"Wenn ich an die Markteffizienzhypothese glauben würde, würde ich heute noch Zeitungen austragen", hat der legendäre US-Investor Warren Buffett einmal gesagt. Die genannte Theorie postuliert, dass die Kurse an den Finanzmärkten stets alle verfügbaren Informationen widerspiegeln und daher "rational" sind.
Buffetts Erfolg als Anleger deutet allerdings darauf hin, dass es sehr wohl möglich ist, mehr zu wissen als der Markt – zumindest in Bezug auf einzelne Firmen. Völlig ignorant sind Märkte jedoch auch nicht – zumindest nicht immer.
Eine aktuelle Untersuchung der niederländischen Zentralbank DNB zeigt, dass die europäischen Märkte für Firmenanleihen die EU-Klimapolitik einpreisen. Die DNB-Autoren haben dazu untersucht, inwiefern sich die Kapitalkosten von Firmen mit hohen und niedrigen CO2-Emissionen unterscheiden.
Sie schreiben: "Seit 2020 ist ein deutlicher Preisunterschied zwischen den Kreditkosten für Unternehmen mit relativ hohen CO2-Emissionen und solchen mit geringeren CO2-Emissionen zu beobachten." Firmen mit hohen Emissionen bezahlen im Schnitt 0,4 Prozentpunkte mehr Zinsen als vergleichbare Firmen mit geringen Emissionen, und das sei ein "wirtschaftlich signifikanter" Aufschlag.
Aus Sicht der DNB-Autoren spiegelt diese Zinsprämie ein Risiko wider – das Risiko, dass wegen der EU-Klimapolitik die Gewinne von emissionsintensiven Firmen geschmälert werden.
Zeitlich passt das Auftreten der Zinsprämie denn auch gut zur EU-Klimapolitik: Anfang 2020 verabschiedete das EU-Parlament den "European Green Deal", der eine Verminderung der CO2-Emissionen um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 bis zum Jahr 2030 vorsieht. Bis 2050 sollen die Netto-Emissionen auf null sinken.
Das gab dem Preis für "Verschmutzungsrechte" im EU-Emissionshandelssystem Auftrieb: Der Kurs stieg ab März 2020 innerhalb von zwölf Monaten von 16 auf fast 60 Euro und pendelt heute um 70 Euro.
Zinsaufschlag bei CO2-intensiven Firmen
Im Jahr darauf kam ein weiterer Faktor dazu: die Gerichte. Im Mai 2021 urteilte ein niederländisches Gericht, dass der Öl- und Gaskonzern Shell seine Emissionen reduzieren muss, damit die Ziele des Paris Abkommens erreicht werden können. Der Fall "Milieudefensie gegen Shell" gilt als das erste wichtige Klimaurteil gegen ein Unternehmen.
Kein Faktor bei der Zinsprämie ist hingegen die Kampagne gegen Investitionen in Fossilkonzerne. Umweltorganisationen rufen immer wieder dazu auf, Geld aus Öl- und Gaskonzernen abzuziehen, um deren Kapitalkosten in die Höhe zu treiben. Die DNB-Autoren erwähnen die Divestment-Kampagne aber noch nicht einmal.
Dafür haben sie Anzeichen gefunden, dass die Märkte davon ausgehen, dass die EU weiterhin eine ehrgeizige Klimapolitik betreiben wird. Ablesen lässt sich das an der Zinsprämie von Anleihen mit unterschiedlicher Restlaufzeit: Je später eine Anleihe zurückgezahlt wird, desto höher ist die Zinsprämie, die emissionsintensive Firmen bezahlen müssen.
Die DNB-Autoren schließen daraus: "Dieser Anstieg deutet darauf hin, dass die Anleger entweder mit immer strengeren Klimaregelungen oder mit erhöhter Unsicherheit über die künftige Klimapolitik rechnen."
Aus Sicht der DNB-Zentralbanker ist die Zinsprämie begrüßenswert, sowohl fürs Klima als auch für die Stabilität der Finanzmärkte: Die Zinsprämie biete "einen finanziellen Anreiz für Unternehmen, nachhaltiger zu werden und ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren". Außerdem werde die Energiewende dadurch "effizienter und gleichmäßiger".
Als Anhänger der Markteffizienzhypothese fordern die DNB-Autoren zudem eine Verbesserung der "Qualität, Menge und Vergleichbarkeit von Klimainformationen auf Firmenebene". Dadurch könnten "plötzliche Schocks" im Finanzsystem verhindert werden. Denn die Hypothese besagt ja: Je besser die Informationen, desto rationaler der Markt.