Wenn eine Papierfabrik Dampf in die Luft abgibt, eine Chemieanlage erwärmtes Kühlwasser ableitet oder ein Rechenzentrum seine Server mit Lüftern kühlt, dann geht etwas verloren: Wärme, die eigentlich genutzt werden könnte.
In Deutschland verpuffen jährlich große Mengen industrieller Abwärme in die Umwelt – ein Potenzial, das für die Wärmewende genutzt werden könnte. Hier gibt es nun einen neuen Ansatz: Eine bundesweite "Abwärme-Börse" soll dazu beitragen, dass dieses Potenzial gehoben werden kann.
Die Deutsche Energieagentur (Dena) beziffert die Menge an Abwärme aus Gewerbe und Industrie, die ungenutzt anfällt, auf jährlich rund 125 Milliarden Kilowattstunden. Ein Teil davon lässt sich in den jeweiligen Unternehmen nutzen, wenn entsprechende Rückgewinnungsverfahren eingesetzt werden.
Die nicht verwendeten Abwärme aber kann, wenn die Bedingungen stimmen, auch zur Beheizung von Häusern genutzt werden, etwa durch Einspeisung in Wärmenetze, und damit fossile Energieträger ersetzen. Es ist eine klimafreundliche Heizlösung, vom Potenzial her laut Dena sogar für bundesweit bis zu zehn Millionen Haushalte.
Heizwärme von der Kupferhütte
In Großstädten wie Hamburg setzen Stadtwerke und Industrieunternehmen bereits auf die Nutzung von Abwärme für Nah- oder Fernwärme-Netze. Ein bundesweites Vorzeigeprojekt in der Hansestadt ist die Kooperation zwischen dem Kupferproduzenten Aurubis und den Hamburger Energiewerken.
Die Kupferhütte in Hamburg ist eine der größten Metallhütten Europas und verarbeitet jedes Jahr mehrere Millionen Tonnen Kupfererz. In der Produktion sind hohe Temperaturen nötig. Früher wurde diese Energie ungenutzt in die Umgebung abgegeben, doch ab der gegenwärtigen Heizperiode wird ein nicht unerheblicher Teil davon ins Hamburger Fernwärmenetz eingespeist.

Ein Wärmetauscher gewinnt aus einem Nebenprozess der Kupferproduktion so viel Wärme, dass damit in der Endstufe bis zu 20.000 Vier-Personen-Haushalte versorgt werden können. Das Projekt soll jährlich rund 100.000 Tonnen CO2 einsparen, weil dadurch die Verbrennung von Kohle in einem Heizkraftwerk ersetzt wird. Das entspricht ungefähr den Emissionen von 42.000 Pkw mit einer Jahresfahrleistung von 12.000 Kilometern.
Die Stadt Hamburg sieht in dem Modell eine Blaupause für weitere Industriepartnerschaften, um die städtische Wärmeversorgung nachhaltiger zu gestalten.
Doch nicht nur Industrieanlagen können Quellen für Abwärme sein, sondern etwa auch Betriebe wie Rechenzentren, Großbäckereien oder Brauereien. Ein interessantes Beispiel findet sich in Frankfurt am Main, wo der Energieversorger Mainova Projekte mit neuen Rechenzentren realisiert.
Länder-Wärmekataster als Vorbild
In der Bankenmetropole, die auch ein Internet-Knoten ist, entstehen zahlreiche große Serverfarmen, die große Mengen Abwärme produzieren. Bisher werden solche Datacenter meist mit hohem Energieaufwand heruntergekühlt. Doch nun nutzt Mainova in Pilotprojekten die Abwärme, um nahegelegene Wohnquartiere zu beheizen.
Per Wärmepumpe wird die anfallende Abwärme dabei auf das nötige höhere Temperaturniveau gebracht und in das Wärmenetz eingespeist. Die Stadt Frankfurt sieht darin ein Modell für die Zukunft und will die Abwärmenutzung aus neuen Rechenzentren weiter ausbauen.
Damit die vielfältigen ungenutzten Wärmequellen tatsächlich einen Beitrag zur Versorgung von Wohnungen und Büros leisten können, braucht es Investitionen in Wärmenetze und neue politische Anreize. Bisher wird der Ausbau oft durch wirtschaftliche Hürden und bürokratische Vorgaben ausgebremst.
Künftig könnte immerhin die bundesweite Abwärme-Börse dazu beitragen, dass dieses große Potenzial gehoben werden kann. Unternehmen mit einem hohen Energiebedarf müssen ihren Energieumsatz nun jährlich der "Plattform für Abwärme" melden, die vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) in Eschborn bei Frankfurt am Main geführt wird.
Gesetzliche Grundlage ist das Energieeffizienzgesetz, das 2023 vom Bundestag verabschiedet wurde. Abgabeschluss für die erste Meldung war der 1. Januar 2025. Bisher gab es nur in einigen Bundesländern ähnliche Wärmekataster, so in Bayern, Nordrhein-Westfalen und im Saarland.
"Für Kommunen Gold wert"
"Für Kommunen und Stadtwerke, die derzeit an den Auf- oder Ausbau eines Wärmenetzes denken oder eine kommunale Wärmeplanung erstellen, ist die Abwärme-Börse Gold wert", sagt Matthias Neumeier von der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA‑BW). Sie könnten dort sehen, ob und in welchem Umfang vor Ort nutzbare Abwärme zur Verfügung steht. Wo nutzbare Potenziale vorhanden sind, ist die klassische Versorgung mit Einzelheizungen oder einer anderen Energiequelle für ein Wärmenetz, etwa einer Großwärmepumpe, deutlich teurer.
Kommunen müssen laut einem von der Ampel-Koalition verabschiedeten Gesetz derzeit Wärmeplanungen aufstellen, Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern bis Juni 2026, kleinere Städte und Gemeinden bis Juni 2028.
Allein in Baden-Württemberg liegt das Potenzial industrieller Abwärme laut einer aktuellen Analyse des Stuttgarter Umweltministeriums bei bis zu 9,3 Milliarden Kilowattstunden. Das heißt, theoretisch bis zu 740.000 Haushalte könnten dort mit Heizwärme und Warmwasser aus Abwärme versorgt werden, also immerhin fast 14 Prozent der 5,4 Millionen Haushalte in dem Bundesland.
Neumeier hält den Handel mit Abwärme für eine "Win-win-win-Situation", nämlich für Stadtwerke, Unternehmen und Haushalte. Die Stadtwerke müssten keine zusätzlichen Erzeugungskapazitäten errichten und finanzieren, und für sie fielen auch keine zusätzlichen CO2-Emissionen sowie nur ein geringer Flächenverbrauch an.
Für die Unternehmen bestehe die Möglichkeit, sich mit dem Wärmeverkauf eine neue Einnahmequelle zu erschließen – je nach Qualität und Verfügbarkeit der Abwärme.
Und auch die Haushalte profitierten: "Heizen sie ihr Haus mit Abwärme aus einem Wärmenetz, nutzen sie Energie vor Ort und müssen sich um eine eigene Heizung keine Gedanken mehr machen", heißt es bei der Energieagentur.