Bei einer Demonstration gegen Rechts am Brandenburger Tor hält Luisa Neubauer ein handgemaltes Schild hoch, darauf steht: Sie haben Hass – wir haben Haltung.
Mit Haltung gegen Hass: Luisa Neubauer auf einer Demonstration in diesem Jahr. (Bild: Mo Photography Berlin/​Shutterstock)

Es begann mit einer Irritation. Dank diverser Weltklimaberichte, täglicher Wasserstandsmeldungen über den Klimawandel in den Medien und öffentlichkeitswirksamen Aktionen von Klimaaktivisten sollte doch auch dem Letzten klar geworden sein, dass da ein Problem existiert, dessen man sich schleunigst annehmen muss, dachte die Klimaaktivistin Luisa Neubauer lange Zeit. Mit Wissen über den Klimawandel würde man die Leute zum Handeln bringen.

Aber was sie beobachtete, war etwas anderes: eine weit verbreitete Passivität. Sinnbildlich steht da die Influencerin auf den Malediven, die ihre Erlebnisse beim Schnorcheln zwischen zerkochten Korallen auf Tiktok streamt: "Leute, guckt euch das an, die Apokalypse zum Anfassen!" Weinendes Emoji, Gebrochenes-Herz-Emoji.

"Erst fanden sie alles noch nicht so schlimm, und kurz darauf war es ohnehin zu spät, um noch etwas zu tun", schreibt Neubauer in ihrem Buch "Was wäre, wenn wir mutig sind?"

Andere würden auf Hoffnung setzen – darauf, dass die "bloße Hoffnung mechanisch alles richten werde".

Neubauer fand diese Distanz befremdlich: Ja, es sei allen klar, dass da ein Riesenproblem sei, aber mit dem eigenen Leben habe es doch nur am Rande zu tun. "Sei es das Wahlverhalten oder das Konsumverhalten, nichts vermittelt den Eindruck, dass der Klima-Notstand in unserer Gesellschaft angekommen ist", schreibt sie.

Und so sei man nun schon bei 1,2 Grad Erderwärmung angekommen (inzwischen sind es sogar 1,3 Grad), die ersten Regionen auf der Welt würden unbewohnbar und erste Kipppunkte seien kurz vor dem Überschreiten.

Ein kleines, feines Buch

Luisa Neubauer hat ein kleines, feines Buch über den Umgang der Menschen mit der Klimakrise geschrieben, das zum Nachdenken einlädt. Eigentlich ist es ein längerer Essay. Dieser kann im Diagnoseteil diverse Themen schon allein der Form wegen nur streifen, über die man gerne mehr erfahren würde.

Glücklicherweise gibt es zu den aufgeworfenen Fragen teils aktuelle Bucherscheinungen, die in die Tiefe gehen: warum die fossile Lobby nicht mehr auf Leugnung setzt, sondern auf Verzögerung ("Propagandaschlacht ums Klima"), oder wie auch in Deutschland die fossile Lobby samt ihrer Handlanger in der Politik dafür sorgt, Klimaschutz auf die lange Bank zu schieben ("Die Milliardenlobby").

Die Lektüre von Neubauers Buch bietet aber echten Mehrwert, indem sie aufzeigt, warum die meisten Menschen trotz besseren Wissens weiter an klimaschädlichen Verhaltensweisen festhalten. Die Geografin umschreibt das mit dem Begriff "Fossilität – die Übermacht fossiler Energien gegenüber allen Alternativen".

Das Buch

Luisa Neubauer: Was wäre, wenn wir mutig sind? Rowohlt Verlag, Hamburg 2025. 144 Seiten, 13 Euro

Das dekliniert sie überzeugend an einer Reihe von Beispielen durch. Das Verbrennen von Kohle, Erdöl und Gas dominiere alle möglichen Bereiche im Land: Infrastruktur, Steuersystem, ja selbst unsere Vorstellung von Freiheit und Glück.

"Fossilität meint: die irrationale, historisch gewachsene, in die emotionale DNA einer Gesellschaft eingravierte, kulturell zelebrierte und gleichzeitig oft unbewusste Überzeugung, dass fossile Antworten belastbar und vertrauenswürdig sind." Trotz klimafreundlicherer und inzwischen oft günstigerer Alternativen in der Energieversorgung fordere "die Fossilität" ihre Privilegien mit einer großen Selbstverständlichkeit weiterhin ein.

Bemerkenswert ist Neubauers Buch aber auch in anderer Hinsicht. Es hebt sich ab von anderen Klimabüchern, die von Leserinnen und Lesern maximalen Klimaschutz einfordern. Neubauer gibt zu, selbst nicht 100 Prozent öko zu sein.

Was sie stattdessen empfiehlt, ist, sich erstmal bewusst zu machen, wie sehr jeder einzelne ins fossile Korsett eingebunden ist – das sei schon der erste Schritt zur Wende. Und dann einen weiteren kleinen Schritt zu tun, um an irgendeiner Stelle daraus auszubrechen. "Und dann vielleicht noch einen."

 

Das Büchlein hebt sich aber auch ab vom "Fünf vor zwölf"-Duktus, der über Jahre und Jahrzehnte vorgetragen wurde. Nein, die Katastrophe lasse sich nicht mehr verhindern, ein Zurück zu einer heilen Welt sei nicht mehr möglich.

Trotzdem lohne es sich, wieder "ein Verhältnis zur Welt" zu "entwickeln, das Zukunft hat", sich anderen Gruppen anzuschließen, von der Politik einzufordern, eine nicht-fossile Lebensweise zu ermöglichen, die mindestens ebenso bequem und attraktiv ist. Allein schon, so Neubauer, um uns wieder in die Augen schauen zu können.

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