Schon dieses Jahr sollen die ersten Milliarden in den neuen Staatsfonds fließen. (Bild: Monthira Yodtiwong/​Shutterstock)

Das deutsche Rentensystem gerät immer stärker in Schieflage. Während die Zahl der Rentenempfänger:innen wächst, schrumpft die Zahl der Erwerbstätigen. Die Bundesregierung will deshalb die Kapitalmärkte für sich nutzen und damit die Beitragszahlenden entlasten.

Die Idee: Über einen Staatsfonds wird Geld am Finanzmarkt – überwiegend in Aktien – investiert. Die damit erwirtschafteten Renditen sollen sicherstellen, dass die Rentenbeiträge nur langsam ansteigen und Renten nicht gekürzt werden müssen.

Ganz neu ist der Ansatz nicht. Für eine stabile Rente setzen einige Länder, auch in der europäischen Nachbarschaft, seit Jahren auf die Finanzmärkte. Damit die Investitionen im Einklang mit den nationalen wie internationalen Klimazielen stehen, braucht es klare Regeln.

Mit ihrer Sustainable-Finance-Strategie hat sich die Bundesregierung ein mehr oder minder konkretes Ziel gesteckt. Die deutsche Finanzpolitik muss demnach auch Klima- und Umwelt- sowie Menschenrechtsstandards berücksichtigen.

Vor drei Jahren rügte der Sustainable-Finance-Beirat der Regierung in seinem Abschlussbericht: "Noch trägt die Anlagepolitik von Bund und Ländern nicht maßgeblich zum Erreichen der Ziele der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, des Pariser Klimaabkommens oder des europäischen Green Deal bei." Bei der Aktienrente sieht es bisher auch nicht besser aus.

Im entsprechenden Gesetzentwurf für das "Rentenpaket II" tauchen keine bindenden Kriterien auf, um die Renditeerwartung in Einklang mit Umwelt- und Menschenrechtsstandards oder mit Klimazielen zu bringen. Stattdessen heißt es dort, die Aktienrente – von Regierungsparteien "Generationenkapital" getauft – sei "renditeorientiert und global diversifiziert zu marktüblichen Bedingungen anzulegen".

Das rechtlich nicht bindende Vorwort zum eigentlichen Gesetzestext erwähnt zwar eine Anlagestrategie, die Nachhaltigkeitskriterien enthalten soll, bleibt darüber hinaus aber gänzlich unkonkret.

"Zu wenig, zu spät und mit Nebenwirkungen"

In einer gemeinsamen Stellungnahme bemängeln die Umweltorganisation Urgewald und der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre dieses Defizit. "Zukünftige Renten dürfen nicht auf Kosten des Klimas oder von Menschenrechten gehen", erklärt Urgewald-Expertin Kathrin Petz im Gespräch.

"Damit das Generationenkapital diesen Namen auch verdient, muss die Vereinbarkeit mit dem Pariser Klimaabkommen gesetzlich verankert werden."

Es werde keine Rentenkürzungen und keine Erhöhung des Renteneintrittsalters geben, versprach Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Anfang März in Berlin. Dort hatte Heil gemeinsam mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) das neue Rentenkonzept vorgestellt.

Hauptziel sei es, das Rentenniveau beim aktuell geltenden Minimum von 48 Prozent des Durchschnittslohns zu stabilisieren. Außerdem soll die Steigerung der Rentenbeiträge mit dem "Generationenkapital" abgefedert werden.

Die auf den Aktienmärkten erwirtschaftete Rendite soll in Zukunft, neben Beiträgen und Zuschüssen aus dem Haushalt, eine weitere Finanzierungssäule für die Rente sein. Dafür sollen jährlich Milliarden in einen Staatsfonds eingezahlt werden.

In diesem Jahr sollen die ersten zwölf Milliarden Euro in den neuen Fonds fließen. Bis 2028 soll der Betrag von Jahr zu Jahr steigen, um damit bis 2035 einen Kapitalstock von 200 Milliarden aufzubauen. Der Kapitalstock soll schließlich jährlich zehn Milliarden Euro Rendite abwerfen.

Die gesetzliche Rentenversicherung auf ein breiteres Finanzierungsfundament zu stellen, sei grundsätzlich eine gute Idee, sagt Michael Popp, Referent für Alterssicherung des Sozialverbandes VdK. Die Aktienrente sei dafür allerdings nicht geeignet.

Sie sei "in der Summe zu gering, kommt zu spät" und habe mögliche Nebenwirkungen für Menschen und Umwelt.

Staatsfonds investiert in fossile Unternehmen

Verantwortung für den Fonds soll laut Gesetzentwurf eine noch zu schaffende "Stiftung Generationenkapital" übernehmen. Während des Aufbaus der Stiftung obliegt die Verwaltung dem staatlichen "Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung", kurz Kenfo.

Eine Ankündigung, die Kathrin Petz bitter aufstößt. Eine im Februar veröffentlichte Urgewald-Analyse hatte gezeigt, dass der Kenfo im Jahr 2022 rund 771 Millionen Euro in Aktien und Anleihen von 107 fossilen Unternehmen investiert hat, darunter fossile Riesen wie Total Energies, Shell oder BP.

ESG-Kriterien

Das Kürzel ESG steht in der Finanzbranche für environmental, social, governance, deutsch Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung. Kriterien in diesen drei Bereichen sollen Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit lenken und auch einen Vergleich der jeweiligen Fortschritte ermöglichen. Wichtige Aspekte bei der Bewertung der Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens sind beispielhaft die Klimastrategie, die Arbeitsbedingungen und die Transparenz.

Der Begriff ESG ist ebenso wie "nachhaltig" oder "grün" nicht klar definiert und steht häufig in der Kritik, für "Greenwashing" missbraucht zu werden. Da es keine international einheitlichen ESG-Standards gibt, können die Bewertungen von Unternehmen je nach Vermögensverwalter unterschiedlich ausfallen. ESG-Kriterien in einer Anlagestrategie sind also noch lange kein Garant für tatsächlich nachhaltige Investitionen.

Auch für Katharina Beck, finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, müssen die Regeln für die Aktienrente über die des Kenfo hinausgehen. Die Grünen-Fraktion werde sich für eine Ausrichtung der Aktienrente am Pariser Klimaabkommen einsetzen, versichert Beck.

Zwar beinhaltet die Anlagestrategie des Kenfo sogenannte ESG-Kriterien, dies hinderte den Fonds aber nicht daran, 60 Millionen Euro in 13 Kohleunternehmen zu investieren. Es sei zu erwarten, dass die bisher geplanten Nachhaltigkeitskriterien für das Generationenkapital ziemlich nahe an denen des Kenfo liegen, befürchtet Urgewald-Expertin Petz.

Dafür spricht auch, dass die Vorstandsvorsitzende des Atommüll-Fonds, Anja Mikus, die zuständige Investmentmanagerin der Aktienrente sein soll.

In einem Interview mit der Wochenzeitung Welt am Sonntag kündigte Mikus für die Aktienrente eine "renditeorientierte Nachhaltigkeitsstrategie" an. Auch der Kenfo verfolgt nach eigenen Angaben einen "renditeorientierten Nachhaltigkeitsansatz". Mikus ließ dabei offen, ob bestimmte Geschäftsfelder ausgeschlossen werden sollen.

Auf die kritische Analyse von Urgewald reagierte der Kenfo mit einer Erklärung. Der Fonds habe sich erst für 2050 zu einem klimaneutralen Anlageportfolio verpflichtet, heißt es dort. Die Investitionen des Kenfo in fossile Unternehmen seien angesichts des großen Marktes gering. Der eigene Nachhaltigkeitsansatz schließe Investitionen in diese Branche allerdings nicht grundsätzlich aus.

Kenfo-Anlagestrategie im Widerspruch zur Klimawissenschaft

Doch was der Kenfo-Nachhaltigkeitsansatz erlaubt, ist noch lange nicht kompatibel mit dem Pariser Klimaabkommen, einem völkerrechtlich bindenden Vertrag. Die weltweit existierende Kohle-, Öl- und Gas-Infrastruktur führt laut dem jüngsten Weltklimarats-Bericht zu mehr Treibhausgasemissionen, als mit dem in Paris vereinbarten 1,5-Grad-Limit vereinbar wären.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt die Internationale Energieagentur IEA. Um die 1,5-Grad-Grenze noch einhalten zu können, dürfe nicht länger in fossile Energien investiert werden, schrieb die Organisation bereits 2021.

Neben den Schwergewichten wie Total und Shell planen zahlreiche weitere Unternehmen aus dem Kenfo-Anlageportfolio, ihre Öl- und Gasförderung auszuweiten.

In dem Rechtfertigungsschreiben betont der Kenfo, dass durch ein Divestment – das Abstoßen von Aktien etwa von klimaschädlichen Unternehmen – die Transformation dieser Unternehmen nicht vorangebracht werde.

Das sei ein gängiges Argument, kontert Petz. Die Investoren gäben an, sie könnten dank ihres finanziellen Engagements Einfluss auf die Konzernstrategien nehmen, doch die Realität sehe anders aus.

Petz nennt ein Beispiel: Kurz nachdem der Kenfo offengelegt hatte, in BP zu investieren, korrigierte der britische Ölkonzern seine Umweltambitionen nach unten. Statt die Öl- und Gasförderung zwischen 2019 und 2030 um 40 Prozent verringern zu wollen, genügen BP jetzt 25 Prozent.

Trotz dieses Rückziehers sei weder der Kenfo noch irgendein anderer Investor abgesprungen, erklärt Petz. "Es stellt sich also die Frage, wie diese Einflussnahme von Investoren aussieht und was sie nutzt, wenn selbst bei so einer Ankündigung keine Konsequenzen gezogen werden."

Zwei Jahre lang hat es auch der Pensionsfonds Zorg & Welzjin (PFZW), der zweitgrößte der Niederlande, mit Einflussnahme versucht. Anfang Februar stoppte der Fonds diese Versuche, verkaufte seine Aktien von 310 Öl- und Gas-Unternehmen und hielt lediglich an sieben Unternehmen aus der Branche fest.

Deutsche Pensionsfonds investieren in klimaschädliche Industrien

Die Begründung von PFZW-Chefin Joanne Kellermann für diese Divestment-Entscheidung fiel deutlich aus: "Der intensive Aktionärsdialog der letzten zwei Jahre mit dem Öl- und Gassektor zum Thema Klima hat uns deutlich gemacht, dass die meisten Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft nicht bereit sind, ihre Geschäftsmodelle an Paris anzupassen."

Eine Kapitalrente ist in der einen oder anderen Form in vielen europäischen Ländern bereits Realität. Eine vor zwei Jahren im Fachjournal Science Direct veröffentlichte Studie untersuchte die 1.000 größten europäischen Pensionsfonds – privat und öffentlich. Nur 16 dieser Fonds investierten nicht in fossile Unternehmen.

Auch die Pensionsfonds der deutschen Bundesländer sind keine Ausnahme. Laut einer Recherche der Plattform Correctiv aus dem vergangenen Jahr investierten zehn der 16 Bundesländer direkt in klimaschädliche Industrien.

Zwar hätten einige Länder wie Berlin und Schleswig-Holstein ihre Portfolios in den letzten Jahren stärker nach Nachhaltigkeitskriterien ausgerichtet, so die Autor:innen. Dennoch investierten auch diese beiden Länder noch in Banken, die den Ausbau fossiler Energien finanzieren.

Dabei gebe es keinen Grund, nicht nach ESG-Kriterien zu investieren, meint Katharina Beck. "Über viele Jahre haben ESG-Fonds im Schnitt gleiche oder sogar höhere Renditen erzielt als konventionelle Alternativen."

Eine kleine Delle hätten die Aktiengewinne nachhaltiger Fonds erst in den letzten beiden Jahren aufgrund der Öl- und Gaskrise im Zusammenhang mit dem russischen Angriff auf die Ukraine erlitten – die ESG-Fonds schlössen derzeit aber wieder auf.

Nach einigem Hin und Her zwischen den Regierungsparteien einigte sich das Kabinett Ende Mai – ein paar Wochen verspätet – auf den Gesetzentwurf. Nun liegt es am Parlament, doch noch Nachhaltigkeitskriterien zu erstreiten, bevor aus dem Entwurf ein Gesetz wird.