Angesichts der zunehmenden Geschwindigkeit der klimatischen und damit verbundenen ökologischen Veränderungen gibt es in den Geistes- und Sozialwissenschaften eine wachsende Bewegung, die Klimakatastrophe als gesellschaftliches Problem zu verstehen. Das zeigt etwa der Augsburger Aufruf von 200 Wissenschaftler:innen wie auch das Positionspapier des Fachverbands der Sozialen Arbeit DGSA.
Gleichzeitig haben Klima- und Umweltschutz angesichts der Vielzahl globaler Bedrohungen in den letzten Jahren an öffentlicher Aufmerksamkeit verloren. Und das, obwohl die aktuellen Krisen teilweise systemisch miteinander verschränkt sind und die Verdrängung und Verharmlosung von Klimathemen dazu führt, dass sich die Problemlagen weiter verschärfen.
Gegen diese Dethematisierung des Diskurses um die Klimakatastrophe intervenieren jetzt bundesweit Medienwissenschaftler:innen. In einem Positionspapier mit dem Titel "Medienklimagerechtigkeit" machen sie auf die besondere Rolle der Medien sowie die Verantwortung medienwissenschaftlicher Forschung und Lehre aufmerksam.
Medien haben mehrfachen Einfluss auf Klimagerechtigkeit
Die Wissenschaftler:innen fordern, Klimathemen in Forschung und Hochschullehre sowie bei der Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Gesellschaft fachlich und methodisch stärker zu berücksichtigen.
In dem Papier geht es sowohl um die mit Medientechnologien verbundenen Ursachen der sozial-ökologischen Katastrophe auf verschiedenen Ebenen als auch darum, wie Klimathemen inhaltlich aufbereitet, produziert und verbreitet werden.
Julia Bee
ist Professorin für Medienwissenschaft mit Schwerpunkt Gender und Diversität an der Ruhr-Universität Bochum.
Julia-Lena Reinermann
ist Kommunikationswissenschaftlerin an der Fernuniversität Hagen am Fachbereich Umweltwissenschaften.
Maike Sarah Reinerth
ist Filmwissenschaftlerin und Referentin für Nachhaltigkeit in der Lehre an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. Sie ist Mitglied der Green Storytelling Initiative und zertifizierte Green Consultant für Film/TV.
Alle drei Autorinnen sind Mitglied im Arbeitskreis Media Climate Justice.
Der für den Einsatz digitaler Medientechnologien betriebene Extraktivismus, etwa durch Lithium- oder Coltan-Abbau, führt zu sozialen Verwerfungen und macht bestimmte Gruppen anfälliger für die Klimakatastrophe. Die sozial-ökologischen Folgen von schädigenden Abbauverfahren sind in den medialen Geräten und Anwendungen nicht eingepreist.
Medienklimagerechtigkeit zielt auch darauf, die kolonialen Ursachen und die sozial-ökologischen Folgen der heutigen Medienwirklichkeit anzuerkennen, durch Forschung und öffentliche Beiträge auf das Problem aufmerksam zu machen und zu einer Lösung beizutragen.
Green Storytelling als ein Weg
Klima und die damit verbundenen Herausforderungen müssen außerdem erzählt werden: Film und Fernsehen können sozial-ökologische Lebensweisen normalisieren, statt CO2-intensive Lebensstile zu glorifizieren, sie können für die Konflikte rund um Transformationen sensibilisieren und positive Vorstellungswelten jenseits des Klimazynismus eröffnen.
Durch Storytelling in Kunst und Medien werden Menschen ermuntert, sich zu engagieren oder Maßnahmen besser zu verstehen. Mit Initiativen wie Green Storytelling lassen sich Klimafragen implizit und explizit thematisieren, inhaltlich entwickeln und medial produzieren, ohne den Zeigefinger zu heben.
Entscheidend ist dabei, wer im Mittelpunkt von Geschichten steht, wie Handlungen kontextualisiert und wie Mensch und Umwelt zueinander ins Verhältnis gesetzt werden.
Soziale Medien sind in den letzten Jahren durch Klimaleugnung und Desinformation aufgefallen. Medienklimagerechtigkeit heißt hier, die schädigende Rolle der Antiklimakampagnen besser zu untersuchen und zugleich demokratische, zivilgesellschaftliche Klimakommunikation zu stärken. Alle Nutzer:innen sollten in die Lage kommen, Desinformationskampagnen durchschauen und darauf reagieren zu können.
Die Medienwissenschaftler:innen verstehen ihr Positionspapier auch als Aufruf an weitere Fachgesellschaften, sich vor dem fachlichen Hintergrund ihrer Disziplin mit der Klimakatastrophe auseinanderzusetzen. Klima ist eine Querschnittsdimension und betrifft alle Bereiche von Forschung, Lehre und Hochschulbetrieb.
Gerade die Didaktik ist zentral für die Vermittlung von Wissen und Kompetenzen im Medienbereich, für zukünftige Medienwissenschaftler:innen und Medienschaffende. Das von den Autor:innen des Papiers initiierte Kolloquium Klimalehre trifft sich inzwischen regelmäßig und entwickelt Ansätze, um die Klimakatastrophe fachgerecht zu vermitteln.
Das Positionspapier
Das Positionspapier "Medienklimagerechtigkeit" wurde vom Arbeitskreis Medienklimagerechtigkeit und dem Kolloquium Klimalehre erarbeitet und von vielen Arbeitsgruppen der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM) unterzeichnet. Die GfM ist die größte Fachgesellschaft für kulturwissenschaftliche Medienwissenschaft mit über 1.500 Mitgliedern im deutschsprachigen Raum.
