Klimareporter°: Herr Bach, zuletzt gab es eine erregte Debatte um die Stromsteuer. Obwohl die versprochene und dann gestrichene Entlastung für die meisten Haushalte nur einen einstelligen Eurobetrag im Monat bedeutet hätte, war von "Stromsteuer-Schock" und Ähnlichem die Rede.

Resultiert die Aufregung vor allem daraus, dass die finanzielle Lage vieler Haushalte angespannt ist und jeder Euro zählt?

 

Stefan Bach: Wir haben seit 2019 kaum noch Wirtschaftswachstum. Daher sind die Einkommen real kaum gestiegen und bei Geringverdienern durch die Inflation eher gesunken.

Im Wahlkampf hatte die Union der arbeitenden Mitte große Hoffnungen auf spürbare Entlastungen gemacht. Das war aber von vornherein unrealistisch, wenn zugleich Steuererhöhungen tabu sein sollen.

Hinzu kommen bestehende Haushaltslöcher sowie zusätzlich teure Wohltaten, die CSU und SPD bei Renten und Gastronomie durchgedrückt haben.

Und die Unternehmen müssen dringend entlastet werden, da der Standort schwächelt, auch wenn davon erst mal nur die Reichen und Superreichen profitieren, die dann mehr investieren sollen – hoffentlich.

Nach alldem ist der neuen Bundesregierung das Geld schon wieder ausgegangen – trotz Lockerung der Schuldenbremse und Anzapfen der Sondervermögen – Stichwort Verschiebebahnhof.

Was wird da verschoben?

Bestehende Ausgabenprogramme werden in die Sondervermögen gepackt, sodass die höheren Schulden keine Investitionen oder Rüstungsausgaben finanzieren, sondern Haushaltslöcher stopfen und Steuersenkungen möglich machen.

Die Schuldenbremse war ja bisher vor allem eine Steuersenkungsbremse. Die ist jetzt gelockert. Aber man will es auch nicht übertreiben mit dem Schuldenmachen, also müssen eben weitere Versprechen aus dem Koalitionsvertrag abgeräumt werden.

Ein starkes Argument für die Stromsteuer-Entlastung war, dass sie auch eine Art Ersatz für das bisher nicht eingeführte Klimageld sein sollte. Brauchen wir so ein Klimageld jetzt nicht mehr?

Schauen wir auf die allgemeine Einkommensverteilung, dann wirkt die Stromsteuer-Entlastung ähnlich wie das Klimageld, da der Stromverbrauch bei den privaten Haushalten kaum vom Einkommen abhängt – bisher jedenfalls, wenn man die Nutzung von Elektroautos und Wärmepumpen-Heizungen nicht mitbetrachtet.

Das ändert sich gerade zügig. Insoweit entlastet eine sinkende Stromsteuer stärker die Besser- und Hochverdiener, die sich schon klimafreundlich aufstellen und entsprechend investieren.

Bild: Florian Schuh/​DIW

Stefan Bach

ist wissen­schaft­licher Mitarbeiter in der Abteilung Staat am Deutschen Institut für Wirtschafts­forschung (DIW) in Berlin. Er studierte Volks­wirtschafts­lehre an der Universität Köln, promovierte dort 1992 und habilitierte sich 2010 an der Universität Potsdam. Er forscht und berät zu Steuer­politik, Sozial­politik, Einkommens- und Vermögens­verteilung, Klimapolitik und der Entwicklung von Mikro­simulations­modellen.

Ansonsten gibt es beim Stromverbrauch innerhalb der sozialen Gruppen Unterschiede: Rentner verbrauchen relativ zum Einkommen häufiger Strom, da sie viel zu Hause sind, kochen oder fernsehen.

Familien benötigen zwar noch mehr Strom für Waschmaschine oder Tiefkühler, aber würden sie für jedes Kind das volle Klimageld bekommen, stünden sie damit besser da als mit einer Strompreissenkung.

Zu beachten ist auch: Von einer Stromsteuersenkung profitieren auch Unternehmen der Dienstleistungsbereiche oder der Staat für seinen eigenen Stromverbrauch, da kommt nur ein Teil bei den Privathaushalten an.

Und schließlich müssen die Energieversorger den Nachlass über sinkende Preise an die Endverbraucher weitergeben, was nicht immer sichergestellt ist.

Auch Befürworter des Klimageldes sind inzwischen von einer pauschalen Pro-Kopf-Zahlung abgerückt. Beim DIW haben Sie jetzt federführend ein regionales Klimageld durchgerechnet. Was ist die Idee dahinter und was war das Ergebnis?

Der CO2-Preis belastet Landbewohner im Schnitt um 60 Prozent stärker als Städter. Auf dem Land fahren die Leute mehr mit dem Auto, haben größere und energetisch schlechtere Wohnungen und heizen häufiger mit Öl, das einen deutlich höheren Kohlenstoffanteil hat als Erdgas.

Diese Benachteiligung durch die CO2-Bepreisung kann man mit einem höheren Klimageld auf dem Land ausgleichen, so wie das Österreich bisher gemacht hat. Das reduziert den in ländlichen Regionen verbreiteten Widerstand gegen den unpopulären CO2-Preis und erhöht die Akzeptanz für Klimapolitik in den Flächenländern.

Aber anders als man zunächst vermuten könnte, reduziert ein höheres Klimageld für ländliche und ein entsprechend abgesenktes für städtische Regionen die sozialpolitischen Herausforderungen der klimaneutralen Transformation kaum.

Die Zahl der Energiearmut-Härtefälle mit niedrigem Einkommen und zugleich hohem Energiebedarf bleibt praktisch gleich: Bei einem regionalen Klimageld gibt es zwar deutlich weniger Härtefälle auf dem Land, dafür aber deutlich mehr in der Stadt.

Denn auch in den Ballungsräumen haben viele Menschen lange Arbeitswege mit dem Auto oder leben in energetisch schlechten Wohnungen.

Luftaufnahme von Unterlottenweiler bei Friedrichshafen mit vielen Solaranlagen auf den Dächern.
Ein regional differenziertes Klimageld hilft bei einer sozial gerechten Transformation, reicht aber nicht. (Bild/​Ausschnitt: Hennadij Filtschakow/​Shutterstock)

Wenn also auch eine sozial kluge Verteilung des Klimageldes keine unmittelbaren sozialpolitischen Vorteile bietet, bekräftigt das doch die Erkenntnis, dass die sozialen Veränderungen durch den Klimaschutz mit Klimapolitik allein nicht zu bewältigen sind. Braucht Klimapolitik eine flankierende Sozialpolitik?

Absolut. Aber das spricht nicht gegen das Klimageld, sondern dafür. Es ist kein Allheilmittel, aber ohne breitenwirksame und niederschwellige Entlastungen funktioniert eine höhere CO2-Bepreisung einfach nicht.

Umweltbewegte und Technokraten unterschätzen häufig, dass man viele Menschen – etwa auch die zunehmenden Älteren – nicht mit Förderprogrammen oder Sozialleistungen erreicht. Sie haben kein Geld, keine Möglichkeiten oder schlicht keine Lust zu investieren, selbst wenn man kräftig Förderknete dazupackt.

Auch Mieter oder Wohneigentümer können nicht einfach energetisch sanieren, da muss der Vermieter oder die Eigentümergemeinschaft ran. Und die vielen gut situierten Boomer-Rentner wollen ihren Ruhestand genießen und nicht die Wohnung mit viel Geld, Mühen und Dreck umbauen – das sollen die Nachfolger machen.

Für einkommensschwache Haushalte gibt es seit Anfang des Jahres die Möglichkeit, durch eine Klimakomponente ein höheres Wohngeld zu erhalten und so höhere Mieten bei energetischen Sanierungen oder im Neubau abzufedern. Bringt das nichts?

Das höhere Wohngeld nehmen viele einfache Leute nicht in Anspruch, da sie es nicht kennen oder weil es ein Bürokratiemonster ist. Denn dazu muss man zehn Seiten unverständliche Formulare zu intimen Einkommens- und Wohnverhältnissen ausfüllen. Eine erleichternde automatische Vorausfüllung ist Fehlanzeige in der E-Government-Wüste Deutschland.

Klimaneutrale Wohnungen und klimaneutrale Mobilität bei Geringverdienern und Mittelschichten zu erreichen ist ein Marathonlauf, der gerade erst startet.

In Ihrer Studie zum regionalen Klimageld gehen Sie von einem CO2-Preis von 160 Euro je Tonne aus. Das ist in etwa das Dreifache des aktuellen CO2-Preises in Deutschland. Wie kommen Sie zu dieser sehr hohen Annahme?

Nimmt man den europäischen Emissionshandel für Wärme und Verkehr ab 2027 und die Klimaziele ernst, kann so ein Preisniveau nach 2030 durchaus eintreten. Das wird dann natürlich so nicht kommen, sondern politisch begrenzt werden.

Aber selbst dann muss mehr gemacht werden bei Förderung und Regulierung. Gesamtwirtschaftlich günstiger wird der Klimaschutz dadurch nicht, eher teurer, weil die technischen und auch politischen Vermeidungskosten steigen.

Je länger wir ernsthaften Klimaschutz hinausschieben, desto schwieriger wird es?

Entweder geht dem Fiskus bei der Förderung das Geld aus oder man verärgert die Leute mit überzogenen Regulierungen – siehe die Ampel-Regierung und das Heizungsgesetz-Debakel. Das hat den Klimaschutz im Wärmebereich um Jahre zurückgeworfen.

Von der neuen Bundesregierung werden die Klimaschutzziele derzeit leidenschaftslos ignoriert und abmoderiert. Motto: Klimaschutz muss bezahlbar bleiben …

 

Deutschland erhält ab 2027 aus dem EU-Sozialfonds etwa 5,3 Milliarden Euro, um die Belastungen für die Bevölkerung aus dem EU-Emissionshandel für Gebäude und Verkehr auszugleichen. Wohin sollte das Geld am besten fließen?

Damit sollte man Härtefallhilfen und Förderprogramme finanzieren, wie es die EU-Vorgaben vorsehen. Die frei werdenden Mittel im Klima- und Transformationsfonds kann man dann für ein Klimageld verwenden, um den höheren CO2-Preis abzufedern und das murrende Volk zu besänftigen. Das Klimageld kann man regional differenzieren.

Vor allem sollte man das Klimageld bei Haushalten mit höheren Einkommen wieder einkassieren. Das geht pragmatisch und bürokratiearm über die Besteuerung. Dann hat man mehr Geld übrig, um Geringverdiener gezielter zu entlasten und ihnen bei der Transformation zu helfen.