Arbeiter montieren im Siemens-Werk in St. Petersburg Stahlteile für Gasturbinen.
Die Gasturbinenproduktion will Siemens genauso loswerden wie die Windkraft-Tochter Gamesa. (Foto: Roman Pimenow/​Shutterstock)

Anfang des Jahres schlug ein Gespräch zwischen der Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer und dem Siemens-Vorstandschef Joe Kaeser hohe Wellen. Kaesers Vorschlag, Neubauer in den Aufsichtsrat des Energiebereichs als Vertreterin der Nachhaltigkeitsszene und der Klimadebatte zu berufen, kam überraschend und war spektakulär.

Eigentlich passte der Vorschlag zur zunehmenden Bereitschaft der Wirtschaft, sich den Herausforderungen der Nachhaltigkeit zu stellen und sich selbst Ziele zu setzen – beispielsweise ein Datum zur CO2-Neutralität. Pioniere wie SAP, Allianz und mehrere Automobilfirmen gingen bereits voran und selbst der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock forderte ein Umdenken beim Klimawandel.

Von Ungefähr kam Kaesers Vorschlag allerdings nicht. Schon die EU-Kommission hatte in ihrer CSR-Strategie Branchenverpflichtungen zu mehr Unternehmensverantwortung angeregt. Selbstverpflichtung und Selbstorganisation der Wirtschaft gehören auch zu den Vorschlägen in den Büchern des Autors, um die immer zügellosere Marktwirtschaft zu zähmen.

Nun gab es also einen Mutigen, der einer Mahnerin für das Unternehmensziel Nachhaltigkeit eine Stimme in einem Aufsichtsgremium geben wollte. Aber intern durchsetzen konnte sich Joe Kaeser bei Siemens nicht. Kurz nach dem Vorstoß wurde sein baldiges Ausscheiden angekündigt.

Dann kam die Pandemie. Die Aufmerksamkeit, die Fridays for Future für den Klimawandel erzeugt hatte, wurde verdrängt durch die Coronakrise – und die Initiative des Siemens-Chefs geriet so wie viele andere Vorsätze in Vergessenheit.

Zahmes Nachhaltigkeitsgremium

Allerdings war die Idee eines Aufsichtsratssitzes für Nachhaltigkeit von vornherein fraglich, denn im deutschen Recht der paritätischen Mitbestimmung wäre damit die gesicherte Mehrheit der Aktionärsstimmen gekippt worden. Denn Aktionäre und Mitarbeiter sind durch die gleiche Anzahl von Sitzen im Aufsichtsrat vertreten, es herrscht Stimmengleichheit, nur mit doppelter Stimme des Vorsitzenden bei Pattsituationen.

Porträtaufnahme von Peter H. Grassmann.
Foto: privat

Peter Grassmann

ist promovierter Physiker und war lange der technische Vorstand im Bereich Medizin­technik der Siemens AG. Später übernahm er die Sanierung von Carl Zeiss in Oberkochen und Jena, dort zusammen mit Lothar Späth. Heute tritt er für eine stärkere Werte­orientierung der Markt­wirtschaft ein, so auch in seinem Buch "Zähmt die Wirtschaft!". Er ist Mitglied in zahlreichen Gremien, unter anderem im Beirat von Scientists for Future.

Damit wäre die Nachhaltigkeits-Vertreterin zum Zünglein an der Waage geworden, mit De-facto-Vetorecht. Dieses Zurückdrängen der Stimmrechte der Aktionäre im Aufsichtsrat in eine Minderheit wäre mit dem Grundgedanken des Eigentums und unserem Grundgesetz wohl kaum vereinbar.

Sinnvoll wären vielmehr externe Mitglieder im Nachhaltigkeits-Gremium des Siemens-Konzerns. Der ist derzeit nur mit Firmenangehörigen besetzt, jede externe Beratung fehlt.

Die Schwäche derart einseitiger Besetzung hatte das Gremium bewiesen, als es die Annahme eines Eisenbahn-Auftrags für die äußerst umstrittene Adani-Kohlemine in Australien durchwinkte – ein Auftrag, den vorher der Konkurrent Hitachi abgelehnt hatte und dessen Annahme für weltweite Kritik sorgte.

Die Hauptversammlung der Siemens AG war danach von lautstarken Protesten der Klimaaktivisten umrahmt.

Energie-Abspaltung ohne Klima-Ambitionen

Nun steht eine neue, eine "außerordentliche" Hauptversammlung an. Es geht um die Abtrennung der Siemens-Energiesparte in eine selbständige Aktiengesellschaft.

Dank der zurzeit bestehenden Versammlungsverbote sieht es so aus, als ob die Abspaltung ohne unübersehbare Hinweise auf die Nachhaltigkeitsschwäche dieser neuen AG erfolgen könnte.

Denn in der Satzung der neuen Aktiengesellschaft ist von den Vorsätzen, das Geschäft zukünftig nach den Grundsätzen der Nachhaltigkeit zu gestalten, nur wenig enthalten. Hier heißt es schlicht, "Gegenstand des Unternehmens" sei das Geschäft "in den Bereichen Öl und Gas entlang der gesamten Wertschöpfungskette".

Öl und Gas – und das in allen Wertschöpfungsstufen? Das bedeutet, dass auch die Exploration unterstützt wird – also zum Beispiel die weitere Beteiligung an Tiefseebohrungen mit all ihren Risiken. Zwar werden als Unternehmensziele auch Dekarbonisierung und erneuerbare Energien genannt, aber ein Hinweis auf den baldigen Abschied von Öl und Gas fehlt.

Das dürfte die neue Aktie als eine nicht nachhaltige Geldanlage kennzeichnen, mit entsprechenden Nachteilen am rasch grüner werdenden Kapitalmarkt.

Man kann nur hoffen, dass zumindest die vor fünf Jahren gegebene Zusage, Siemens bis 2030 CO2-neutral zu machen, weiterhin – und auch für die abzuspaltende Energie-AG – gilt.

Dazu gehört auch das von Joe Kaeser im Nachgang des Gesprächs mit Luisa Neubauer abgegebene Versprechen, für Siemens und seine Tochtergesellschaften den Nachhaltigkeitsrat zu ändern und ihn auch extern zu besetzen – mit Vetorechten.

Bleibt Kritik unsichtbar?

Was hierzu auf der außerordentlichen Hauptversammlung am 9. Juli zu hören sein wird, bleibt abzuwarten.

Hoffentlich finden Fridays for Future und andere Nichtregierungsorganisationen trotz Corona Kraft und Wege, zumindest die externe Besetzung des Nachhaltigkeitsrats einzufordern und vielleicht auch während der virtuellen Hauptversammlung eine Mahnwache vor der Siemens-Zentrale in München abzuhalten.

Noch hat Kaesers Vorschlag eine Chance. Aber die Sorge um die durch Corona dramatisch geschwächte Wirtschaftsleistung hat deren Wiederbelebung zum Liebling der Politik gemacht, mit Milliarden-Verschuldung, wieder auf dem Rücken der nächsten Generation – und wieder fast ohne Berücksichtigung der Priorität der Klimakrise.

Ein positives Zeichen von Siemens wäre ein Riesenschritt, daran zu erinnern.

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