Auch durch Projekte, die Treibhausgas-Emissionen kompensieren sollen, wird Erdgas nicht klimafreundlich. (Bild: Mauro Grosso/​Shutterstock)

Ihr Beitrag zum Klimaschutz: klimaneutrales Erdgas. Mit Gas heizen und gleichzeitig das Klima retten – so oder ähnlich lauten die Versprechen vieler deutscher Energieversorger an die Verbraucherinnen und Verbraucher. Als Kundin oder Kunde zahlt man nur ein paar Cent pro Kilowattstunde drauf und kann guten Gewissens die Heizung aufdrehen.

Doch das Werbeversprechen bleibt ohne Gegenwert. Viele Erdgasversorger verkaufen eine Lösung für die Klimakrise, die keine ist. Das Medienunternehmen Correctiv kann alles in allem 116 deutschen Gasversorgern nachweisen, dass sie in den vergangenen 13 Jahren Gastarife und ‑produkte angeboten haben, die weit weniger klimafreundlich waren oder sind als versprochen. 

Das Prinzip hinter dem grünen Gastarif nennt sich CO2-Kompensation: Klimaschädliche Emissionen, die in Deutschland zum Beispiel durch fossiles Heizen entstehen, werden an anderer Stelle in der Welt ausgeglichen – durch den Schutz von Wäldern in Brasilien oder den Bau von Wasserkraftwerken in Indien.

Unternehmen können die so eingesparten Emissionen in Form von CO2-Gutschriften kaufen, um ihre Klimabilanz zu verbessern.

Möglicherweise noch viel mehr "Phantom-Gutschriften"

Doch eine echte Wiedergutmachung bleibt größtenteils aus. Das zeigt die Auswertung der Kompensationsaktivitäten und CO2-Gutschriften von insgesamt 150 deutschen Gasversorgern und kommunalen Stadtwerken durch Correctiv für den Zeitraum von 2011 bis 2024. Begleitet wurde die Auswertung von Wissenschaftlerinnen und Experten, unter anderem vom New Climate Institute, von der Berkeley University, dem Öko-Institut und der Deutschen Umwelthilfe.

Laut der wissenschaftlichen Bewertung konnten 116 von den 150 Gasversorgern nicht plausibel nachweisen, dass die von ihnen genutzten CO2-Gutschriften aus Klimaschutzprojekten tatsächlich Emissionen reduziert oder eingespart haben. Im Ergebnis wurden so mit sehr großer Wahrscheinlichkeit über zehn Millionen Tonnen CO2 weniger eingespart oder reduziert als von den Gasversorgern behauptet.

Vermutlich liegt die Menge dieser "Phantom-Gutschriften" sogar noch weitaus höher, wie die Biologin und Kompensationsexpertin Jutta Kill erläutert. Denn auf dem Markt gebe es "kaum ein Kompensationsprojekt, das plausibel nachweisen kann, dass CO2-Emissionen dauerhaft reduziert oder eingespart wurden", so Kill. Ähnlich äußern sich auch weitere Expertinnen und Experten gegenüber Correctiv.

Europäischer Verbraucherverband spricht von Täuschung

Zum Zeitpunkt der Recherche haben knapp 70 Prozent der 116 Gasversorger klimaneutrales oder umweltfreundliches Erdgas angepriesen. Eine Täuschung, die vor allem dazu dient, eine sterbende Branche am Leben zu halten, sagt Monique Goyens, Direktorin des Europäischen Verbraucherverbands (BEUC).

Porträtaufnahme von Gesa Steeger.
Bild: Ivo Mayr

Gesa Steeger

arbeitet beim Medien­unternehmen Correctiv zu den Themen Klima und nachhaltige Finanzen. Nach einem Volontariat an der Evangelischen Journalisten­schule Berlin war sie mehrere Jahre Reporterin für die Taz am Wochen­ende und im Lokal­journalismus in Brandenburg.

"Anstatt das Geschäftsmodell zu ändern, lassen die Gasversorger ihre Kundinnen und Kunden in dem Glauben, sie täten etwas Gutes", kritisiert die Verbraucherschützerin. Dadurch werde ein wirklich nachhaltiger Lebensstil verhindert, warnt Goyens. "Das ist inakzeptabel."

Ähnlich sieht das auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Die Organisation hat nun zunächst 15 der 116 Gasversorger per Unterlassungserklärung aufgefordert, die Werbung für "klimaneutrales" Erdgas einzustellen. Die betroffenen CO2-Gutschriften stammen vor allem aus Waldschutz- und Kochofen-Projekten, die Brennholz einsparen und damit CO2 vermeiden sollen.

Während das CO2, das beim Verbrennen von Erdgas entsteht, "für viele Jahrhunderte in der Erdatmosphäre bleibt", könne nicht garantiert werden, dass die Bäume in Projektgebieten für diesen langen Zeitraum erhalten bleiben, argumentiert Agnes Sauter, Leiterin der ökologischen Marktüberwachung bei der DUH. Auch die untersuchten Kochofen-Projekte "werden hinsichtlich ihres Einsparpotenzials völlig überschätzt", sagt Sauter.

Erste Unternehmen ziehen Konsequenzen

Vorgegangen wird unter anderem gegen die Werbeversprechen von Eon und den Stadtwerken Landshut und Neu-Isenburg. Dies soll allerdings nur ein erster Schritt sein. "Wir werden in diesem Jahr weitere irreführende Werbung von Gasversorgern mit Rechtsverfahren verfolgen", kündigt DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch an.

Porträtaufnahme von Stella Hesch.
Bild: Henrik Schipper

Stella Hesch

hat nach einem Abschluss in Politik­wissenschaften Daten­journalismus an der TU Dortmund studiert. Nach journalistischen Anfängen bei NTV, Arte Magazin und ZDF begann sie im Herbst 2023 ein Volontariat bei Correctiv.

Schon jetzt ziehen erste Unternehmen Konsequenzen. Mit den Rechercheergebnissen konfrontiert, teilten mehr als 20 Gasversorger mit, ihre klimaneutralen oder Ökogas-Tarife zu überprüfen oder sogar vorläufig einstellen zu wollen. Darunter sind der Kölner Versorger Rheinenergie und die Stadtwerke Bayreuth.

Die Stadtwerke Oberursel wollen sogar noch weiter gehen, wie das Unternehmen gegenüber Correctiv mitteilte: "Wir prüfen, ob wir gegebenenfalls rechtliche Schritte gegen unseren namhaften Dienstleister einleiten." Bei diesem habe man "nach bestem Wissen und Gewissen die Zertifikate gekauft", so die Stadtwerke.

Neun weitere Gasversorger haben die Klimaneutralitätsversprechen nach einer Correctiv-Anfrage kommentarlos von ihrer Website entfernt, darunter die Stadtwerke Rheine, Neumarkt in der Oberpfalz sowie Rietberg-Langenberg. Auch alle weiteren Gasversorger, die laut der Correctiv-Recherche in den vergangenen Jahren fragwürdige CO2-Gutschriften genutzt haben, können in einer Datenbank eingesehen werden.