Ein Arzt misst den Blutdruck
Institutionen und Personal im hiesigen Gesundheitssektor sind zu wenig auf den Klimawandel vorbereitet. (Foto: Alterio Felines/​Pixabay)

Die Klimakrise erhöht die Gesundheitsrisiken – etwa durch vermehrte Hitzewellen und Infektionskrankheiten. Spätestens seit dem Extremsommer 2003, als es in Europa zu mehreren zehntausend vorzeitigen Todesfällen kam, ist das Allgemeinwissen.

Trotzdem ist auch Deutschland nur unzureichend für die gesundheitlichen Herausforderungen des Klimawandels gerüstet. So haben zum Beispiel nur wenige Städte und Gemeinden bisher Hitzeaktionspläne umgesetzt.

Diese Warnung findet sich in einem Situationsbericht, den Expert:innen der Bundesärztekammer, der Berliner Charité, des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und des Helmholtz-Zentrums München jetzt herausgegeben haben.

Die Fachleute hatten vor zwei Jahren in ihrem letzten Report mehrere Empfehlungen an die Politik gegeben, darunter "die systematische und flächendeckende Umsetzung von Hitzeschutzplänen zur Reduktion von hitzebedingten Gesundheitsrisiken".

Vorbild ist hier vor allem Frankreich. Hier gibt es seit 2017 den landesweit gültigen vierstufigen "Plan canicule". Die Kommunen dort haben zu Beispiel ein Register mit älteren, alleinstehenden Personen eingeführt, die als besonders gefährdet gelten und dann bei anhaltender Hitze Hilfe von Sozialarbeiter:innen bekommen. Rathäuser bieten gekühlte Räume und Versorgung für jene an, die sich nicht selbst helfen können.

Weitere Empfehlungen betrafen die Reduktion des "CO2-Fußabdrucks" des Gesundheitssektors, dem rund fünf Prozent der Treibhausgas-Emissionen zugerechnet werden, sowie die Integration des Themas "Klimawandel und Gesundheit" in die Aus- und Weiterbildung bei Gesundheitsberufen. Zu den erreichten Fortschritten befragt wurden unter anderem Mitarbeitende des Bundesgesundheitsministeriums, der Gesundheitsämter, von Krankenhäusern, Krankenkassen, Wohlfahrtsverbänden und Nichtregierungsorganisationen sowie Hausärzt:innen.

Bewusstsein wächst, Handlungen bleiben aus

Das ernüchternde Ergebnis nach zwei Jahren: "Das Bewusstsein für den Ernst der Lage wächst bei den Entscheidungsträger:innen. Die notwendigen Handlungen bleiben hingegen meist aus", so die Expert:innen. "Es reicht nicht, wenn Einzelne ihr Verhalten ändern. Wir müssen auch die Verhältnisse ändern", sagte Sabine Gabrysch, Professorin für Klimawandel und Gesundheit an der Berliner Charité. Das sei an viel zu wenigen Stellen passiert.

Nach Angaben des Instituts für Epidemiologie des Helmholtz-Zentrums hat die Gesundheitsgefährdung durch Hitze in Deutschland in den letzten zehn Jahren wegen des Anstiegs der Zahl heißer Tage weiter zugenommen. Das betrifft vor allem sensible Bevölkerungsgruppen, etwa ältere Menschen mit Vorerkrankungen wie Diabetes oder Herzinsuffizienz.

"Für solche extremen und komplexen Situationen, wie sie im Sommer 2021 in Südeuropa und Kanada aufgetreten sind, ist die Bundesrepublik momentan nicht ausreichend gerüstet", warnte die Institutsdirektorin, Professorin Annette Peters. In den Mittelmeerländern waren über 40 Grad, in West-Kanada erstmals sogar fast 50 Grad erreicht worden.

Der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt sieht es als Aufgabe der künftigen Bundesregierung, hier tätig zu werden. Sie müsse gemeinsam mit Ländern und Kommunen die Verantwortlichkeiten zur Vorbeugung klimabedingter Gesundheitsgefahren definieren.

Gesundheitseinrichtungen müssten durch ausreichend Personal und Räumlichkeiten auf Extremwetterereignisse vorbereitet werden. Notwendig sei außerdem eine nationale Strategie für eine klimafreundliche Gesundheitsversorgung, die auch Investitionsmittel etwa zum Bau klimaneutraler Krankenhäuser oder für deren energetische Sanierung vorsieht.

Jeder zweite Staat hat keinen Plan

Deutschland steht mit seiner unzureichenden Klima-Gesundheitsstrategie freilich nicht alleine da. Der parallel zum deutschen Report veröffentlichte Bericht "Lancet Countdown" zu Klima und Gesundheit, der von 38 weltweit führenden akademischen Institutionen und UN-Organisationen erarbeitet und wurde, zeigt dies deutlich.

Zitiert wird darin eine Umfrage der Weltgesundheitsorganisation WHO, nach der nur 45 der 91 dazu befragten Regierungen angaben, dass sie über einen nationalen Plan zum Thema Gesundheit und Klimawandel verfügen. Über zwei Drittel beklagten, dass unzureichende Finanzmittel ein Hindernis für die Umsetzung solcher Strategien darstellen.

Der Report, der von der Fachzeitschrift The Lancet herausgegeben wird, bilanziert, dass die klimawandelbedingten Gesundheitsgefahren weltweit unvermindert zunehmen. Betroffen seien vor allem Regionen, die von Ernährungsunsicherheit, Hitzewellen, Wassermangel und der Verbreitung von Infektionskrankheiten betroffen sind.

Das Autorenteam ruft zu global koordinierten Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels auf. Die zur Bewältigung der Coronakrise eingesetzten Konjunkturmittel müssten künftig vor allem für den klimafreundlichenen Umbau eingesetzt werden.

"Viele aktuelle Covid-19-Wiederaufbaupläne sind nicht mit dem Paris-Abkommen vereinbar und werden daher langfristige Auswirkungen auf die Gesundheitslage haben", so der Lancet Countdown.

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