Hochspannungsleitung von genau unten, man sieht nur drei Leitungen und hinten den Kopf eines Mastes.
Eigentlich fordern immer alle, dass der Strompreis sinken soll. Für den DIHK ist das ein Schreckensszenario. (Foto: Martin Vorel/​Libreshot)

Die Corona-Pandemie lässt den Stromverbrauch in Deutschland sinken. Weil die industrielle Produktion gedrosselt, Bürogebäude verwaist und Restaurants und Geschäfte geschlossen sind, geht der Strombedarf deutlich zurück.

Die zusätzliche Nachfrage durch Verlagerung von Büroarbeitsplätzen ins Homeoffice kann den weggebrochenen Stromverbrauch der Industrie nicht ausgleichen. Wie der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) mitteilte, lag der Stromverbrauch in der vergangenen Woche (bis 29. März) um 7,4 Prozent niedriger als in der ersten Märzwoche. 

Diese Entwicklung beunruhigt den Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Der Dachverband der gewerblichen Wirtschaft fürchtet, dass die sinkende Stromnachfrage zu einem sinkenden Strompreis und damit zu Einnahmeausfällen auf dem EEG-Konto führt. Ab 2021 wäre dann eine höhere Ökostrom-Umlage notwendig. 

Bei einem Rückgang des Stromverbrauchs um 25 Milliarden Kilowattstunden, rechnet der DIHK auf Grundlage von Zahlen des Beratungsunternehmens Enervis vor, würden dem EEG-Konto im kommenden Jahr Einnahmen von rund 1,7 Milliarden Euro fehlen. Deshalb fordert der Wirtschaftsverband nun Zuschüsse – vor allem für energieintensive Unternehmen.

Greenpeace-Energieexeperte Tobias Austrup findet die Forderung unseriös. "Derzeit sind die Auswirkungen der Coronakrise auf die Strompreise noch recht unklar", sagt er zu Klimareporter°. "Wir beobachten einen sinkenden CO2-Zertifikatspreis und sinkende Großhandelspreis für Strom." Was das für die EEG-Umlage bedeutet, sei noch schwer zu beziffern und hänge auch maßgeblich von der Dauer der geringeren Stromnachfrage ab.

"Uralte Forderungen im Corona-Mäntelchen"

Der DIHK fordert in dem vierseitigen Papier aber noch mehr: Geplante klimapolitische Maßnahmen sollen ausgesetzt werden, weil die CO2-Emissionen stark zurückgegangen seien.

Zum einen sind die Emissionen durch die eingebrochene Industrieproduktion und die Einschränkungen beim Verkehr infolge der Coronakrise gesunken. Zum anderen ließ der milde und stürmische Winter die Windstromproduktion nach oben schnellen, während klimaschädliche Kohlekraftwerke wegen des vergleichsweise hohen Zertifikatspreises aus dem Markt gedrängt wurden. Das Klimaziel für 2020, die Emissionen um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken, rückt damit in greifbare Nähe

Weitere klimapolitische Maßnahmen sind deshalb aus Sicht des DIHK derzeit nicht notwendig. Deshalb solle die geplante nationale CO2-Bepreisung für den Bereich der Industrie um zwei Jahre verschoben werden. Eigentlich soll im kommenden Jahr ein CO2-Preis für verwendete Brenn- und Kraftstoffe im Verkehrs- und Gebäudesektor eingeführt werden

Für Brigitte Knopf vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin sind die DIHK-Vorschläge eine unvernünftige Antwort auf die sich abzeichnende Wirtschaftskrise. "Einige Personen und Institutionen fangen jetzt an, die im vergangenen Jahr in Deutschland erzielten klimapolitischen Durchbrüche infrage zu stellen und fordern eine Verschiebung der nationalen CO2-Bepreisung", sagt Knopf gegenüber Klimareporter°.

Greenpeace-Experte Austrup weist darauf hin, dass der DIHK vom nationalen Emissionshandel schon 2019 wenig angetan war. "Der DIHK versucht, seinen uralten Forderungen mit einem Corona-Mäntelchen neue politische Relevanz zu verschaffen." Die sinkenden CO2-Emissionen seien ein akutes Phänomen ohne strukturelle Ursachen, so Austrup. Nach der Krise würden die CO2-Emissionen vermutlich wieder ansteigen. 

Warnung vor Bumerangeffekt

Auch für Carsten Pfeiffer vom Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE) geht der DIHK-Vorschlag in die falsche Richtung. Im Grunde schlage der Verband vor, "dort zu löschen, wo es nicht brennt – und dort, wo es brennt, fehlt dann das Wasser", so Pfeiffer zu Klimareporter°. Mit den stark gesunkenen Brenn- und Kraftstoffpreisen lägen die Energiepreise im Wärme- und Verkehrssektor selbst bei einem CO2-Preis von 25 Euro pro Tonne noch unter dem Preisniveau vor der Krise.

Eine Verschiebung des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) würde aus Sicht von Pfeiffer an anderer Stelle ein Problem vergrößern. "Der gesunkene Stromverbrauch und die gesunkenen Marktwerte an den Strombörsen werden die EEG-Umlage im nächsten Jahr absehbar deutlich erhöhen, wenn dem Anstieg nicht durch die Zertifikatseinnahmen des BEHG entgegengesteuert wird", sagt der Erneuerbaren-Vertreter.

Werde die geplante BEHG-Anpassung verschoben, fehlten die finanziellen Mittel, die für eine Senkung der EEG-Umlage bereits fest eingeplant seien. Höhere Stromkosten für Mittelstand und Privatkunden wären damit die Folge des DIHK-Vorschlags. Pfeiffer: "Um im Bild zu bleiben, es fehlt dann das Wasser zum Löschen."

Ein Aussetzen des geplanten nationalen Emissionshandels würde der Wirtschaft am Ende nicht helfen. Klimawissenschaftlerin Knopf vom MCC sieht sogar wirtschaftliche Vorteile, wenn das Instrument wie geplant eingeführt wird: "Der beschlossene CO2-Preis kann den später notwendig werdenden Konjunkturprogrammen eine Richtung geben – und mit dem Aufschwung auch strukturelle Veränderungen hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft anstoßen."

Es sei zu erwarten, dass nach dem Ende des Shutdowns Nachfrage und Investitionen in großem Stil angestoßen würden. "Aber die Klimaziele und der beschlossene nationale CO2-Preis für die Umsetzung geben dafür den Rahmen vor, deshalb darf jetzt erst recht nicht an ihm gerüttelt werden", sagt Knopf. Entlastungen der Bürger und Unternehmen sollten an anderer Stelle erfolgen.

Auch Airlines und Autobauer wollen Klimaregeln aussetzen

Zuvor hatte auch schon der FDP-Politiker Gerald Ullrich gefordert, die Einführung des nationalen CO2-Preises zu verschieben. Steuererhöhungen in einer Wirtschaftskrise seien falsch, sagte Ullrich. Die Bundesregierung müsse stattdessen Arbeitsplätze in Deutschland retten, der CO2-Ausstoß werde durch die Coronakrise ohnehin sinken.

Der DIHK ist nicht die erste Lobbyorganisation, die sich für weniger Klimapolitik in der Coronakrise starkmacht. So kritisiert der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) die Einführung der Ticketsteuer ab April als "völlig falsches Signal" in Zeiten der Corona-Pandemie. Die Steuer erschwere es, dass angeschlagene Airlines wieder wirtschaftlich ins Gleichgewicht kämen.

Auch die Autoindustrie argumentiert mit der Corona-Pandemie, um den geltenden CO2-Flottengrenzwerten zu entgehen. In einem Brief an die EU-Kommission schrieb der europäische Verband ACEA, dass sich die Autohersteller an die Grenzwerte halten wollten – aber erst nach dem Ende der Krise. Bis dahin solle die Kommission die Grenzwerte aussetzen.

Anzeige