La Peste di Firenze dal boccaccio descritta
Die Pest – hier eine mittelalterliche Darstellung aus Florenz – könnte im 13. Jahrhundert so tödlich gewesen, weil die Sommer extrem kühl waren. (Bild: Luigi Sabatelli/​Thorvaldsens Museum)

Klimareporter°: Herr Bauch, derzeit beeinflusst die Corona-Pandemie das Leben vieler Menschen. Sie sind Klima- und Umwelthistoriker, beschäftigen sich aber auch mit Krankheiten im Mittelalter. Was haben Sie erforscht?

Martin Bauch: Der Schwerpunkt meiner Forschung liegt auf Italien im 13 und 14. Jahrhundert. Da finden wir beispielsweise den Bericht eines Chronisten aus Florenz, Giovanni Villani, der für das Jahr 1323 eine Krankheit beschreibt, an der fast alle Bewohner seiner Heimatstadt erkrankten.

Villani war ein Florentiner Kaufmann, der über ganz Europa bis in den Nahen Osten extrem gut vernetzt war und wusste, was in verschiedenen Gegenden passierte. Er ist einer der interessanten Chronisten dieser Zeit mit einem sehr weiten Horizont, breit gefächterten Interessen und offensichtlich auch mit einem gewissen akademischen Hintergrund.

Was berichtet Villani und warum ist das von Bedeutung?

Dass wir einen Bericht über detaillierte Symptome gefunden haben, ist eher die Ausnahme in dieser Zeit. Normalerweise sind Seuchenberichte aus dem Mittelalter sehr pauschal. Es sei eine Pestilenzia oder ein großes Sterben ausgebrochen, heißt es dann, und meistens fehlen Details über Symptome oder betroffene Personengruppen.

Deswegen ist das, was dieser Chronist aus Florenz berichtet, so interessant. Er schreibt von Kopfschmerzen, von Fieber, das fast alle Personen innerhalb weniger Wochen befallen habe – und zwar in Florenz, aber auch in ganz Italien, später auch in Frankreich. Und er unterstreicht, dass nur sehr wenige an dieser Krankheit starben.

Normalerweise würde ein mittelalterlicher Chronist über so eine vergleichsweise harmlose Krankheit gar nicht berichten. Es müssten eigentlich mehr Leute sterben, bevor das überhaupt eine Erwähnung in den Chroniken wert war.

Bei weiteren Chronisten finden sich andere Details: Die Kranken verloren ihren Appetit und es waren offensichtlich vor allem Ältere, die an dieser Erkrankung starben.

Wenn die Krankheit so harmlos war, warum ist sie dann für Historiker:innen so interessant?

Wir haben außerdem vergleichbare Berichte gefunden für Frankreich und Sardinien, und deshalb vermuten wir, dass sich in wenigen Monaten eine Infektionswelle über Europa ausgebreitet hat. Auch in der medizinhistorischen Forschung wurde schon diskutiert, dass es sich hier aufgrund der Beschreibungen um eine Grippe-Pandemie handeln könnte. 

Interessant ist auch, dass der wissenschaftliche Begriff für die Grippe, Influenza, eben aus dieser Zeit und aus dem Italienischen stammt. Die gebildeten Zeitgenossen kannten antike Theorien der sogenannten Astrometeorologie, also der Verknüpfung von Sternenkonstellationen, Wetter und Krankheitsgeschehen. Der Einfluss – italienisch influenza – des Wetters und der Sterne wurde als Auslöser von Epidemien verstanden.

Im 14. Jahrhundert war die Astrometeorologie eine weithin anerkannte Wissenschaft, die auch an Universitäten gelehrt wurde. Auch wenn es einzelne Autoren gab, die sich darüber lustig machten – im 14. Jahrhundert war die Astrometeorologie state of the art und wissenschaftlich anerkannt.

Welche Rolle spielte das Wetter bei dieser Pandemie?

In dem Fall von 1323 höchstens indirekt, denn hinter den Italienern und auch den Europäern lag da gerade eine mehrjährige Hungersnot. Sie dauerte von 1315 bis 1321 und hatte große Teile Europas im Griff. In England beispielsweise sind in diesen Jahren bis zu zehn Prozent der Bevölkerung gestorben und man darf annehmen, dass die geschwächte europäische Bevölkerung nach der Hungersnot noch anfälliger für Infektionskrankheiten wie die Grippe war.

Allerdings lässt sich der Zusammenhang zwischen Klimaveränderung und Krankheit sehr viel stärker herstellen für die Pest, also den Schwarzen Tod von 1347 bis 1352, den größten demografischen Einschnitt der europäischen Geschichte. Wir wissen zwar mit Sicherheit, dass dieses Massensterben durch das Bakterium Yersinia pestis ausgelöst wurde. Aber trotzdem könnten Klimaveränderungen eine Rolle gespielt haben.

Porträtaufnahme von Martin Bauch.
Foto: privat

Martin Bauch

ist promovierter Mittelalter-Historiker mit den Forschungs­schwerpunkten Italien und Mitteleuropa vom 13. bis 15. Jahrhundert. Er leitet eine von der Volkswagen-Stiftung finanzierte Nachwuchs­forschungs­gruppe ("Freigeist Fellowship") zur spätmittel­alterlichen Klimageschichte am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) in Leipzig. Bauch erforscht historische Klima­veränderungen und damit einhergehende Hungersnöte und Epidemien sowie die daraus folgenden Adaptions­prozesse der vormodernen Gesellschaften. 

Inwiefern?

Zum einen war die Pest in den Gebirgsregionen Zentralasiens endemisch, das heißt, die Krankheit war dort immer, vor allem in Nagetierpopulationen wie Rennmäusen und Murmeltieren, vorhanden. Die derzeit plausibelste Vermutung ist, dass Klimaveränderungen im 13. oder 14. Jahrhundert zu stärkeren Niederschlägen im ansonsten trockenen Zentralasien geführt haben.

Das führte zu einer Vermehrung dieser Nagetiere, weil viel mehr Nahrung als üblich vorhanden war. In den explosionsartig wachsenden Populationen brach dann die Pest aus, die eine Krankheit der Nagetiere ist und zu einem Massensterben führt.

Die Flöhe dieser Nagetiere, die die eigentlichen Träger der Pest sind, wechseln zu den Hausratten und kommen auf diesem Weg mit den Menschen in Kontakt. Das ist eine ziemlich indirekte Kette, wie eine Klimaveränderung den Ausbruch der Pest in Zentralasien begünstigt haben könnte.

Es gibt aber auch eine zweite Rolle, die das Wetter gespielt haben könnte: Es ist nach wie vor ziemlich ungelöst, warum die Pest im 14. Jahrhundert eigentlich so verheerend für die betroffenen Gesellschaften war.

Das ist die gleiche Krankheit, die wir noch heute in Südindien, auf Madagaskar, in der Mongolei und im Südwesten der USA endemisch haben. Aber sie breitet sich dort auch dann nicht schnell aus und tötet viele Menschen, wenn die hygienischen Bedingungen ungünstig sind und medizinische Versorgung nicht vorhanden ist.

Auf den ersten Blick ist die Pest heute eine sehr viel langsamer sich ausbreitende Krankheit, als es der Schwarze Tod im Mittelalter war. Wir wissen aber seit circa zehn Jahren aufgrund von archäogenetischen Untersuchungen, dass es definitiv die gleichen Krankheitserreger waren, die mindestens ein Drittel aller Europäer im Mittelalter töteten.

Warum war dann die Pest im 14. Jahrhundert für so viele Menschen tödlich?

Es stehen zwei Hypothesen im Raum. Zum einen könnten den erwachsenen Europäern noch die Hungersnöte in den Knochen gesteckt haben, die sie eben seit 1310 erlebt hatten und deren Ursache auch in einer Klima-Verschlechterung lag. Wer als Kind eine Hungersnot überlebt, der bleibt – wie moderne Studien für Afrika gezeigt haben – sein Leben lang anfälliger gegenüber Infektionskrankheiten. Das ist eine Überlegung.

Zum anderen waren die Jahre direkt vor der Pest äußert feucht und kalt in Europa. Das ist belegt aus den Schriftquellen, aber auch aus naturwissenschaftlichen Funden. Die extrem feucht-kalten Sommer seit 1346 könnten erklären, warum die Saisonalität der Pest sehr seltsam ist.

Denn die höchsten Sterblichkeitsraten liegen beispielsweise in Italien in den Jahren 1348 und 1349 im Sommer, obwohl es dort eigentlich zu warm sein müsste für die Pest-Erreger. Diese bevorzugen eher gemäßigte Temperaturen, wie sie in Italien im Herbst erwartbar wären. Das Wetter und die einsetzende Kleine Eiszeit könnten also eine wichtige Rolle für die Ausbreitung der Pest in dieser historischen Situation gespielt haben.

Für andere Pandemien sind wir noch nicht so weit, auch nur eine Hypothese in den Raum zu stellen. Dort, aber auch für die Pest ist noch viel historische Grundlagenforschung offen. Im Hinblick auf den anthropogenen Klimawandel sollten wir den Zusammenhang zwischen historischen Pandemien und Umweltveränderungen aber besser verstehen lernen.

Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung auch mit den gesellschaftlichen Reaktionen auf Katastrophen wie Epidemien oder Umweltveränderungen. Wie reagierten die mittelalterlichen Gesellschaften?

Zumindest beim Wetter reagierten diese Gesellschaften sehr unterschiedlich. Gerade wenn es um Hungersnöte geht, die aus Extremwetter resultieren konnten, dann haben es die mediterranen Gesellschaften, die Stadtstaaten in Italien wie etwa Florenz, Siena und Venedig, geschafft, ihre Bevölkerungsverluste viel geringer zu halten, als es in Mittel- und Westeuropa der Fall war.

Diese Stadtstaaten waren sehr viel reicher als England, Frankreich oder das heutige Deutschland in dieser Zeit. Sie waren aber auch viel besser eingebunden in den Überseehandel mit Getreide. Eine Stadt wie Venedig konnte sich jederzeit Nahrung besorgen, wenn es in der unmittelbaren Umgebung keine mehr gab. Sie hatte ein Handelsnetz, auf das sie immer zurückgreifen konnte.

Außerdem kann man feststellen, dass diese Stadtstaaten sehr viel mehr in Infrastrukturen investierten, vor allem in Hochwasserschutz, Handelshäfen und Getreidespeicher. Getreideankauf und -speicherung kosteten enorm viel Geld, oft verschlang das einen gewaltigen Teil des städtischen Budgets und war nach dem Militär der zweitgrößte Posten.

Die Stadtstaaten orientieren sich auch sehr viel stärker am Gemeinwohl, als das nördlich der Alpen der Fall war. Die Regierungen italienischer Stadtrepubliken riskierten Aufstände, wenn ihre Bürger hungerten oder nicht vor Katastrophen geschützt werden konnten. Sie hatten also ein starkes Motiv, ganz viel Grips und Geld in sehr ausgefuchste, hoch entwickelte Schutzsysteme zu investieren.

Und wie war das in Deutschland zu jener Zeit?

Nördlich der Alpen war das anders. An die Feudalherren, also die Fürsten, den König oder den Kaiser, wurde der Anspruch nicht herangetragen, die Untertanen effektiv vor Extremereignissen oder Hunger zu schützen.

Das wurde dann als Zorn Gottes interpretiert, da konnte man nicht viel machen außer tugendhafter zu leben, und dementsprechend sorgten solche Ereignisse auch kaum für Unmut gegenüber den weltlichen Herrschern.

Die Entwicklung einer kommunalen Daseinsfürsorge dauerte in Mitteleuropa sehr viel länger. Fast 200 Jahre später als in Italien begannen die Städte im deutschsprachigen Raum kommunale Getreidespeicher anzulegen und kollektiv vorzusorgen.

Man kann aber hier wie dort feststellen, dass die Entwicklung von Institutionen und frühen Formen von Daseinsfürsorge sehr durch die Erfahrung von Umweltkrisen und Epidemien beeinflusst wurde. Das waren sozusagen Taktgeber für substanzielle Weiterentwicklungen in diesen Bereichen.

Können wir etwas aus den Ereignissen, die mehr als 700 Jahre vergangen sind, für heute lernen?

Die Unterschiede zu früher sind sehr groß. Europa ist heute sehr viel dichter bevölkert, wir haben neue Abhängigkeiten bei den Lieferketten, eine veränderte Landnutzung, eine industrielle Landwirtschaft und die Globalisierung. Um zu beantworten, wie sich die Risiken für Pandemien durch diese ganzen Veränderungen erhöht haben, brauchen wir einen langen Blick zurück in die Vergangenheit.

Bei den Pandemien fehlt uns noch viel Grundlagenforschung, aber wenn wir die gemacht haben, dann könnten wir feststellen, wie häufig Pandemien in vorindustriellen Gesellschaften auftraten. Wenn man weiß, wie viele Pandemien es pro Jahrhundert gab, kann man das sinnvoll mit dem 19. und 20. Jahrhundert vergleichen. Außerdem könnten wir herausfinden, ob Landnutzungsänderungen schon im Mittelalter das Auftreten von Epidemien begünstigt haben.

Langfristig haben die historischen Gesellschaften es geschafft, auch aus Krisen Vorteile zu ziehen. Beispiele sind gewisse Fähigkeiten zu Innovationen, neue Institutionen, bessere Daseinsfürsorge. Häufig kam es zu fundamentalen Brüchen, die für die Überlebenden aber auch Vorteile hatten: Die Überlebenden der Pest waren unvergleichlich wohlhabender geworden.

Aus dieser Erkenntnis können wir in der derzeitigen Situation vielleicht nicht sehr viel Trost ziehen. Trotzdem können wir aber auch Hoffnung schöpfen, denn europäische Gesellschaften haben schon deutlich schlimmere Situationen als die jetzige überstanden.

Entscheidend war in meinen Augen immer, inwieweit sich Gesellschaften am Gemeinwohl orientiert haben, um mit Umweltkrisen oder Epidemien erfolgreich umzugehen.

Ich halte es für einen besonders großen Fortschritt, dass wir anders als der florentinische Chronist im 14. Jahrhundert nicht mehr Todesraten im einstelligen Prozentbereich infolge einer Pandemie akzeptieren. Dagegen stemmen wir uns mit einem bemerkenswerten Aufwand, und das ist ein großer Unterschied zur historischen Situation.

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