Hinter dem gesellschaftlich wie politisch vorherrschenden Dogma des grünen Wachstums steckt die Überzeugung, dass sich Wirtschaftswachstum und Klimaschutz doch irgendwie vereinen lassen.

Alles kann so bleiben, wie es ist, so das damit verbundene Versprechen. Einzig die fossilen Technologien müssen peu à peu durch grüne Alternativen – Solarpaneele, E‑Autos, Wasserstoff – ersetzt werden.

 

Um diesen Übergang zu meistern, ohne die Funktionsweise des Wirtschaftssystems zu gefährden, benötigen gerade Industrienationen immer größere Mengen an erneuerbaren Energien und den zu ihrer Produktion nötigen Rohstoffe, vor allem Metalle. Nach altem Muster wandert der ressourcenhungrige Blick des globalen Nordens auf der Suche nach Mineralien wie Lithium, Nickel und Kupfer in die Länder der wirtschaftlichen Peripherie. So beschreibt es eine neu veröffentlichte Analyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

"Bei den Erneuerbaren kann der Überfluss, wie bei allen Ressourcen in extraktivistischen Volkswirtschaften, genauso ein Fluch wie ein Segen sein", schreibt die brasilianische politische Ökonomin Sabrina Fernandes im Vorwort der Analyse "Green at home, harm abroad", die Deutschlands zwiespältige Rolle in der aktuellen Entwicklung beleuchtet.

Sobald ein Bergbau- oder Wasserstoffprojekt als notwendig für die Energiewende eingestuft werde, erläutert Fernandes, würden sich die politischen Rechtfertigungen für alle möglichen negativen Auswirkungen auf Umwelt und Mensch, im Grunde wie von selbst schreiben. Das Kernziel der Industrienationen sei Dekarbonisierung, ohne die Konsumstandards und die sozioökonomischen Verhältnisse durcheinanderzubringen.

Serbisches Lithiumprojekt bedroht Südwasserreserven 

Anhand von sechs Beispielen skizzieren Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen in der Untersuchung, wie Deutschlands Dekarbonisierung von neokolonialen Ausbeutungsverhältnissen abhängt, diesmal mit grünem Anstrich. In Mexiko, Indonesien und Serbien nehmen die Expert:innen der Stiftung den Kupfer-, Nickel- und Lithiumabbau in den Blick.

In Namibia, Chile und Brasilien analysieren sie durch eine "dekoloniale Brille" Deutschlands öffentliche und private Investitionen in Wasserstoffprojekte. 

Stillgelegte Kupfergrube im Osten Serbiens. (Bild: Aliaksei Kruhlenia/Shutterstock)

Im Jadar-Tal in Serbien soll die größte Lithium-Mine Europas entstehen. Für die Elektrifizierung des Verkehrs in Europa – und nicht zuletzt für die deutsche Autoindustrie – hat das Projekt eine herausragende Bedeutung. Nicht nur wird der Bedarf an Lithium in den kommenden Jahren rasant steigen, die EU strebt Ressourcenunabhängigkeit vor allem von China an.

Massive Proteste und Kritik von Anwohner:innen, Umweltschützer:innen und Expert:innen begleiten das Jadar-Projekt im Westen des Landes seit Anbeginn. Der Abbau gefährdet eine der wichtigsten Süßwasserreserven Serbiens. 22 Dörfer und rund 20.000 Menschen wären unmittelbar betroffen, sollte kontaminiertes Abpumpwasser in das Grundwasser gelangen.

Vorangetrieben wird das Projekt von dem britisch-australischen Bergbauunternehmen Rio Tinto. Unternehmenssprecher betonen im Gleichklang mit Regierungsvertreter:innen Serbiens, Deutschlands und der EU-Kommission, dass sich mit modernen Technologien und strengen Umweltstandards die Auswirkungen auf die örtliche Bevölkerung minimieren ließen.

Tatsächlich musste Rio Tinto schon mindestens 15 Entschädigungsforderungen von Landwirt:innen begleichen, deren Ernte vergiftet wurde – bevor der Abbau überhaupt begonnen hat. Schuld waren Erkundungsbohrungen, in deren Folge erhöhte Bor-, Lithium- und Arsenkonzentrationen im Grund- und Flusswasser messbar waren.

Serbische Bevölkerung lehnt Jadar-Mine ab

In jüngsten Umfragen sprachen sich drei Viertel der serbischen Bevölkerung gegen das Projekt aus. Der autoritär regierende und unter Korruptionsverdacht stehende serbische Präsident Aleksandar Vučić betont weiterhin die wirtschaftliche Bedeutung für Serbien und hält, ebenso wie Deutschland und die EU, ungeachtet der Proteste an dem Abbauvorhaben fest.

Ob das Projekt der serbischen Wirtschaft wirklich nützen wird, ist umstritten. Der emeritierte Wirtschaftsprofessor Boris Begović warnte etwa, das Projekt könnte dem Balkanstaat am Ende mehr Kosten als Einnahmen verschaffen. Der Großteil der Gewinne fließe ins Ausland, während Teile der Investitionskosten für die Infrastruktur und die Kosten für Umweltschäden an Serbien hängenblieben.

Zu den Anteilseignern von Rio Tinto zählen auch deutsche Banken und Versicherungsunternehmen sowie laut Analyse die Deutsche Bundesbank. Insgesamt halten deutsche Investor:innen Anteile im Wert von zwei Milliarden Dollar an dem Bergbauunternehmen.

Anfang Juni räumte die EU dem Projekt weitere Steine aus dem Weg und stufte die serbische Lithium-Mine als ein strategisch wichtiges Projekt für kritische Rohstoffe ein. Das öffnet nicht nur neue Geldtöpfe, sondern rechtfertigt auch schnellere Genehmigungsverfahren.

Trotz der geografischen Nähe zur EU zeige der Lithiumabbau in Serbien Dynamiken eines grünen Kolonialismus, schreibt Mitautorin Daniella Palmberg, Expertin für seltene Rohstoffe. Eine Bevölkerung am ökonomischen Rand Europas müsse ihre Umwelt und ihren Lebensunterhalt für einen vermeintlich grünen Wandel in den globalen Wirtschaftszentren opfern.

500 Windturbinen in namibischem Nationalpark 

Rund 8.000 Kilometer südlich vom Jadar-Tal soll in einer ehemaligen deutschen Kolonie eines der größten grünen Wasserstoffprojekte der Welt entstehen – das deutsch-namibische Gemeinschaftsvorhaben "Hyphen". Mitten im namibischen Tsau-Khaeb-Nationalpark sind 500 Windturbinen und 40 Quadratkilometer Photovoltaik geplant.

Computerbild eines geplanten Wasserstoff-Großprojekts mit Solar- und Windparks in der Wüste Namibias.
So in etwa sollen Kraftwerke einmal aussehen, die Grünstrom zur Wasserstoffherstellung in Namibia produzieren. (Bild: Hyphen)

Ab 2028 sollen eine Million Tonnen grüner Ammoniak – ein besser transportierbares Wasserstoff-Derivat – vor allem nach Europa und Asien verschifft werden, ab 2030 sollen es zwei Millionen Tonnen sein.

Hinter Hyphen stehen das auf den Britischen Jungferninseln registrierte Unternehmen Nicholas Holdings und das deutsche Energieunternehmen Enertrag. Die Gesamtinvestitionen in das Projekt entsprechen mit zehn Milliarden US-Dollar in etwa dem jährlich Bruttoinlandsprodukt Namibias.

Während der grüne Wasserstoff in Deutschland eine brummende dekarbonisierte Wirtschaft ermöglichen solle, trügen "historisch marginalisierte Gruppen die Hauptlast der sozialen und ökologischen Kosten der Wasserstoffproduktion", heißt es in der Untersuchung. 

Bereits 2021 hatte das deutsche Forschungsministerium Namibia im Rahmen des Erkundungsprojekts "H2Atlas-Africa" als ein geeignetes Partnerland auserkoren. Die damalige Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) betonte, dass Namibia neben viel Wind und Sonnenschein "über große ungenutzte Flächen" verfüge.

Keine wirkliche Energiewende ohne veränderte Machtverhältnisse 

Weitestgehend "ungenutzt" mag der Nationalpark Tsau Khaeb sein, aber aus gutem Grund. Umweltverbände warnen, dass das Projekt die Biodiversität und Habitate endemischer Arten unwiederbringlich zerstören könnte. Die Projektentwickler versichern zwar, die ökologisch wertvollsten Orte schützen zu wollen. Bislang legten sie aber keine konkreten Pläne vor.

Ob die breite Bevölkerung von der Stromproduktion profitieren wird, ist zudem fraglich. Zwar deuteten die Unternehmen an, überschüssigen Strom in das nationale Netz einspeisen zu wollen. Allerdings ist knapp die Hälfte der Haushalte nicht ans Netz angebunden.

Auch die Zusage der Betreiber, 90 Prozent der 3.000 Arbeitsplätze, die langfristig entstehen sollen, mit namibischen Arbeiter:innen besetzt zu wollen, hängt in der Luft. Die deutsche Regierung hat laut der Analyse bereits eingeschränkt, dass einige Aufgaben besonderes Fachwissen benötigten und deshalb voraussichtlich nicht von der lokalen Bevölkerung übernommen werden könnten.

 

Dass die Abkehr von fossilen Energien drängt, sei nicht zu leugnen, erklären die Autor:innen. Solange aber das kapitalistische Wirtschaftssystem mit seinem immer steigenden Energiebedarf nicht infrage gestellt werde, sei eine "echte Energiewende" aber ausgeschlossen.

Dafür brauche es mehr als technologische Veränderungen, argumentiert die Rosa-Luxemburg-Stiftung, und zwar "eine Transformation der Machtverhältnisse, die unsere Welt historisch geprägt haben".

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