In Hamburg hat die Bevölkerung es geschafft: Unsere Volksinitiative "Tschüss Kohle!" hat erreicht, dass in der letzten Parlamentssitzung vor den Sommerferien der Kohleausstieg in der Fernwärme verbindlich gesetzlich verankert werden wird. Dafür hat die Initiative im Jahr 2018 insgesamt 22.500 Unterschriften gesammelt.
Das nun ausgehandelte Gesetzespaket zur Änderung des Klimaschutzgesetzes wird die Geschwindigkeit der Dekarbonisierung der Hamburger Fernwärme, die rechnerisch mehr als 400.000 Haushalte versorgt und für den Ausstoß von mehr als einer Million Tonnen CO2 pro Jahr verantwortlich ist, entscheidend beschleunigen.
In den letzten Monaten haben wir mit den Regierungsfraktionen und Vertretern der Landesministerien in vielen Gesprächsrunden, mit Hilfe von Experteneinschätzungen und mit der Unterstützung von juristischem Sachverstand um einen Kompromiss gerungen.
Das ursprünglich von uns geforderte Ausstiegsdatum 2025 konnten wir zwar nicht durchsetzen, dafür wurden mehrere neue Regelungen beschlossen, die im Ergebnis sogar eine höhere CO2-Einsparung ergeben können. So beginnt die Ersatzplanung für das Kohlekraftwerk Tiefstack nicht erst 2023, sondern bereits im kommenden Jahr.
Außerdem ist der Klimaschutz jetzt als Staatsziel im Hamburger Klimaschutzgesetz enthalten. Hamburgs Beitrag zur Einhaltung des Pariser Klimavertrags ist dort nun als eine handlungsleitende Gesetzesnorm für alles staatliche Handeln verankert. Alle Dienststellen des Landes werden verpflichtet, permanent darauf hinzuwirken, den Kohleausstieg früher zu ermöglichen.
"Viel mehr erreicht als nur ein Ausstiegsdatum"
Mindestens ebenso wichtig ist die Vereinbarung eines dauerhaften und umfangreichen Beteiligungsverfahrens, das der Zivilgesellschaft in Hamburg die Möglichkeit gibt, frühzeitig den Ideenfindungs- und Planungsprozess für den Tiefstack-Ersatz mit eigenen Vorschlägen zu befördern, zu entsprechenden Plänen des Senats vorab Stellung zu nehmen und speziell die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben zum Hamburger Kohleausstieg kritisch zu begleiten.
Außerdem wird die Landesregierung verpflichtet, Möglichkeiten zu suchen und wahrzunehmen, den Kohleeinsatz bereits vor dem gesetzlichen Ausstiegsdatum zu verringern, zum Beispiel durch neue Technologien, nach Änderungen der regulatorischen Rahmenbedingungen oder durch Änderung der Einsatzreihenfolge der Wärmeerzeugungsanlagen. Beim Ersatz des Kohlekraftwerks Tiefstack soll so weit wie möglich auf Erdgas verzichtet und stattdessen Abwärme aus erneuerbaren Quellen und Industrie eingesetzt werden.
Zur Person
Matthias Ederhof ist Vorstand der Genossenschaft Energienetz Hamburg und Mitgründer der Hamburger Volksinitiative "Tschüss Kohle". (Foto: privat)
Schließlich wird in einer Revisionsklausel festgeschrieben, dass spätestens 2025 der Senat in einem Bericht darlegen muss, ob ein früherer Kohleausstieg möglich ist und ob damit auch das Zieldatum im Gesetz vorverlegt werden kann.
"Wir haben viel mehr erreicht als nur ein Enddatum für den Ausstieg aus der Kohlewärme", meint dazu die Sprecherin der Initiative Wiebke Hansen. "Die Stadt verpflichtet sich jetzt dazu, die Kohleverbrennung ab sofort so weit wie möglich zu vermeiden."
Dass Hamburg sofort und nicht erst ab 2023 nach Alternativen zur Kohleverbrennung in Tiefstack suchen muss, sei "extrem wichtig". Damit könne der Kohleverzicht in Tiefstack allein 1,3 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen, so Hansen. "Das Verhandlungsergebnis kann dem Klimaschutz sogar mehr bringen als unser erster Gesetzentwurf."
Die Verhandlungspartner aus den Regierungsfraktionen äußern sich anerkennend über die Verhandlungsführung und Zielstrebigkeit der Initiative. "Die Volksinitiative hat eine gute Gesetzesvorlage eingebracht und gleichzeitig viel Hartnäckigkeit in der Sache und Flexibilität in der Gestaltung mitgebracht, und sowohl die Regierungsfraktionen als auch die beteiligten Senatsbehörden haben sich darauf eingelassen", heißt es aus dem Umfeld der Grünen-Fraktion. Das sei am Anfang sichtlich nicht allen leicht gefallen, um so besser sei es, dass am Ende alle an einem Strang gezogen hätten.
Eine Energiewende-Bewegung von unten bleibt nötig
Für den Klimaschutz von unten heißt das: Zivilgesellschaftlicher Protest lohnt sich! Das gilt besonders dann, wenn er gemeinschaftlich organisiert wird und sich mit klaren Forderungen an die Parlamente und Regierungen wendet – und dann zum respektvollen und in der Sache konsequenten Dialog bereit ist.
In allen Bundesländern und Kommunen bestehen direktdemokratische Möglichkeiten, um konkrete Forderungen mit lokalem Bezug durchzusetzen – zum Umbau der Wärmeversorgung, zur kommunalen Verkehrswende oder zur Planung und zum Ausbau von klimaneutralen Wohnquartieren bis hin zu einer kommunalen Solarnutzungspflicht von Dächern im Neubau.
In Deutschland sind noch rund 60 Steinkohlekraftwerke im Betrieb. Viele davon werden auch für die kommunale Wärmeversorgung von Städten genutzt. Es lohnt sich, vor Ort aktiv zu werden und mit den lokalen Parlamenten und Regierungen ein verbindliches Abschaltdatum auszuhandeln. Dazu muss zunächst die Bevölkerung aktiviert und hinter einer klaren Forderung versammelt werden.
Ohne eine starke Klimaschutz- und Energiewende-Bewegung von unten werden wir in Europa die Pariser Klimaschutz-Ziele nicht erreichen. Das Handeln der meisten nationalen Regierungen in den Themenfeldern Luftreinhaltung, Klimaschutz, Kohleausstieg und Einhaltung der Pkw-Abgasvorschriften grenzt inzwischen an Staatsversagen.
Deshalb braucht es auch weiterhin eine starke, laute und vielfältige Klimaschutzbewegung und eine ebenso engagierte Bürgerenergie: dezentral, demokratisch und werteorientiert. Gewaltfreier Protest, ziviler Ungehorsam und der Aufbau von weiterem Produktionseigentum in demokratisch organisierter Bürgerhand sind untrennbar miteinander verbunden und der entscheidende nächste Erfolgsfaktor für die deutsche und die europäische Energiewende.