Rich Uncle Pennybags
Die Wirtschaft sollte nicht auf Geiz und Gier, sondern auf Gemeinsinn aufgebaut sein, sagt Reinhard Loske. (Foto: Aisle Twentytwo/​Flickr)

Klimareporter°: Herr Loske, die CO2-Steuer ist derzeit das heißeste Thema in der Umwelt- und Klimadebatte. Sie sagen: Man braucht sie, aber sie reicht bei Weitem nicht aus. Warum?

Reinhard Loske: Ökonomen neigen oft dazu, das System der Preise als einzig relevantes Anreizsystem für Menschen zu sehen und vergessen darüber kulturelle und soziale Prägungen, die nicht monetär bestimmt sind.

Gerade der sozial-ökologische Wertewandel aber speist sich ganz stark aus inneren Motiven der Menschen. Die können durch ökonomische Anreize wie eine CO2-Steuer zwar verstärkt und belohnt, nicht aber durch sie erzeugt werden. Da sind Bildung und soziale Anerkennung für Klimaschutz relevanter.

Der renommierte Klimaökonom Ottmar Edenhofer meint immerhin, die CO2-Steuer ist für die Klimapolitik, was Penicillin für die Medizin ist. Sie trauen dem Medikament nicht?

Ich halte die Metapher für übertrieben. Ich habe mich als Wissenschaftler und in meinen politischen Ämtern stets dafür eingesetzt, dass die Preise die ökologische Wahrheit sagen müssen – aber immer in dem Bewusstsein, dass dies eine notwendige, aber keineswegs ausreichende Bedingung für nachhaltige Entwicklung ist.

Wahr ist, dass es für Produzenten und Konsumenten in einer Marktwirtschaft auf Dauer unmöglich ist, gegen eine schiefe Ebene falscher Preise anzulaufen. Deshalb brauchen wir auch eine CO2-Bepreisung, ganz klar.

Unwahrscheinlich ist hingegen, dass Nachhaltigkeit zum Selbstläufer wird, wenn nur die CO2-Preise stimmen. Das ist eigentlich eine sehr apolitische und marktgläubige Haltung, die ich nicht teile. Wir müssen auch daran arbeiten, dass der für jede Gesellschaft so essenzielle Gemeinsinn wieder systematisch in das Wirtschaftsleben und vor allem die Wirtschaftslehre integriert wird.

Wer hat den Gemeinsinn denn aus der Wirtschaft vertrieben?

Das ist eine lange Geschichte. Man kann bei dem niederländischen Sozialtheoretiker Bernard Mandeville im frühen 18. Jahrhundert beginnen. Er meinte, es seien nicht die Tugenden, die uns wirtschaftlich voranbrächten, sondern die Laster, also nicht die Mäßigung und der Gerechtigkeitssinn, sondern die Gier, der Neid und der Geiz.

Richtig zum Durchbruch kam das Vertreiben des Gemeinsinns aus der Ökonomie aber erst in den 1960er und 1970er Jahren durch Friedrich August von Hayek und Milton Friedman. Sie sahen den Markt als eine Art natürliche Ordnung, die es durch staatliche Interventionen möglichst wenig zu stören gilt. Ihre Sicht der Dinge prägt heute die allermeisten ökonomischen Lehrbücher, bis in die Schulen hinein.

Politische Vertreter dieser Denkart waren in den 80er Jahren Margaret Thatcher und Ronald Reagan, in den 1990er und 2000er Jahren hat sie leider auch Sozialdemokraten wie Tony Blair und Gerhard Schröder erfasst.

Die rot-grüne Bundesregierung hat daran mitgewirkt. Sie hat den Spitzensteuersatz gesenkt, den Bezug von Arbeitslosengeld gekürzt, Unternehmen entlastet ...

Ich denke, die Bilanz der rot-grünen Jahre von 1998 bis 2005 ist gemischt. Es gab den Atomausstieg, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, die Ökosteuer, die Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechts und die Anerkennung neuer Formen von Lebenspartnerschaften.

Aber es gab eben auch die systematische Auslagerung von sozialpolitischen Entscheidungen in Kommissionen, die von einem sehr einseitigen ökonomischen Denken geprägt waren. Ich erinnere an die Herren Hartz und Rürup. Die Ergebnisse waren dann entsprechend.

Wir hätten uns damals als Koalitionsfraktionen stärker gegen diese Entpolitisierung der Politik wehren müssen. Und als Grüne hätten wir stärker in Richtung Grundeinkommen arbeiten müssen. Das muss man heute selbstkritisch festhalten.

Die Bilanz dieser Entwicklung?

Die Wirtschaft wird immer mehr als etwas neben oder über der Gesellschaft Stehendes wahrgenommen, als etwas nicht mehr in sie "Eingebettetes", wie es der Wirtschaftssoziologe Karl Polanyi schon in den 1940er Jahren formulierte. Reduziert man die Wirtschaft aber auf nichts anderes als eine große Maschine zur Gewinnerwirtschaftung, so bleiben der Politik gegenüber der Wirtschaft tatsächlich nur Ohnmachts- oder Allmachtsgefühle.

Reinhard Loske vor der Mole in Warnemünde.
Foto: privat

Zur Person

Reinhard Loske hat die Gesetze zur ökologischen Steuerreform (1998/99) und zum Emissionshandel (2004/2005) als Bundestagsabgeordneter der Grünen maßgeblich mitgeprägt. Für seine politische und wissenschaftliche Arbeit in diesem Feld erhielt er 2008 den Adam-Smith-Preis des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS). Heute ist der promovierte Ökonom und habilitierte Politikwissenschaftler Präsident der Cusanus-Hochschule in Bernkastel-Kues und dort auch Professor für Nachhaltigkeit und Gesellschaftsgestaltung.

Juso-Chef Kevin Kühnert hat seine Folgerungen daraus gezogen. Wäre eine Vergesellschaftung großer Unternehmen eine Lösung?

Zunächst mal fand ich es unterirdisch, wie er attackiert und von seinen Genossen im Regen stehen gelassen wurde. Kaum denkt mal jemand neben dem Hauptstrom, schon wird aus allen Rohren geschossen. Das sagt einiges über unsere Politik- und Medienlandschaft.

In der Sache fand ich Kühnerts Argumentation nicht überzeugend. Ich glaube, die wirklich spannenden Entwicklungen in der Wirtschaft finden heute jenseits des klassischen Widerspruchs von Markt und Staat statt.

Stichworte sind hier: Gemeinwohlökonomie, Ökonomie der Gemeinschaftsgüter, Postwachstumsökonomie, solidarische Ökonomie oder Erzeuger-Verbraucher-Kooperation in Netzwerken. Man muss sich die Details anschauen und braucht passgenaue Politikkonzepte zur Förderung solcher Entwicklungen. Schlagwörter helfen da nur bedingt.

Welche Vorschläge machen Sie?

Wir arbeiten an der Cusanus-Hochschule gemeinsam mit den Studierenden am Konzept einer Ökonomie, die sich nicht nur vom Geschäftssinn, sondern auch vom Gemeinsinn leiten lässt. Wir versuchen, moralisches und kritisches Denken ebenso zu fördern wie praktisches und transformatives Wissen.

Das wird gebraucht, bei RWE, im Mittelstand und in den Gewerkschaften ebenso wie bei "Fridays for Future", "Ende Gelände" oder in öffentlichen Verwaltungen. Unser Ziel ist es, Gesellschaftsgestalter auszubilden, die an der Wiedereinbettung der Ökonomie in soziale Bezüge und die Natur arbeiten können, etwa an der Frage, wie wir soziale Sicherheit von ressourcenverschlingendem Wachstum abkoppeln können.

Wird so etwas in den Parteien diskutiert? Oder woher kann die Veränderung kommen? Braucht es eine neue "revolutionäre" Bewegung?

So Grundsätzliches wird noch zu wenig diskutiert, aber über mangelndes Interesse können wir uns nicht beklagen. Ob man unseren Ansatz der Gemeinsinn-Ökonomie eher als revolutionär oder eher als reformistisch sieht, ist mir eigentlich egal.

Könnte die CO2-Steuereform denn in diesem Sinne einen Beitrag zu mehr gesellschaftlicher Gerechtigkeit leisten?

Ja, das kann sie. Ich habe schon 2013 ein Konzept für einen Ökobonus vorgeschlagen, in dem das Aufkommen aus einer CO2-Steuer auf eine Weise an die Bürger zurückgegeben wird, die Energiesparer und Menschen mit niedrigem Einkommen besserstellt als Einkommensstarke. Würde ein solches oder ein ähnliches Konzept realisiert, ließen sich beide Versprechen einlösen: mehr Klimaschutz und mehr Gerechtigkeit.

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