Dampfendes Braunkohlekraftwerk im Sonnenschein.
Produziert jede Menge Atmosphären-Müll: Braunkohlekraftwerk in Deutschland. (Foto: Catazul/​Pixabay)

Vor ziemlich genau 32 Jahren legte sich ein Schlauchboot vor einen Tanker des Chemiekonzerns Kronos Titan und einige todesmutige Schwimmer sprangen vor dem Schiff in das Wasser der Nordsee. Das Schiff musste stoppen und so endete damals die Verklappung von Dünnsäure im Meer. Greenpeace war auf einen Schlag berühmt.

Was war passiert? Greenpeace hatte dem Publikum gezeigt, dass Dünnsäure ein Fische vergiftender Stoff ist, der auf keinen Fall ins Meer verklappt werden darf. Die Deutschen verstanden sehr schnell: Dünnsäure war Müll und musste nach den allgemeinen Regelwerken entsorgt werden. Es galt das Mantra der Müllentsorgung: vermeiden, verwerten, entsorgen.

Das Kluge an der Aktion war nicht nur das Heldenhafte, Fernsehtaugliche, sondern auch das Einfache. Dünnsäure musste nur als Müll deklariert werden und schon galten andere, sehr gut eingeübte Routinen. Ein einfacher gesellschaftlicher Schaltvorgang.

Auch CO2 ist Müll und darf nicht einfach in die Atmosphäre verklappt werden. Es ist genau wie bei der Dünnsäure, nur in einer anderen Dimension.

CO2 ist der älteste Müll der Zivilisation, die bekanntlich mit Feuer beginnt. Und es ist die historisch größte Menge eines Stoffes, der als Müll deklariert werden sollte und damit den Regelwerken der Abfallgesetzgebung unterworfen würde. Es ist vielleicht am ehesten mit Abwasser zu vergleichen, dessen Abtrennung und gute Reinigung nach Hobrecht 100 Jahre gedauert hat.

Vier Bedingungen

Aber wie geht das eigentlich, dass etwas zu Müll erklärt wird und dass die Gesellschaft folgerichtig meint, der Verursacher müsse für die Entsorgung aufkommen? Es müssen gleich mehrere Bedingungen erfüllt sein:

  • Die Sache muss schädlich sein, unnatürlich, eklig, hässlich, giftig. Eigenschaften, die auf den ersten Blick nicht auf CO2 zutreffen, dieses natürliche, ungiftige und unsichtbare Gas. Aber wir sind aus den Kindertagen des Mülls heraus und wissen, dass CO2 enorme Schäden anrichtet, wenn auch indirekt.
  • Die Abtrennung der Sache aus den natürlichen Kreisläufen und die Überführung in die Sphären der Abfallwirtschaft muss technisch möglich sein.
  • Die Abtrennung der Sache muss bezahlbar sein, die Kosten müssen im Verhältnis zu den vermiedenen Schäden stehen.
  • Die Gesellschaft muss die Deklaration als Müll wollen.

Die ersten drei Bedingungen sind im Prinzip erfüllt. Wir haben verstanden, dass CO2 schädlich ist. Die Abtrennung ist technisch möglich. CCS-Technologien (Carbon Capture and Storage, die Abtrennung an der Quelle und Speicherung im Untergrund) existieren schon länger und auch der Entzug aus der Luft, das Direct Air Capture (DAC), ist möglich.

Auf der Website des Schweizer Start-ups Climeworks kann jeder seinen CO2-Footprint aus der Atmosphäre entziehen und final deponieren lassen – für 1.000 Euro pro Tonne. Das wären nach aktuellen Zahlen des Umweltbundesamts rund 8.000 Euro zusätzliche Müllkosten pro Bundesbürger und Jahr, wenn man nur das Treibhausgas CO2 berücksichtigt.

Porträtaufnahme von Markus Petersen.
Foto: Nina Pieroth

Markus Petersen

wuchs am Boden­see auf, studierte Wirtschafts­wissen­schaften in München, Vancouver und Berlin und gründete 1988 das erste deutsche Car­sharing in Berlin. Heute lebt er in der Märkischen Schweiz und berät mittel­ständische Firmen.

Das ist viel, aber die Technologie entwickelt sich und wird vermutlich günstiger. Das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie geht bei einer installierten Climeworks-Leistung von jährlich 20 Millionen Tonnen CO2 von 70 bis 90 Euro pro Tonne aus.

Aber was ist mit der vierten Bedingung? Will die Gesellschaft überhaupt, dass CO2 als Abfall deklariert und dass der Verursacher zur Kasse gebeten wird? Was das angeht, sieht es nicht gut aus.

Für die Umweltbewegung war Carbon Capture and Storage lange Zeit inakzeptabel, weil es als eine Verlängerungsoption der fossil getriebenen Industrie angesehen wurde. Mit diesem Argument wurden entsprechende Technologieentwicklungen erfolgreich behindert. Auch die mögliche Wiederverwertung von CO2, also der Einstieg in den Stoffkreislauf.

Das hat die fossile Industrie und uns alle jedoch nicht daran gehindert, fröhlich weiter zu emittieren und das verbleibende CO2-Budget zu verplempern. Nun wissen wir nicht recht, wie man es gut machen kann. Es wurde viel Zeit verschwendet.

Kein Recht auf Verschmutzung

Außerdem wird der Eintritt der vierten Bedingung durch den Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten blockiert. Ein Recht auf Verschmutzung ist das Gegenteil von Abfallwirtschaft. Bei der gibt es eben kein käuflich zu erwerbendes Recht, seinen Hausmüll in den Wald zu werfen oder den Inhalt seiner Kloschüssel in den Rinnstein zu kippen. Das ist verboten und der Preis für eine Tonne CO2 ist nicht das Ergebnis eines Handels, sondern schlechterdings der Preis der Abtrennung, der Wiederverwendung oder der sauberen und endgültigen Entsorgung.

Vor diesem Preis fürchten wir uns und haben daher den Lobbyisten im Verein mit den Wirtschaftswissenschaftlern erlaubt, unser Klimabudget mit Verschmutzungsrechten zu vergeuden. Das Recht, Müll in die Atmosphäre zu kippen, folgt einer marktfetischistischen Idee und verhindert die hergebrachte und im Zweifel sozialdemokratische Müllwirtschaft. Wir haben damit lange sehr bequem gelebt.

Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem

Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Fest steht: Es geht nur radikal anders als bisher. Aber wie? Die Gruppe "Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem" entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen. Hier schreiben Wissenschaftler:innen und Expert:innen über Wege in ein neues Verkehrssystem, das flüssig, bequem, gerecht und klimafreundlich ist – jenseits von Allgemeinplätzen und Floskeln. Das Dossier erscheint in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Die Beiträge werden zugleich im WZB-Blog der Forschungs­gruppe Digitale Mobilität veröffentlicht.

Der Börsenpreis für das Recht, eine Tonne CO2 zu emittieren, liegt zurzeit bei etwa 80 Euro. Die Bundesregierung verkauft CO2-Verschmutzungsrechte für Heizung und Verkehr aktuell zu 30 Euro die Tonne. Climeworks entzieht zu Kosten von 500 Euro pro Tonne, bioenergetische Verfahren (BECCS) sind billiger, aber nicht skalierbar. Zum Vergleich: Die Deutschen bezahlen ohne Murren pro Tonne Hausmüll 154 Euro.

Diese Zahlen lassen befürchten, dass die Gesellschaft CO2 erst dann als Müll deklarieren wird, wenn die Preisunterschiede zwischen dem Verschmutzungsrecht und der Müllentsorgung sehr viel kleiner sind als heute.

Aber auch das ist nur eine wirtschaftswissenschaftliche Gleichgewichtsrechnung. Gesellschaften sind jedoch zum Glück mehr. Sie können etwas als richtig und als falsch erkennen. Sie können sich mit kleinen Schlauchbooten vor Kronos, den Anführer der Titanen, werfen, mit nichts als der Wahrheit: CO2 ist Müll!

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