Beim Stichwort Geothermie denken viele an die heißen Quellen, wie es sie in Island oder in den USA im Yellowstone-Nationalpark gibt. Oder auch in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden, wo der in der Innenstadt gelegene Kochbrunnen immerhin 66 Grad heißes Wasser an die Erdoberfläche befördert.

Die Erdwärme wird jedoch auch in Regionen wie dem Oberrheingraben von (Heiz-)Kraftwerken genutzt, die die im Erdinnern gespeicherte Energie aus mehreren tausend Metern Tiefe heraufholen. Außerdem zählen auch die Systeme von Wärmepumpen zur Gebäudeheizung in diese Kategorie, wenn dafür nicht die Wärmeenergie aus der Umgebungsluft, sondern die aus relativ flachen Bohrungen in der Erde genutzt werden.

Die "Wärmewende", die bisher in Deutschland auf dem Weg zum Ziel Klimaneutralität 2045 nur langsam vorankommt, könnte durch neue technische Entwicklungen in der Geothermie einen Schub bekommen. Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) erwartet sogar, dass sie zu einer "Schlüsseltechnologie" werden könnte.

Gerade in Großstädten und Ballungsräumen könne sie wesentlich dazu beitragen, fossile durch erneuerbare Energieträger zu ersetzen. So lautet das Ergebnis einer Acatech-Untersuchung, die unlängst vorgestellt wurde.

Fernwärme noch zu über 70 Prozent fossil

Bisher decken die erneuerbaren Energien hierzulande bei der Wärmeversorgung erst rund 15 Prozent des Bedarfs ab. Oft handelt es sich dabei um Biomasse-Verbrennung, zumeist die Nutzung von Holzpellets, Scheitholz oder Hackschnitzeln.

Der Anteil von elektrischen Wärmepumpen und von Solarwärme – über entsprechende Kollektoren auf den Hausdächern – ist noch gering. Auch die technische Geothermie, die sich den Umstand zunutze macht, dass sie Temperatur im Erdmantel pro 100 Metern Tiefe um etwa drei Grad ansteigt, wird bisher nur wenig eingesetzt.

 

Die Acatech-Analyse konzentriert sich auf 81 Großstädte und Ballungsräume, in denen häufig bereits Fernwärmenetze existieren. Hier besteht wegen der engen Bebauung und oft auch durch vorhandene Industrieanlagen ein großer Wärmebedarf sowie eine hohe "Abnahmedichte".

Geothermie-Anlagen haben dabei den Vorteil, dass sie, anders als zum Beispiel Windparks, wenig Platz benötigen und "emissionsarm" laufen. Weiterer positiver Aspekt: Die Geothermie steht unabhängig von Jahreszeiten oder Wetter zur Verfügung.

In Deutschland sind bisher rund 14 Prozent der insgesamt 43 Millionen Wohnungen an Fernwärme angeschlossen, also etwa 6,2 Millionen, doch es sollen nach Plänen der Bundesregierung pro Jahr mindestens 100.000 dazukommen. Das Ziel: 2045 sollen über 18 Millionen Wohnungen fernbeheizt sein.

Bisher stammt die Wärme im gesamten deutschen Fernwärmenetz zu über 70 Prozent aus fossilen Energien, vor allem Kohle und Erdgas.

Gute Voraussetzungen in München

Ballungsräume seien "ein ideales Einsatzgebiet, insbesondere für mitteltiefe bis tiefe Geothermie", erklärte Acatech-Mitglied Rolf Emmermann, der die Studie geleitet hat. So könne auf kleiner Fläche ausreichend Wärme bereitgestellt werden. "Zudem eignet sich Geothermie dank ihrer Speicherkapazitäten zur klimaneutralen Kälteversorgung, was angesichts des voranschreitenden Klimawandels in urbanen Räumen von wachsender Bedeutung sein wird."

Deutschlands jährlicher Endenergieverbrauch für Wärme im Niedrigtemperatur-Bereich beträgt rund 800 Milliarden Kilowattstunden. Davon liefert die Geothermie laut Acatech bisher nur etwa zehn Milliarden Kilowattstunden, größtenteils durch oberflächennahe Systeme.

Dieser Wert lasse sich deutlich steigern. Würden nur zehn Prozent des Potenzials wirtschaftlich nutzbar gemacht, könne Geothermie 20 Prozent des Wärmemarkts abdecken. Emmermann: "Damit könnten kleinere Kommunen und auch Großstädte zu einem signifikanten Anteil mit klimaneutraler Wärme versorgt werden."

Als Vorbild für Geothermie in der Großstadt gilt München, das ein mit 900 Kilometern Länge sehr großes Fernwärmenetz hat. Hier wurde die erste solche Anlage 2004 in Betrieb genommen, sie versorgt den Stadtteil Riem und das Messegelände mit Wärme. Die Quelle dafür ist Tiefenwasser, das mit 94 Grad gefördert wird.

Inzwischen verfügt die Stadt über Geothermie-Nutzungen in unterschiedlichen Stockwerken. Der im Mai vorgelegte Wärmeplan für die Kommune sieht vor, dass die Fernwärme bis 2040 komplett CO2-neutral geliefert werden soll – durch tiefe Geothermie.

Auch in kleineren Kommunen möglich

Aber auch in anderen Städten tut sich einiges in dem Sektor. So wird im Berliner Stadtteil Steglitz das Wohn- und Gewerbeprojekt "Karllotta" gebaut, das nahezu komplett mit Geothermie und Photovoltaik beheizt werden soll. Auf dem Baugelände, auf dem 65 Wohneinheiten und ein Supermarkt entstehen, wird aktuell schweres Bohrgerät aufgefahren, um 35 Wärmesonden in eine Tiefe von knapp 100 Metern zu bringen.

Das Geothermie-Feld des Berliner Versorgers Gasag, einer Tochter von Eon, Engie und Vattenfall, versorgt künftig eine Sole-Wasser-Wärmepumpe mit konstanter Erdwärme, während die Solaranlagen auf dem Dach CO2-neutralen Strom zu deren Betrieb erzeugen.

18 Erdwärmesonden in 150 Metern Tiefe sollen im hessischen Griesheim das Beheizen einer neuen Schule übernehmen. (Bild: Landkreis Darmstadt-Dieburg)

Doch auch kleinere Kommunen zeigen Interesse an der Erdwärme. Ein Beispiel ist die Stadt Griesheim bei Darmstadt in Südhessen. Dort wird künftig eine Schule per Geothermie beheizt, die Wärme kommt hier aus 50 Metern Tiefe. Weitere Gebäude in dem Kreis sollen folgen.

Acatech nennt mehrere Gründe für den Aufschwung bei der Erdwärme. So hätten technologische Entwicklungen in den letzten zehn Jahren dazu geführt, dass Bau und Betrieb von Geothermie-Anlagen deutlich günstiger geworden seien – angefangen beim teuersten Faktor, dem Bohrprozess.

Zudem seien die verwendeten Werkstoffe inzwischen beständiger gegen Korrosion und hätten dadurch eine höhere Lebensdauer. Weiterer Punkt laut der Studie: Die Leistungsfähigkeit von Wärmepumpen ist gestiegen, was es erlaubt, auch Wärmequellen mit geringerem Temperaturniveau zu nutzen.

Wichtig ist auch, dass ein neues Bohrverfahren selbst bei sehr tiefen Bohrungen als sicher gilt. Bohrungen für Geothermie-Kraftwerke hatten zum Beispiel 2006 in Basel und 2019 bei Straßburg Erdbeben ausgelöst, Häuser wurden beschädigt. Dies gilt bei dem neuen, "hydrothermalen" Verfahren als unwahrscheinlich.

 

Die Bundesregierung jedenfalls sieht in der Geothermie einen wichtigen Ansatz, die Wärmewende doch noch in Schwung zu bringen. Sie hat gerade den "Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Geothermie-Anlagen, Wärmepumpen und Wärmespeichern" vorgelegt.

Acatech fordert darüber hinaus weitere Schritte, so zum Beispiel öffentliche Programme, die in den Kommunen nutzbare Untergründe erkunden und daraus die lokalen Potenziale ableiten.