Die Idee klingt einfach zu verlockend: Seit Jahren verharrt der Preis für CO2-Zertifikate im EU-Emissionshandel im Keller – nun, nach einer umfassenden Reform, soll er wieder nach oben klettern. Und zwar nicht nur ein bisschen, wenn es nach den Brüsseler Politikern geht, sondern um mehr als das Doppelte: Durch die Reform könnte der Preis für den Ausstoß einer Tonne CO2 nach Schätzungen in einigen Jahren bei 20 bis 30 Euro landen.
Warum also nicht als Privatperson dem Ganzen ein wenig auf die Sprünge helfen und selbst aktiv werden? Während ich dem Klimaschutz in der EU helfe, schaffe ich mir zugleich eine einzigartige Anlagemöglichkeit. Und wenn sich das erst mal herumgesprochen hat, könnten viele andere auf die gleiche Idee kommen. Je mehr einsteigen, desto größer die Wirkung. Und alle profitieren! Das klingt fast zu gut, um wahr zu sein.
Mein Plan: Ich will Emissionszertifikate kaufen. Und zwar so schnell wie möglich, denn sie haben in den vergangenen Wochen schon deutlich zugelegt: auf derzeit mehr als 16 Euro.
Erstmal mache ich mich schlau, ob ich dem Klimaschutz tatsächlich helfe. Anruf bei Juliette de Grandpré vom WWF. Sie ist in der Umweltszene einschlägige Expertin in Sachen Emissionshandel.
Ihre erste Einschätzung macht mir Mut – die Idee findet sie sympathisch. "Ich finde es gut, wenn Verantwortung übernommen wird", sagt sie. "Es gibt ja auch nicht so viele Möglichkeiten für Privatverbraucher, etwas Sinnvolles auf dem Feld zu tun."
Das Problem ist offensichtlich: Derzeit gibt es einen Überschuss von 1,8 Milliarden Zertifikaten, also "Verschmutzungsrechten". Solange dieser nicht abgebaut wird, regt der Handel nicht zu klimafreundlichen Innovationen an. Es gibt für die Unternehmen einfach keinen finanziellen Anreiz, sich umzustellen.
Nur: Bringt es etwas, als Privatperson selbst zur Verknappung beizutragen? Ja und nein, sagt de Grandpré. Im Prinzip würde der Ankauf erstmal keinerlei Klimaschutzwirkung entfalten – da ja nur der Überschuss abgebaut werde. "Der Verbraucher kauft nur heiße Luft", sagt die WWF-Vertreterin.
Allerdings helfe der private Zertifikatekäufer dabei, das System zu reparieren – und womöglich schneller wieder flottzumachen. Zumindest dann, wenn man annimmt, dass die Leute ihre Zertifikate nicht gleich wieder verramschen, sondern einige Jahre halten.
Nur: Ist das wirklich die Aufgabe der Bürger? Grandpré findet, dass die Politik dafür sorgen müsse, "das System zu korrigieren, das von Anfang an falsch ausgestattet wurde". Das heißt: mit zu vielen kostenlosen Zertifikaten überschwemmt wurde. Und die Bürger sollten nicht unbedingt die Politiker aus ihrer Verantwortung befreien, nachzubessern, bis das System wieder wirkt. Das erwarten Experten etwa ab einem Preis von 30 Euro pro Tonne CO2. "Ich würde nicht an die Verbraucher appellieren, die Fehler der Politik zu korrigieren", sagt de Grandpré.
Ich verstehe ihr Argument. Allerdings habe ich meine Zweifel, ob die EU nach der jüngsten Großreform, die die Rahmenbedingungen für die Handelsperiode des kommenden Jahrzehnts festlegt, sofort im großen Stil nachlegen wird. Entscheidungsprozesse in Brüssel sind erfahrungsgemäß sehr langwierig. Und ich kann auch nicht wirklich erkennen, warum es eine Bürde für den Bürger sein soll, bei der Reparatur des Systems zu helfen – schließlich könnte er ja vom Zertifikatekauf finanziell profitieren – und zwar nicht zu knapp!
Sofort löschen ist kontraproduktiv
Ich frage bei der Organisation The Compensators nach. 2005 wurde sie von Mitarbeitern des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) gegründet, und zwar mit dem Ziel, Emissionszertifikate für Bürger zu kaufen – und anschließend stillzulegen. Das ist der Unterschied zu meinem Vorhaben: Ich will sie ja irgendwann wieder verkaufen – vielleicht nicht alle, aber doch einige. Und doch ist der Ansatz ähnlich: durch die Verknappung der Zertifikate den Preis nach oben treiben.
Stutzig macht mich eine Meldung auf der Homepage der Organisation. Aus ihr geht hervor, dass der Ankauf von Zertifikaten für Privatleute seit November 2017 eingestellt ist. Warum, erklärt mir Hendrik Schuldt am Telefon, Doktorand am PIK: Grund sei die jüngste Reform des Emissionshandels. Herzstück ist die sogenannte Marktstabilitätsreserve. Dieser Mechanismus soll dafür sorgen, dass eine bestimmte Zahl an Zertifikaten vom Markt genommen und in einem Fonds eingelagert wird.
Zum Problem wird für die Organisation aber erst die neue Obergrenze, über der im Jahr 2023 und in geringerem Ausmaß in den Folgejahren die Zertifikate in der Marktstabilitätsreserve gelöscht werden. Das hat den Effekt, dass der Ankauf und die anschließende Löschung von Zertifikaten durch Privatleute vor dieser Löschung sinnlos werden kann.
Vor der Reform galt noch: Kaufe ich ein Zertifikat für eine Tonne CO2 und lösche dieses, dann wird eine Tonne CO2 weniger gehandelt. Nach der Reform muss das überhaupt nicht mehr der Fall sein. "Je mehr Emissionsrechte also freiwillig von uns gelöscht werden, desto geringer der Überschuss und die in die Marktstabilitätsreserve zu überführenden Zertifikate – und letztendlich auch die Anzahl der staatlich ungültig gemachten Zertifikate", sagt Schuldt.
In einem Nebensatz erwähnt er, dass es deshalb unter Umständen fürs erste nur Sinn ergebe, die Zertifikate auch zu behalten – und nicht zu löschen. Da werde ich wieder hellhörig. Genau das will ich ja!
Ich ahne, dass ich tiefer ins System von Europas wichtigstem Klimaschutzinstrument eintauchen muss, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können. Und wähle die Nummer von Grischa Perino, Professor für Ökologische Ökonomie an der Universität Hamburg. Er befasst sich seit Jahren mit dem Emissionshandel und ist einer der wenigen Experten, die die aktuelle Reform tatsächlich durchdrungen haben.
Emissionshandel mit vielen Stellschrauben
Seine Antwort: Es kann dem Klima helfen, wenn Privatleute Emissionszertifikate kaufen, einige Jahre halten und dann wieder verkaufen – aber nur unter ganz bestimmten Umständen.
Die jüngste Reform hat dafür – gewollt oder nicht gewollt – eine Tür geöffnet. "Hauptziel der Reform ist, vorhandene Überschüsse abzubauen und das Angebot an Zertifikaten zukünftig besser an Schwankungen in der aktuellen Wirtschaftslage anzupassen", sagt Perino. Dazu wurde an mehreren Stellschrauben gedreht:
- Um den Zertifikate-Überschuss schneller abzubauen, müssen die Kraftwerke und Fabriken zwischen 2021 und 2030 ihren CO2-Ausstoß jedes Jahr um 2,2 Prozent absenken – ursprünglich waren nur 1,74 Prozent geplant.
- Außerdem dürfen EU-Mitgliedsländer nun auf eigene Faust Zertifikate löschen. Das soll verhindern, dass zum Beispiel ein Land aus der Kohle aussteigt und ein anderes Land dafür umso mehr Emissionen ausstoßen darf.
- Überschüssige Zertifikate sollen ab 2019 außerdem in der Marktstabilitätsreserve zwischenparken – und erst später, wenn die Zertifikate wieder knapp werden, auf den Markt zurückgespült werden. Das funktioniert nach folgendem Mechanismus:
Sind am Ende eines Jahres mehr als 833 Millionen überschüssige Zertifikate auf dem Markt, dann schluckt die Marktstabilitätsreserve im Folgejahr 24 Prozent jener Menge (ab 2024 zwölf Prozent). Jahr für Jahr wandern also mehr überschüssige Zertifikate in die Reserve, und zwar so lange, bis weniger als 833 Millionen im Markt sind.
Weil dann aber weniger neue Zertifikate auf den Markt kommen, müssen die Unternehmen an ihre Reserven gehen und der Überschuss baut sich weiter ab. Fällt er unter die Marke von 400 Millionen, dreht sich der Spieß um: Die Reserve spuckt im Folgejahr 100 Millionen Papiere zur Versteigerung wieder auf den Markt. Und zwar von Jahr zu Jahr, bis die Reserve leer ist. Sie schafft sich damit selbst ab.
- Die Reserve verschiebt das Problem des Überschusses nur in die Zukunft – schließlich werden die Zertifikate zu einem späteren Zeitpunkt ja wieder auf den Markt geschwemmt. Deshalb haben sich die Architekten der neuen Reform einen zusätzlichen Mechanismus einfallen lassen: Ein Teil des Zertifikate-Überschusses in der Marktstabilitätsreserve wird komplett gelöscht.
Dieses Herzstück der Reform funktioniert so: Ab dem Jahr 2023 wird Bilanz gezogen und überprüft, wie viele Papiere sich in der Reserve befinden und wie viele die Unternehmen im jeweiligen Vorjahr ersteigert haben. Ist die Menge identisch, ändert sich nichts.
Übersteigt die Menge der Zertifikate in der Reserve aber die Menge der ersteigerten Zertifikate, wird die Differenz gelöscht. Für immer. Das werden voraussichtlich mehr als eine Milliarde Zertifikate sein. Mit anderen Worten: Je mehr Zertifikate bis 2023 in die Reserve fließen, desto mehr werden gelöscht.
An dem Punkt wird es für mich interessant. Denn das heißt, dass es sich für einen Privatanleger aus Klimaschutzgründen lohnen kann, CO2-Rechte zu kaufen und in einem Konto zu halten. Die Betonung liegt auf "kann".
Wann der Kauf etwas fürs Klima bringt
Zugegeben: Es ist schon etwas trickreich. Man muss sich die "bestimmten Bedingungen" ansehen, von denen Perino sprach:
Zum einen sollten Privatanleger möglichst schnell kaufen – und auch nicht gleich wieder verkaufen oder gar ihre Zertifikate stilllegen lassen, sondern damit warten, bis die Löschung im System passiert ist, also irgendwann nach 2023. Andernfalls geht der Klimanutzen womöglich gegen null.
Zum Zweiten braucht es eine kritische Masse an Privatanlegern, die aus Umweltgründen Zertifikate kaufen. Und die muss es auch noch schaffen, die Aufmerksamkeit der Unternehmen auf sich zu lenken. "Die Unternehmen müssen befürchten, dass die Zertifikate schneller knapp werden als gedacht", sagt Perino. "Das spornt sie an, schneller ihre Technik umzurüsten und weniger CO2 auszustoßen, wodurch mehr Verschmutzungsrechte frei werden, in die Marktstabilitätsreserve wandern und schließlich gelöscht werden."
Allerdings gibt es noch einen weiteren Punkt zu beachten. Die Politik hat sich eine Hintertür eingebaut, über die sie doch noch eingreifen kann, sollten etwa neue Marktteilnehmer in großer Zahl das System durcheinanderbringen: Gelöscht werden sollen die Hunderte von Millionen Zertifikaten nur unter dem Vorbehalt, dass eine Überprüfung vonseiten der Politik "zu keinem anderen Ergebnis kommt".
Solch ein Fall – zugegeben ein wenig realistischer – träte etwa dann ein, wenn Privatanleger mehr als die 833 Millionen Zertifikate kaufen würden. Das hätte die Folge, dass die Reserve immer mehr Zertifikate einsaugen würde, diese dort gelöscht werden und die Unternehmen in kürzester Zeit kaum noch Rechte zum Verschmutzen übrig hätten, so Perino.
Aber schon in etwas kleinerem Maßstab könnten Privatanleger mit ihrem Ankauf die Berechenbarkeit und Planbarkeit innerhalb des Systems untergraben, schließlich weiß ja niemand, wann und ob sie verkaufen. Und das kann am Ende einen Effekt haben, den man gerade nicht will: dass sich Unternehmen noch mehr zurückhalten bei Investitionen in grüne Technologien.
Diesen Effekt allerdings gibt es schon in deutlich größerem Maße durch die Reform selbst, wie Perino in einer aktuellen Studie im Fachmagazin Nature Climate Change kritisiert. Denn die Reform habe das System so verkompliziert, dass sich die Preisentwicklung nur schwer vorhersagen lasse – und Unternehmen weniger angespornt sind, sich zu wandeln.
Ein anderer möglicher Grund für den Eingriff der Politik: Sollte die Wirtschaft enorm wachsen, würden die Unternehmen starken Druck auf die Politik ausüben, mehr Zertifikate zugeteilt zu bekommen.
Wer selbst Zertifikate kaufen will, um Klimaschutz zu fördern, wandelt also auf einem sehr schmalen Grat. "Um dem Klimaschutz zu helfen, müsste die Menge an Privatanlegern groß genug sein, um überhaupt einen Effekt auszulösen, und klein genug, damit die Politik die Regeln nicht wieder ändert", erklärt Perino.
Einen sicheren Klimaschutzeffekt gebe es nur, wenn Privatanleger ihre Zertifikate selbst löschen, und zwar nach 2023, wenn das Zwischensystem der Löschung wieder beendet ist.
Ich gebe zu: Es ist nicht so einfach, wie es anfangs schien. Um eine positive Wirkung aufs Klima zu haben, muss einiges zusammenkommen. Aber es ist möglich. Aber profitiere ich auch finanziell von solch einer Anlage und wie kann ich überhaupt CO2-Zertifikate kaufen? Das erfahren Sie in Teil 2.