Porträtaufnahme von Jens Mühlhaus.
Jens Mühlhaus. (Foto: Tobias Hase)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Jens Mühlhaus, Vorstand beim unabhängigen Ökostrom-Anbieter Green City AG.

Klimareporter°: Herr Mühlhaus, eigentlich wollte Fridays for Future keine eigenen Vorschläge machen, wie die Klimakrise abgemildert werden kann. Nun hat die Protestbewegung doch eine Studie vorgelegt, wie Deutschland in 15 Jahren CO2-neutral werden kann. Gute Entscheidung oder strategischer Fehler?

Jens Mühlhaus: Aus meiner Sicht: die beste Entscheidung, die die Bewegung zu diesem Zeitpunkt konnte. Diese Studie ist gleich auf mehreren Ebenen ein strategisch genialer Schachzug.

Die Studie nimmt den Widersachern den Wind aus den Segeln – denen, die bis dato die Forderungen von Fridays for Future belächelt und den jungen Leuten Naivität und Realitätsferne vorgeworfen haben. Jetzt haben sie mit dem Wuppertal Institut einen wissenschaftlichen Partner an ihrer Seite mit großem und weltweitem Renommee. Die Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen wird jetzt wohl keiner mehr anzweifeln.

Mit der Veröffentlichung haben Fridays for Future mal wieder eines geschafft: Für einen Moment hatte der Klimawandel die mediale Aufmerksamkeit, die er braucht. Seit Beginn der Coronakrise hat sich das Thema erstmals wieder auf die Titelseiten der Tageszeitungen und wenigstens für einen kleinen Augenblick in das Bewusstsein der Menschen zurückkatapultiert.

Besonders beeindruckt hat mich aber eines: Fridays for Future hat sich schon immer auf die Wissenschaft bezogen. Mit ihrer jetzigen Studie hat sich die Bewegung in ihrer Arbeit massiv weiterentwickelt. Bisher hat sie die Politik aufgefordert aktiv zu werden. Gründe dafür haben die Wissenschaftler zur Genüge geliefert.

Aber jetzt sind sie einen Schritt weitergegangen. Sie fordern nicht nur zum Handeln auf, sie zeigen auch noch, wie es geht. Es gibt jetzt keine Ausreden mehr. Das ist ein unglaublich wichtiger Schritt, um als Organisation ernst genommen zu werden.

Das Traurige ist, dass erst die jungen Menschen kommen müssen, um zu zeigen, wie das von allen Staaten in Paris unterzeichnete 1,5-Grad-Ziel erreicht werden kann. Die vielen Ministerien in diesem Land haben es nicht getan, die Parteien nicht, auch die Grünen nicht.

Und damit treiben Fridays for Future im kommenden Jahr der Bundestagswahl alle vor sich her. Klimaschutz wird das bestimmende Thema im Bundestagswahlkampf, und wer in seinen Wahlprogrammen kein überzeugendes Konzept zum schnellen Erreichen der Klimaneutralität anbieten kann, wird in den jungen Leuten einen mächtigen Gegner haben. Gut so, wie gesagt, strategisch sehr clever.

Die Internationale Energieagentur IEA hat das Potenzial der Erneuerbaren lange unterschätzt. Nun prognostiziert sie unter dem Eindruck der Coronakrise eine "Hauptrolle" für Sonne, Wind und Co in der künftigen Energiewelt und eine sinkende Nachfrage nach Kohle und Öl. Welche Bedeutung hat diese Neubewertung für die Branche?

Es ist eigentlich traurig. Vor etwa drei Jahren habe ich auf einer Veranstaltung genau über diese Kernaussagen einen Vortrag gehalten, die jetzt als große Neuigkeit gefeiert werden. Von Solarenergie als dem "neuen König der weltweiten Energiemärkte" zu sprechen, wie es IEA-Chef Birol jetzt tut, ist vollkommen richtig.

Aber das hat sich schon seit Jahren abgezeichnet: Die Photovoltaik ist zur kostengünstigsten Form der Stromerzeugung geworden. Es sind die gleichen Jahre, in denen die Internationale Energieagentur noch eine steigende Ölnachfrage vorhergesagt hat. Und jetzt kommt endlich die Kehrtwende. Eine Kehrtwende, die schon vor Jahren zu erkennen war.

Besser spät als nie. Und doch reicht die bloße Erkenntnis nicht. Was fehlt, sind die Konsequenzen. Das von der IEA prognostizierte Wachstum der Erneuerbaren wird nicht reichen, um das 1,5-Grad Ziel-noch zu erreichen.

Nicht ausdenken, was eigentlich passieren würde, wenn die IEA als weltweite Größe in der Energieszene den massiven Ausbau der Erneuerbaren fordern würde. Das wäre dann wirklich auch für die Branche eine überraschende Neuigkeit.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Bei Green City beobachten wir die Coronakrise sehr genau. Und auch wenn die Krise auf unser Kerngeschäft, das Planen, Bauen und Betreiben von Erneuerbaren-Systemen, nur bedingt Einfluss hat, sind wir doch beim Vertrieb unserer nachhaltigen Kapitalprodukte eher bedacht vorgegangen. Wir haben erstmal beobachtet: Sind die Leute jetzt noch aufnahmefähig für ein Investment in die Erneuerbaren?

Wir haben uns jetzt entschieden, zwei Projekte aus der letzten Innovations-Ausschreibung in einem Solarpark für Kleinanleger zu bündeln. Offiziell sind wir noch nicht in den Vertrieb gestartet, haben aber seit Mittwoch die Möglichkeit gegeben, sich für den Solarpark vorzumerken. Wir hatten innerhalb von 24 Stunden um die 50 Vormerkungen.

Das freut mich wahnsinnig. Es zeigt uns ganz deutlich: Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist nach wie vor in den Köpfen der Menschen verankert. Und wir arbeiten noch immer an einem der zentralen Themen unserer Zeit.

Fragen: Verena Kern

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