Rotmilan
Der Rotmilan steht exemplarisch für den Konflikt zwischen Natur- und Klimaschutz. (Foto: Thomas Kraft/Wikimedia Commons)

Klimareporter°: Frau Christiansen, Herr Ohlenburg, knapp ein Prozent der Landfläche Deutschlands ist bereits für Windkraft ausgewiesen. Die neue Bundesregierung hält am Ziel fest, diesen Flächenanteil auf zwei Prozent zu verdoppeln. Der Artenschutz gilt dabei vielen als die größte Hürde. Was ist da wirklich dran?

Holger Ohlenburg: Wissenschaftlich valide Daten liegen hierzu leider nicht vor.

In einer jüngeren Umfrage des Umweltbundesamtes äußerten Windkraft-Projektierer, dass der Artenschutz das Haupthindernis bei der Realisierung von Windenergievorhaben auf zuvor planerisch gesicherten Flächen sei. Mit nur zehn Rückmeldungen von Projektierern dürfte das aber nicht repräsentativ sein.

Eine umfangreichere, allerdings auch nicht repräsentative Betreiberumfrage der Fachagentur Windenergie an Land im Jahr 2019 ergab, dass lediglich 500 Megawatt Windenergie aus Artenschutzgründen beklagt waren.

Hingegen konnten Vorhaben mit insgesamt 4.800 Megawatt aus Gründen der Flugsicherung und weitere 3.600 Megawatt aufgrund militärischer Luftraumnutzung nicht genehmigt werden. Es überwogen also andere Restriktionsfaktoren.

In einer weiteren Umfrage der Fachagentur Wind von 2018 wurde als größtes Hemmnis die planerische Flächenbereitstellung an sich festgestellt. Planungen auf unterschiedlichen Ebenen sowie die planenden Akteure selbst wurden bei Projekten mit zusammen gut 1.600 Megawatt Leistung als Hemmnis genannt, Natur- und Artenschutz mit knapp 1.000 Megawatt.

Wie kommt dann der Eindruck zustande, gerade der Artenschutz wäre so ein entscheidendes Hemmnis?

Ohlenburg: Na ja, 1.000 Megawatt sind auch nicht nichts. Der Artenschutz ist durchaus ein rechtlich "scharfes Schwert". Gleichzeitig sind die Prüfmaßstäbe bislang nicht einheitlich und rechtlich verbindlich festgelegt, sodass Unsicherheiten bestehen und sich Angriffspunkte bieten.

Porträtaufnahme von Holger Ohlenburg.
Foto: Stephan Dittmann/​KNE

Holger Ohlenburg

ist Referent für natur­verträgliche Wind­energie beim Kompetenz­zentrum Natur­schutz und Energie­wende (KNE), das er 2016 mit­aufgebaut hat. Er studierte Landschafts­planung an der TU Berlin und forschte dort zu Natur­schutz und Wind­kraft.

 

Was wir aber auch feststellen können: Bislang werden nicht ausreichend Flächen für die Windenergie bereitgestellt, insbesondere wegen einer teilweise fehlenden oder einer durch Klagen blockierten Regionalplanung.

Auch reduzieren die pauschalen und eher politisch als wissenschaftlich gefassten Abstände zu Wohngebieten die verfügbare Fläche. Die Windenergie rückt dadurch mitunter noch stärker in naturschutzfachlich sensible Gebiete, wodurch dann wieder allseits beklagte Artenschutzkonflikte zunehmen.

Das Spektrum an Restriktionen ist breit. Der Artenschutz ist dabei ein Restriktionsfaktor, auch wenn er nicht das Haupthindernis für den Windenergieausbau ist. Von daher sollte der Fokus nicht einseitig auf den Artenschutz gelegt werden.

Die Bundesregierung will das Zwei-Prozent-Flächenziel für Windenergie an Land im Baugesetzbuch verankern. Kann das genügend rechtliche Sicherheit schaffen?

Silke Christiansen: Ja, mit einer Anpassung des Baugesetzbuchs könnten zwei Prozent der Flächen grundsätzlich für die Windenergie verfügbar gemacht werden.

Zur Umsetzung der entsprechenden Vereinbarung im Koalitionsvertrag kommt ein Regelungsvorschlag der Stiftung Klimaneutralität infrage, der sich wiederum auf ein Rechtsgutachten von Professor Martin Kment von der Universität Augsburg stützt.

Grundgedanke des Vorschlags ist, für jede der circa 11.000 Gemeinden in Deutschland einen individuellen Flächenanteil für die Windenergie zu ermitteln. Dieser Flächenanteil soll Windenergie-Beitragswert genannt werden.

Dieser soll sich daran orientieren, in der Summe das bundesweite Zwei-Prozent-Flächenziel zu erreichen. Flächen der Gemeinden, die für Windenergie nicht infrage kommen, sollen dabei in die Berechnung eingehen, ebenso die Windhöffigkeit, also wie groß der Windertrag in der Region ausfallen kann.

Porträtaufnahme von Silke Christiansen.
Foto: Stephan Dittmann/​KNE

Silke Christiansen

leitet die Rechts­abteilung beim Kompetenz­zentrum Natur­schutz und Energie­wende (KNE). Zuvor forschte und lehrte die promovierte Juristin an der Hoch­schule für Wirtschaft und Recht Berlin und der Uni Lüneburg. Seit 2018 ist sie im KNE tätig.

Der Windenergie-Beitragswert wäre für die Gemeinden nicht verpflichtend. Er würde aber als Anreiz wirken. Denn nur mit der Planung von Flächen, die den Windenergie-Beitragswert erfüllen, könnten die Gemeinden die Errichtung von Windenergieanlagen außerhalb dieser Flächen verhindern.

Diese Flächen werden daher auch Windkonzentrationszonen genannt, weil sie die Windenergie im übrigen Außenbereich der Gemeinden ausschließen.

Wird der Beitragswert dagegen nicht erreicht, dann sollen keine Windkonzentrationszonen entstehen, sondern Windenergieanlagen im gesamten Außenbereich der Gemeinden grundsätzlich zulässig sein. Damit entfiele für die Gemeinden jedoch ein wichtiges Instrument zur Steuerung der Anlagenstandorte.

Anders gesagt: Wollen die Gemeinden die Hoheit über die Windkraft-Planungen behalten, müssen sie ihren Mindestbeitrag für das bundesweite Zwei-Prozent-Ziel leisten – anderenfalls könnten sie sich mit Windkraft auf Flächen konfrontiert sehen, die nicht zu ihren Interessen als Gemeinde passen?

Christiansen: Ja, so wäre es. Wollen die Gemeinden den ungesteuerten Windenergieausbau im gesamten Außenbereich vermeiden und stattdessen auf konkrete Gebiete begrenzen, dann müssten sie Flächenplanungen vorlegen, die mindestens dem Beitragswert entsprechen.

Nochmal nachgefragt: Würde es reichen, den kommunalen Windkraft-Beitragswert im Baugesetzbuch zu verankern, um diese Regelung und damit das Zwei-Prozent-Flächenziel bundesweit durchzusetzen?

Christiansen: Aus unserer Sicht wäre das rechtlich ausreichend. Dieser Ansatz würde das Ziel von zwei Prozent der Flächen konkretisieren, ihm rechtliche Substanz verschaffen und am Ende auch den Gerichten eine Orientierung geben.

Mit der Regelung wäre also in jedem Fall garantiert, dass sich die Verfügbarkeit für Windenergie auf jene zwei Prozent der Fläche erhöht. Demnach wäre Windenergie entweder in entsprechend großen Windkonzentrationszonen oder im gesamten Außenbereich der Gemeinden grundsätzlich zulässig.

Dass jede Gemeinde zulassen soll, dass irgendwo ein Windrad hingestellt wird, klingt aber auch nicht sehr effizient. Wo bleiben dann die großen Windparks?

Christiansen: Nach dem Vorschlag der Stiftung Klimaneutralität sollen neben den Gemeinden auch regionale Planungsträger und die Länder Windkonzentrationszonen festlegen können, sofern die Windenergie-Beitragswerte der betroffenen Gemeinden in der Summe erreicht werden. Das würde weniger, aber an geeigneten Standorten größere Windparks ermöglichen.

Aus Sicht des Natur- und Artenschutzes ist eine Planung solcher Konzentrationszonen für Windenergie einer ungesteuerten Planung im gesamten Außenbereich selbstverständlich klar vorzuziehen. Das gilt auch für die Planung in regionaler Zuständigkeit gegenüber der Planung durch kommunale Planungsträger. Gerade wenn große, zusammenhängende Flächen von Windenergie freigehalten werden können, beugt dies Konflikten mit dem Artenschutz vor.

Um den Ausbau der Windenergie zu konzentrieren, gibt es doch schon die Windeignungsgebiete. Warum soll jetzt mit dem Windenergie-Beitragswert ein neues rechtliches Instrument her?

 

Christiansen: Wir brauchen dringend eine Lösung, um ausreichend Flächen bereitstellen zu können, sonst werden die Ausbauziele verfehlt. Bisher ist es so, dass aus den Ausbauzielen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes keine verbindlichen Vorgaben für die Länder resultieren, entsprechende Flächen bereitzustellen.

Lediglich das sogenannte Substanzgebot aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gibt vor, der Windenergie "substanziell Raum zu verschaffen". Die Oberverwaltungsgerichte der Länder haben dieses Gebot zwar rechtlich konkretisiert – im Ergebnis bewegt sich das jedoch nicht annähernd in einem Bereich, der dem erforderlichen Zwei-Prozent-Ziel nahekommt.

Der Windenergie-Beitragswert könnte diese fehlende Flächenvorgabe durch seine anreizgesteuerte Zwei-Prozent-Vorgabe gesetzlich unterlegen.

Inwieweit müssen die Bundesländer dann so eine Regelung im Baugesetzbuch zwingend umsetzen? Ist eine solche Novellierung des Baugesetzbuchs im Bundesrat zustimmungspflichtig?

Christiansen: Eine solche Regelung im Baugesetzbuch würde für die Länder gelten. Zwar arbeiten die meisten Bundesländer bereits mit Windkonzentrationszonen, mit dem Windenergie-Beitragswert entstünde aber auch für alle übrigen Länder der Anreiz, künftig entsprechende Konzentrationszonen zu planen.

Die Anpassung im Baugesetzbuch wäre im Bundesrat nicht zustimmungsbedürftig. Gleichwohl kann die bundesweit zentrale und rechnerische Festlegung des individuellen Windenergie-Beitragswertes den Widerspruch von Ländern und Kommunen hervorrufen. Insofern würde es sinnvoll sein, Konflikten vorzubeugen und gemeinsame Lösungen zu finden. Entsprechende Signale der Bundesregierung gibt es ja bereits.

 

Alles in allem hat der Ansatz des Windenergie-Beitragswertes nach unserer Einschätzung das Potenzial, das Problem der zu geringen Flächenverfügbarkeit für Windenergie grundsätzlich zu lösen.

Die Lösung der Konflikte mit dem Artenschutz steht indes auf einem anderen Blatt.

Lesen Sie morgen Teil 2: "Beides ist möglich, Artenschutz und Ausbau der Windenergie"

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