Ölplattform Nordsee
Siemens verdient auch viel Geld mit Öl- und Gasexploration. Das passt nicht zum Nachhaltigkeits-Image. (Foto: Stig Nygaard/​Flickr)

Es war ein Paar, wie es ungleicher nicht sein kann. Die 22-jährige Klimaaktivistin Luisa Neubauer und der 40 Jahre ältere Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzender von Siemens. Er hatte sie gebeten, mit ihm über einen Auftrag für eine Signalsteuerung in einem riesigen Kohleprojekt in Australien zu reden.

Klar, dass jedes Engagement für dieses Projekt in der weltweiten Umweltszene sehr kritisch gesehen wurde, und so hatte auch Fridays for Future schon Proteste angekündigt, jetzt kurz vor der Hauptversammlung. Verständlich, dass Kaeser die Chancen ausloten wollte, den zu erwartenden lauten Aufschrei zu mäßigen.

"Es war ein angenehmes Gespräch" kommentierte Kaeser später. Er hatte ihr angeboten, als externe Vertreterin in den Nachhaltigkeits-Beirat von Siemens und vielleicht sogar in den Aufsichtsrat des Bereichs Energie zu kommen. Er hatte ihr wohl auch Hoffnungen gemacht, den Auftrag zu annullieren.

Aber Joe Kaeser ist kein amerikanischer CEO, der das letzte Wort hat. Er ist der Vorsitzende des Vorstandsgremiums, und eine solche Annullierung musste mit seinen Kollegen abgestimmt werden. Die aber verweigerten in einer sonntäglichen Telefonkonferenz die Zustimmung.

Kaeser kommentierte das trocken auf Twitter und schrieb dann – es war Sonntagnachmittag – einen dreiseitigen Brief, ein "Statement", nur in Englisch, so als wollte er das hier in Deutschland Geschehene hinter sich lassen.

"Nachhaltigkeit leben" war wohl nicht ernst gemeint

Ein solcher persönlicher Brief ist ungewöhnlich. "Das wirft Fragen auf", kommentierten einige Zeitungen und tatsächlich wirkt der Brief mehr wie eine Rechtfertigung. Zunächst bedankte sich Kaeser für die unzähligen Mails und das Engagement in sozialen Medien und zeigte Mitgefühl für die Leiden der australischen Bevölkerung durch die infernalen Waldbrände, nicht ohne zugleich deren Verstärkung durch den Klimawandel anzuzweifeln, vielleicht eine kleine Verbeugung zu den Kunden der Ölindustrie.

Porträtaufnahme von Peter H. Grassmann.
Foto: privat

Peter Grassmann

ist promovierter Physiker und war lange der technische Vorstand im Bereich Medizin­technik der Siemens AG. Später übernahm er die Sanierung von Carl Zeiss in Oberkochen und Jena, dort zusammen mit Lothar Späth. Heute tritt er für eine stärkere Werte­orientierung der Markt­wirtschaft ein, so auch in seinem Buch "Zähmt die Wirtschaft!". Er ist Mitglied in zahlreichen Gremien, unter anderem im Beirat von Scientists for Future.

Und dann begründet er, warum der Rücktritt von einem solchen Auftrag eine gefährliche Botschaft an alle Geschäftspartner ist, wobei ihm sicher auch Beispiele aus anderen Geschäftsbereichen in den Kopf kamen, denen gleiche Angriffe drohen könnten.

Denn Siemens hat nach einer Akquisition in den USA nun einen bedeutenden Öl- und Gas-Bereich. Eine Aufkündigung des Auftrags würde jeden Kunden dort verunsichern. Kaum kann man auf der Webseite das Bild der großen Bohrinsel übersehen, mit dem für den Bereich Öl und Gas geworben wird. Und dass insbesondere die Tiefsee-Exploration unter Nachhaltigkeits-Gesichtspunkten genauso kritisch gesehen wird wie die Erschließung großer Kohlevorkommen, liegt auf der Hand.

Der Streitfall Kaeser/Neubauer verdeutlicht das Dilemma der etablierten Industriegiganten. Sie alle haben noch Geschäfte, denen man das Attribut "Nachhaltigkeit" absprechen muss.

Wie wichtig das Thema aber wird, hat der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock in einem Brief an die Vorstände seiner Beteiligungen und so auch an Joe Kaeser beschrieben. Nachhaltigkeit wird mehr und mehr zu einem Leitmotiv von Aktionären und Vermögensanlagen und damit zu einem wichtigen Teil des Geschäftsmodells.

Natürlich sind diese Trends an Siemens nicht vorbeigegangen. Der Abschnitt Nachhaltigkeit auf der Website beginnt mit dem stolzen Statement "Nachhaltigkeit leben – im Interesse zukünftiger Generationen". Dass dazu die Förderung der Erschließung von Kohle, Öl und Erdgas nicht passt, liegt auf der Hand.

Konsequente Werteorientierung kann Aufträge kosten

Kaeser konnte dennoch nicht raus. Das Geschäftsmodell von Siemens ist noch keineswegs bereinigt von einer Unterstützung "fossiler" Geschäfte. Zudem zeigt der Auftrag, dass die Mahnungen zur Nachhaltigkeit die breite Führungsmannschaft erst mangelhaft erreicht hatten, trotz einer Komponente in den Bonusprogrammen.

Das dürfte auch Joe Kaeser nicht verborgen geblieben sein. Die Annahme des umstrittenen australischen Auftrags ist ja auch ein Versagen der internen Leitlinien und des Nachhaltigkeits-Gremiums.

Dem Vernehmen nach hat dieses Gremium den Auftrag durchgewinkt. Das gäbe der Affäre eine noch viel grundsätzlichere Bedeutung, denn es zeigt, dass interne Gremien Abnick-Veranstaltungen sind, besonders dann, wenn der Vorsitzende des Nachhaltigkeitsbeirats auch Kronprinz und wahrscheinlicher Nachfolger des Siemens-Vorstandsvorsitzenden ist.

Kaesers Ankündigung, dieses Gremium zukünftig mit externen Mitgliedern zu verstärken und ihm ein Vetorecht einzuräumen, ist deshalb revolutionär. Dies wird zu einer internen Kontrolle der Werteorientierung des Unternehmens über die finanzielle Kontrolle hinaus führen. Das kann Aufträge kosten.

Am Ende seines Briefs schreibt Kaeser, dass er als privater Unternehmer anders gehandelt hätte, ein Seitenhieb auf seine Kollegen im Vorstand. Ein "Ihr seid noch nicht so weit!" Die Veto-Power des Gremiums durchzusetzen wird nicht nur die Bereitschaft der Kollegen im Vorstand, sondern auch die des Aufsichtsrats erfordern. Und auch auf Roland Busch, den designierten Kaeser-Nachfolger, kommt noch viel Arbeit zu.

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