Am 12. Oktober brachen die ersten 160 Hondurianer in der Stadt San Pedro Sula auf. Sie starteten ihren Fußmarsch in die Tausende Kilometer entfernten USA. An der Grenze zu Guatemala waren es schon zehnmal so viele. Und in Mexiko bis zu 7.000. Auch die Drohungen von US-Präsident Donald Trump, die Einwanderungsgesetze zu verschärfen und Solaten an der Grenze zu postieren, schrecken die Flüchtlinge nicht ab. Mitte November kamen die ersten von ihnen schon an der Grenze zu den USA an, sie waren auf Lastwagen mitgefahren.
Ein Szenario bahnt sich an, über das viele Jahre spekuliert worden war: Flüchtlinge, die massenweise aus den von Armut und Klimawandel gebeutelten Staaten Zentralamerikas in die reichen USA fliehen. Lange war das reine Theorie, ein Sache der Zukunft. Diese Zukunft, so scheint es, ist jetzt.
Die Gründe sind vielschichtig, warum sich die Menschen auf den Weg gemacht und sich dem Treck angeschlossen haben – und dabei oft alles zurückließen, Familie, Kinder, allen Besitz. Aber einer davon und nicht mal ein so unbedeutender, so spekulieren englischsprachige Medien, könnte der Klimawandel sein.
"Der Hauptgrund, warum Menschen wegziehen, ist, dass sie nichts zu essen haben", sagte Robert Albro vom Zentrum für Lateinamerikastudien an der Amerikanischen Universität in Washington der britischen Zeitung The Guardian. "Das ist eng mit dem Klimawandel verbunden – wir sehen eine enorme Instabilität des Klimas, die die Ernährungssicherheit in der Region radikal verändert."
Schwierige Nahrungsmittelversorgung
Tatsächlich haben Extremwetterereignisse Zentralamerika in den vergangenen Jahren besonders hart getroffen. Honduras hat zwei schwere Dürren in den vergangenen beiden Jahren erlebt. Auch der Hurrikan "Michael" hat größeren Schaden im Land angerichtet.
Eine Studie des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2017 kommt zum Ergebnis, dass mehr als die Hälfte der Haushalte, die befragt worden waren, mehr als zwei Drittel ihres Einkommens für Lebensmittel ausgegeben haben. Das zeige die starke ökonomische Anfälligkeit für Schwankungen der Nahrungsversorgung.
"In den vergangenen Jahren hat sich die Nahrungsmittelproduktion für die Haushalte wegen ausbleibender Niederschläge und Dürren im Zusammenhang mit dem El-Niño-Phänomen weiter verschlechtert", heißt es in dem Bericht. "Ungünstige klimatische Bedingungen im Dürrekorridor wirken sich auf die Ernährungssicherheit aus, indem sie die landwirtschaftliche Produktivität in der kommerziellen Landwirtschaft und in der Subsistenzwirtschaft sowie die Arbeitsmöglichkeiten in der Landwirtschaft beeinträchtigen."
"Der Klimawandel beeinflusst nicht nur die Subsistenzlandwirtschaft und die Nahrungsmittelversorgung, sondern auch eine der wichtigsten Geldquellen des nördlichen Dreiecks: Kaffee", schreibt die Migrationsexpertin Lauren Markham in einem Gastbeitrag für das Sierra Magazine. "Kaffee ist einer der wenigen verlässlich rentablen Exporte in Zentralamerika, und die Ernten gingen während der jüngsten Dürre dramatisch zurück."
Zudem haben die Landwirte in einem Großteil Zentralamerikas mit einem Rostpilz zu kämpfen, der die Kaffeepflanzen angreift und sich angesichts von wärmeren Nächten ausbreiten kann. Ein Zusammenhang mit dem Klimawandel könnte es deshalb Experten zufolge durchaus geben. Stephanie Leutert von der Universität Texas weist im Guardian darauf hin, dass die Zahl der Migranten, die ihr Land verlassen, besonders stark im Westen von Honduras angestiegen seien, dem Hauptproduktionsgebiet für Kaffee.
Migrationsexperten warnen: Nicht zu kurze Schlüsse ziehen
Migrationsexperten warnen allerdings davor, nun pauschal von Klimaflüchtlingen zu sprechen. "Wir müssen auf ganz andere Faktoren achten", sagt die Spezialistin für Klimaflucht Silja Klepp vom Institut für Geographie an der Universität Kiel gegenüber Klimareporter°. Beim Thema Klimaflucht würden viel zu oft zu kurze Schlüsse gezogen.
Oft würden die Menschen aus ganz anderen Gründen fliehen – im Falle Zentralamerikas zum Beispiel wegen der hohen Kriminalität, Korruption und Gewalt. Und selbst wenn Umweltprobleme die Existenz von Menschen in Entwicklungsländern bedrohen, seien sie oft schlicht zu arm, um zu fliehen. "Der Klimawandel kann für manche allerdings der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt", sagt Klepp.
Auch Susanne Dröge von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin will in dem aktuellen Fall nicht von Klimaflüchtlinge sprechen. "Den Klimawandel würde ich hier kleinschreiben", sagt sie. "Die Verbindung ist da richtig dünn."
Zwar nimmt sie an, dass der Klimawandel in der Region heute durchaus schon sein Gesicht in Form von vermehrten Extremwetterereignissen zeigt. Doch zur Katastrophe würden Missernten oft erst wegen Fehlmanagement, Korruption und Landbesitzproblemen. Und wenn die Menschen dann tatsächlich fliehen, würden sie eher die nächste Stadt aufsuchen, zumindest aber in der Region bleiben, dort, wo Verwandte leben oder sie die Sprache beherrschen. "Es kann aber gut sein, dass der Klimawandel bei der Binnenmigration ein Faktor ist."
Der Treck in Richtung der USA allerdings sei kein Treck von Klimamigranten, die sich nach Ernteausfällen spontan auf den Weg gemacht hätten. "Über lange Zeit hat sich der Druck aufgebaut", sagt Dröge. "Das haben die Menschen sich lange überlegt."
Möglicherweise war der Klimawandel also der erste Anstoß, den Heimatort zu verlassen und vielleicht die nächste Stadt anzusteuern – während ganz andere Gründe die Menschen über Landesgrenzen weitergetrieben hätten. "Die ganze Wirkungskette kann sehr sehr lang sein", so Dröge.
In Zukunft allerdings dürften die Extremwetter zunehmen. Und dieser "Stressmultiplikator" dürfte den Druck erhöhen. Ob die Menschen in 30, 40 Jahren dann aber gleich Tausende Kilometer zurücklegen oder nicht doch nur in die nächste Stadt aufbrechen, lasse sich auch heute noch nicht sagen.