Claudia Kemfert. (Foto: Stanislav Jenis)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.

Klimareporter°: Frau Kemfert, einige Politiker fordern derzeit, das Klimapaket der Bundesregierung wegen der Corona-Pandemie auszusetzen. Ein sinnvoller Schritt?

Claudia Kemfert: Es wird übersehen, dass wir es hier mit zwei unterschiedlichen Krisen zu tun haben, die aber ganz ähnliche Muster in sich tragen: Das Motto heißt flatten the curve. Das, was wir derzeit beim Umgang mit dem Coronavirus lernen, gilt auch beim Klimaschutz. Wir müssen heute handeln, um die Katastrophen von morgen und übermorgen zu verhindern.

Zur Überwindung der Coronakrise gibt es viel Geld vom Staat. Die Klimakrise muss dabei unbedingt mitgedacht werden! Beim Wiederanfahren nach der Pandemie sollten wir klimaschonende Technologien fördern – ÖPNV, Schienenverkehr, Digitalisierung, Smart Grids, Ausbau der Ladeinfrastruktur, emissionsfreie Antriebe auch im Flugverkehr.

Heute wird das Erneuerbare-Energien-Gesetz 20 Jahre alt. Branchenpräsidentin Simone Peter fordert im Klimareporter°-Interview, dass das EEG dringend reformiert werden muss. Welche Reformen bei der Förderung der Erneuerbaren würden Sie in Angriff nehmen?

Unter den jetzigen Rahmenbedingungen laufen wir sehenden Auges in eine Ökostrom- und Versorgungslücke. Dabei muss sich das Ausbautempo der erneuerbaren Energien mindestens verdoppeln. Vor allem muss der Solardeckel sofort abgeschafft werden.

Zudem sollten pauschale Abstandsregelungen für Windenergie ersetzt werden durch bundeseinheitliche Regelungen zur finanziellen Beteiligung von Regionen und Kommunen an den erneuerbaren Energien nach dem Vorbild Mecklenburg-Vorpommerns. Die Bürgerenergie sollte so gestärkt werden.

Erneuerbare Energien sind Teamplayer. Wir benötigen eine kluge Kopplung auch mit virtuellen Kraftwerken, Smart Grids und Speichern, um Flexibilität, Dynamik und Digitalisierung zusammenzubringen. Systemrelevanz ist auch im Energiemarkt die wichtigste Komponente. All dies muss eine EEG-Reform berücksichtigen.

Weltweit werden weniger neue Kohlekraftwerke geplant und gebaut, zeigt der neue Global Energy Monitor Report. Zwar stieg die Gesamtkapazität der installierten Kohlekraft 2019 noch, aber im Schnitt liefen die Kohlekraftwerke der Welt nur die Hälfte der Zeit. Sind wir beim Kohleausstieg weiter, als wir glauben?

Kohleausstieg würde ich es nicht nennen, eher eine abflachende Kurve – flatten the curve. In der Tat sind die erneuerbaren Energien preiswerter und verdrängen – wenn sie in den Markt gelassen werden – konventionelle Energien, vor allem Kohle.

Allerdings werden leider immer noch zu viele neue Kohlekraftwerke gebaut, gerade auch in Ländern, die durchaus weit mehr auf erneuerbare Energien setzen könnten.

Aber immer mehr Banken, Investoren und Finanzinstitutionen erkennen, dass die Finanzierung von Kohlekraftwerken enorme wirtschaftliche Risiken von stranded assets, also gestrandeten Investitionen beinhalten könnte.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Positiv überrascht bin ich von der Stärke unserer Demokratie, der großen Solidarität und der vielfältigen Kreativität aller Menschen im Umgang mit der Krise. Bei allem Leid bin ich optimistisch, dass wir nach Bewältigung der Coronakrise viel gelernt haben werden zur Bewältigung der Klimakrise.

Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ziehen an einem Strang. Das macht Hoffnung für die Bewältigung der aller möglichen Krisen.

Fragen: Sandra Kirchner, Jörg Staude

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