Wald
Eine Möglichkeit, der Atmosphäre CO2 zu entziehen, ist Aufforstung. (Foto: Yannik Schmitt/​Flickr)

Als die Welt vor fast drei Jahren im Pariser Klimaabkommen festschrieb, die Erderwärmung auf deutlich weniger als zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, war das mehr ein politischer als ein wissenschaftlicher Beschluss: "Damals war relativ wenig darüber bekannt, welche Risiken eine 1,5-Grad-Welt vermeidet, verglichen mit einer Zwei-Grad-Welt", sagte Hoesung Lee, der Vorsitzende des Weltklimarats, heute bei der Eröffnung des fünftägigen IPCC-Treffens im südkoreanischen Incheon. Die Staaten hatten deshalb den Weltklimarat beauftragt, einen neuen Bericht speziell zum 1,5-Grad-Ziel anzufertigen.

Nach dem Treffen in dieser Woche wird der lang erwartete IPCC-Sonderbericht am kommenden Montag endlich der Öffentlichkeit vorgestellt. Darin wird erklärt, welche Folgen eine Klimaerwärmung um 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau hat und was getan werden muss, um die Erwärmung auf diesen Wert zu begrenzen.

Bericht könnte Kohleausstieg empfehlen

Der wissenschaftliche Hauptteil des Sonderberichts ist bereits fertig. Worum jetzt eine Woche lang in Südkorea gerungen wird, das ist die Zusammenfassung des Berichts, die sogenannte "Summary for Policymakers". Das Plenum der 195 Staaten verabschiedet dabei die Zusammenfassung Satz für Satz und stimmt dem zugrundeliegenden Gesamtbericht zu. Bis dahin ist die Zusammenfassung streng geheim.

Doch auch vor der Veröffentlichung zeichnet sich schon ab, welche Diskussionen der Weltklimarat mit seinem Bericht anstoßen könnte. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, werden mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit große Veränderungen in allen Wirtschaftsbereichen nötig sein.

Aus vorab bekannt gewordenen Entwürfen geht zum Beispiel hervor, dass die Wissenschaftler unter anderem eine massive Reduzierung der weltweiten Kohleverstromung empfehlen werden, die über alle üblichen Szenarien hinausgeht.

Außerdem könnten die negativen Emissionen wieder in die Diskussion kommen – Maßnahmen, mit der der Atmosphäre CO2 entzogen werden soll. "Aufgrund der großen Lücke zwischen Wissen und Handeln rechnen Klimaforschende in den Modellen inzwischen teilweise mit sogenannten negativen Emissionen", erklärt der Sozialwissenschaftler Oliver Geden, der zurzeit Gastwissenschaftler am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg ist.

Alle Klimastudien rechnen mit Wachstum

Die Negativemissionen hätten bei dem äußerst anspruchsvollen 1,5-Grad-Ziel sogar noch bedeutsamer – auch um die bisher unvermeidbaren Emissionen aus der Landwirtschaft, der Industrie oder dem Flugverkehr auszugleichen. Trotzdem müsse der größte Teil der Emissionen durch Klimaschutz eingespart werden, so Geden.

Dagegen hält Kai Kuhnhenn vom Konzeptwerk Neue Ökonomie in Leipzig negative Emissionen nicht für alternativlos. In einer soeben von der Grünen-nahen Böll-Stiftung veröffentlichten Studie übt der Geoökologe grundlegende Kritik an den Annahmen, die Wissenschaftler für ihre Klimaszenarien treffen. Den langfristigen Klimaprognosen der Studien, die bisher vom Weltklimarat zitiert wurden, lägen ausnahmslos positive Wachstumsraten der Wirtschaft zugrunde, bemängelt Kuhnhenn.

Das jährliche Plus bei der Wirtschaftsleistung werde dabei von den Klimawissenschaftlern mit einem bis 2,8 Prozent pro Jahr veranschlagt, sogar in Ländern mit hohem Einkommen steige in den zitierten Prognosen die Wirtschaftsleistung jährlich um 0,6 bis 2,8 Prozent. Selbst eine geringe Rate von einem Prozent führe in 80 Jahren zu einer Verdopplung der Wirtschaftsleistung, eine von 2,5 Prozent in dem Zeitraum zu einer Versiebenfachung, rechnet Kuhnhenn vor.

"Schrumpfung der Wirtschaft nicht ausschließen"

Diese Einengung auf ausschließlich positive Wachstumsraten führe dazu, dass ambitionierte Klimaziele nur noch mit einem zeitweisen "Overshoot" zu erreichen sind, also einer vorübergehenden Überschreitung der Emissionsziele. Dies, so Kuhnhenn, rufe dann wiederum den Einsatz von Technologien auf den Plan, die der Atmosphäre in großem Maßstab CO2 entziehen – Stichwort Geoengineering.

Kuhnhenn plädiert deshalb für einen Übergang zu einer Wirtschaft, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und in der auch eine Schrumpfung der Wirtschaft nicht ausgeschlossen ist. Dabei gehe es, wie der Studienautor betont, um einen gestalteten Prozess hin zu einer Gesellschaft mit weniger materiellen Gütern, dafür aber mit weniger Umweltverschmutzung, Lärm und Stress sowie mit mehr Demokratie und mehr Zeit für Sorgearbeiten jenseits der Lohnarbeit.

In der Studie fordert Kuhnhenn die Klimawissenschaft auf, die derzeitigen Modelle so zu erweitern, dass sie auch wachstumshemmende Maßnahmen einbeziehen.

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