Ein klimaneutrales Deutschland wäre so einfach zu haben. Statt mühsam CO2-Emissionen zu senken, müsste der Bundesfinanzminister lediglich 19 Milliarden Euro in die Hand nehmen – und Deutschland wäre "sofort und jetzt" klimaneutral, rechnete Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe (DUH), letzte Woche bei einem Medientermin vor.
Die 19 Milliarden würden jedenfalls rechnerisch reichen, um eine für ein Jahr ausreichende Menge an CO2-Kompensationszertifikaten weltweit zusammenzukaufen, vor allem aus Waldprojekten.
Allerdings machte Resch diese Rechnung nach eigener Aussage nur auf, um zu zeigen, wie absurd das Modell der CO2-Kompensation ist. Dass Deutschland auf diese Weise nicht klimaneutral werden kann, sei jedem klar, der "einigermaßen bei Verstand ist", sagte der DUH-Chef.
Dennoch versprächen Tausende Unternehmen ihrer Kundschaft "Klimaneutralität" mit dem Hinweis, sie würden die Emissionen ihrer Produkte oder Dienstleistungen kompensieren – oder sogar überkompensieren.
Gerade solche Produkte, die offensichtlich problematisch seien, würden "mit sehr weitreichenden Versprechungen der Klimaneutralität beworben", kritisierte Resch. Viele dieser Werbeversprechen seien "glatte Verbrauchertäuschung".
Der Grund dafür ist nicht neu: Die beworbenen Produkte sind oftmals nur durch den bekannten CO2-Ablasshandel als "klimaneutral" gelabelt – so sieht es auch die DUH. Doch nicht nur das: Vielfach bleibt die Kompensation sogar eine reine Behauptung.
So führten Internetlinks, die auf Unternehmensseiten über das Kompensationsmodell informieren sollen, ins Leere, wusste die DUH zu berichten. Oder die Angaben seien völlig unzureichend.
"Hier gilt ein sehr strenger Maßstab"
Wegen irreführender Werbeversprechen zur Klimakompensation hat die DUH bis Mitte Mai acht Unternehmen verklagt, wie die Organisation mitteilte.
Rechtlich erleichtert wird das Vorgehen durch den Umstand, dass die DUH nicht nachweisen muss, dass die behauptete Kompensation so nicht stimmt. Das sei juristisch nicht erforderlich, sagte Rechtsanwalt Remo Klinger, mit dem die DUH bei den Klagen zusammenarbeitet.
Laut dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb dürfen die Unternehmen den Verbrauchern "wesentliche" Informationen nicht vorenthalten, erläuterte Klinger. Als wesentlich gelte eine Information, wenn sie eine besondere Bedeutung für die Verbraucher habe.
Gerade bei Klimaschutzwerbung hätten die Verbraucher ein "erhöhtes Informationsinteresse", so der Anwalt. Das sei auch schon durch die Rechtsprechung abgesichert. Es müsse konkret aufgeklärt werden, wie die Kompensation funktioniert. Da gelte "ein sehr strenger Maßstab".
Die Unternehmen müssten deswegen nicht nur besser informieren, so Klinger weiter, sie seien auch verpflichtet, zum Beispiel bei Waldschutzprojekten die Behauptung zu belegen, der Wald werde vor Abholzung geschützt oder würde ohne das Projekt abgeholzt werden. Oder es sei nachzuweisen, dass die Wälder, die der Kompensation dienen, dauerhaft stehen bleiben.
So etwas zu belegen, bereite vielen Unternehmen Probleme, ließ der Anwalt durchblicken, denn die gesamte Abwicklung der Kompensation werde meist ausgelagert und im Hintergrund seien ganze Unternehmensketten tätig.
Die Zertifikate selbst werden nicht geprüft
Klar ist damit aber auch: Der Angriffspunkt der Umwelthilfe liegt vor allem auf der behaupteten Verbindung zwischen dem Wald und dem Klimaschutz. Selbstverständlich habe die Umwelthilfe nichts gegen gute Umweltprojekte, die Biodiversität oder Wasserressourcen schützen oder auch CO2 speichern, stellte Jürgen Resch klar.
Die DUH habe aber etwas dagegen, so Resch, wenn der Eindruck erweckt werde, man könne beispielsweise einen Monster-SUV mit ein paar hundert Euro klimaneutral machen. Die Annahme einer "quantitativen Äquivalenz", bei der exakt angegeben wird, wie viel Tonnen CO2 Bäume über Jahrhunderte speichern, sei absurd.
Insofern ist der Ansatz der DUH begrenzt. Die Qualität der Zertifizierung selbst, auf der die Kompensationsversprechen beruhen, wird nicht geprüft. Auch CO2-Gutschriften aus der Errichtung neuer Wind- und Solaranlagen, aus der Wiedervernässung von Mooren oder aus sogenanntem Carbon Farming – und was es sonst noch an kreativen Zertifikatsgeschäften gibt – stehen nicht im Fokus der Verbraucherschützer.
Wer übrigens wissen will, wie Resch auf die 19 Milliarden kommt: Um eine Tonne CO2 durch Wald-Zertifikate auszugleichen, müssen nach seinen Angaben derzeit zwischen acht und 30 Euro aufgewendet werde. Das habe dann eine Spannbreite der Kosten von rund sechs bis 23 Milliarden Euro ergeben – am Ende habe man sich für die 19 Milliarden als wahrscheinlichsten Wert entschieden.
Und diese Zahl braucht man auch noch für die Rechnung: 2021 setzte Deutschland nach bisherigen Angaben rund 760 Millionen Tonnen CO2 frei.