt.

"Das Grauen", denke ich manches Mal, wenn die Menschen auf der Straße einen großen Bogen um sich machen, wenn man beim gelegentlichen Miteinander-Kommunizieren im Social-Distancing-Modus nur noch daran denkt, dass man sich jetzt vielleicht eine Tröpfcheninfektion einfangen könnte. Wenn die Medien kein anderes Thema mehr kennen, wenn man morgens mit Corona aufsteht und abends mit dem Virus zu Bett geht.

Und wenn man darüber nachdenkt, dass das womöglich alles erst der Anfang ist. Denn vieles spricht dafür, dass uns die größte Wirtschaftskrise seit 1929 bevorsteht.

Aber es gibt natürlich auch ein paar, nun ja, Lichtblicke und Kuriositäten. Dass dieses Jahr das Münchner Oktoberfest ausfällt, gehört zu den Dingen, die ich am wenigsten bedaure, weil einem das den Anblick von im Pseudo-Trachtenlook kostümierten Touristen erspart und die Betrunkenen in der U-Bahn.

Und dass es jetzt an jeder Straßenecke handgeschneiderte Atemschutzmasken zu kaufen gibt, die manche Leute sogar im eigenen Auto tragen, wenn sie allein unterwegs sind, ist eigentlich irre komisch, wenn es nicht so irre wäre.

Nur gefühlt

Aber weder Oper noch Theater noch Konzerte womöglich bis Jahresende, das geht mich schon schwer an. Und vorerst keine Restaurantbesuche, keine Treffen mit Freuden, kein Kurzurlaub in Südtirol, keine Französischstunde bei Monsieur.

Eigentlich bin ich dann doch, bei allen ökologischen Bedenken, sehr gerne in Urlaub gefahren. Denn selbst wenn man nur zehn Tage in einem Nachbarland wie Frankreich oder Italien unterwegs ist, summiert sich die Erholungswirkung auf einen deutlich längeren Zeitraum.

Man freut sich ja schon ein paar Wochen vor Reiseantritt über den bevorstehenden Tapetenwechsel und zehrt danach noch ein paar Tage von den Erinnerungen und mitgebrachten regionalen Spezialitäten. Jetzt dehnt sich die Zeit zäh und ereignislos ins Unbekannte. Und die größte Abwechslung des Tages ist der Gang zum Supermarkt mit Schutzmaske, hinter der man keine Luft bekommt.

Solange die Krise oder die Apokalypse nur gefühlt ist, oder von manchen sogar ersehnt, kann man sich ganz gut darin einrichten. Vor allem, wenn man glaubt, man gehöre zu einer Gruppe Auserwählter, die das Grauen schon immer haben kommen sehen, verbunden mit der eitlen Hoffnung, dass einen die eigene Auserwähltheit vor den ärgsten Folgen der Apokalypse schützen möge.

So wie die Leute, die in Katastrophenfilmen immer als erste vor dem drohenden Unheil warnen, aber nicht gehört werden. Am Ende zählen sie nach alter Hollywood-Regel zu den wenigen Überlebenden des Meteoriteneinschlags, des Mega-Erdbebens oder der alles verschlingenden Supernova.

Neue Normalität

Ich habe sie als Kind der Ökobewegung auch angebetet, die Herankunft der Apokalypse, die gewissermaßen zum Narrativ dieser Bewegung gehört. Es müsse erst alles noch schlimmer kommen, bis die Menschen einsichtig würden und sich auf den rechten Pfad der Nachhaltigkeit begäben. Man müsse den Mitbürgern die Folgen ihres Handelns möglichst drastisch vor Augen führen und ihnen Angst machen, sonst kämen sie nicht zur Besinnung.

Angst vor dem Ozonloch, der Klimakatastrophe, der Feinstaubhölle, der Megadürre, der Megaflut, der Atom-, Chemie- und Gentechnikkatastrophe, Angst vor dem Bienensterben, dem Waldsterben, dem Korallensterben, dem Blaumeisensterben und vor allem, was sonst sterben kann. Vor ein paar Monaten, man mag es kaum noch glauben, hat dies noch Greta Thunberg gepredigt: "I want you to panic!"

Foto: Monika Höfler

Georg Etscheit

lebt als Autor und Journalist in München – und regt sich leidenschaftlich gern über die kleinen und großen Stressmomente des Alltags auf.

Jetzt ist sie da, die Katastrophe, und sie kam von einer Seite, von der wir es absolut nicht erwartet hätten. Und jetzt ist einem gar nicht mehr wohlig-gruselig zumute. Ehrlich gesagt, ich habe schon nach vier Wochen Ausnahmezustand die Nase gestrichen voll und sehne mich nach nichts mehr als einem normalen Leben.

Aber wenn es nach Grünen-Chef Robert Habeck ginge, wird das nichts mit der Normalität, weil ja nach Corona – wenn ein "nach Corona" überhaupt vorstellbar ist – wieder die Klimakrise auf der Tagesordnung steht, eine Krise, die per definitionem kein Ende kennt, weil es gegen sie "keinen Impfstoff gibt". Und ist nicht die derzeitige Trockenheit wieder ein Zeichen für den drohenden Klimakollaps?

Ich glaube nicht, dass Krisen und Katastrophen Gutes im Gepäck haben, so wie ein Krieg nie Gutes geboren hat, auch wenn er von Dichtern als reinigendes "Stahlgewitter" verherrlicht wurde. Und ich möchte jetzt in diesem ebenso merk- wie denkwürdigen Frühling des Jahres 2020 zumindest den Duft des Flieders genießen, der durch den Englischen Garten weht, den blauen Himmel und die seidige Luft.

Und nicht schon wieder gesagt bekommen, dass der Flieder ja viel zu früh blühe und der wolkenlose Himmel Vorbote der nächsten Katastrophe sei. Und dass jetzt wirklich nichts mehr sei wie zuvor und wir uns gefälligst zu gewöhnen hätten an die "neue Normalität" (Olaf Scholz), die keine ist, wobei anzumerken ist, dass die wirklichen Katastrophen, siehe Corona, meist unverhofft kommen.

Sorry, liebe Apokalyptiker, mir reicht’s.

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