Porträtaufnahme von Oliver Hummel.
Oliver Hummel. (Foto: Naturstrom AG)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Oliver Hummel, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.

Klimareporter°: Herr Hummel, zu wenig Wettbewerb bei Strom und Gas für Haushalte beklagt der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Die Vergleichsportale hätten deutlich weniger Angebote für wechselwillige Kunden als in den letzten Jahren.

Tatsächlich finden sich beim Strom recht wenig Angebote – und meist auch knapp über 40 Cent je Kilowattstunde. Preislich scheint es fast egal zu sein, woher man seinen Strom bezieht. Stimmt der Eindruck?

Oliver Hummel: Dass 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs von Strom bei 40 Cent gesetzlich gedeckelt sind, führt bei den Haushaltskunden dazu, dass Preisunterschiede der verschiedenen Anbieter eingeebnet werden. Die Differenz zwischen konkurrierenden Tarifen muss schon sehr groß sein, damit sie sich in einer Mischkalkulation aus 20 Prozent zum Anbieterpreis und den gesetzlich gedeckelten 80 Prozent spürbar auswirkt.

Seit Jahresbeginn sind die Preise im Stromgroßhandel allerdings deutlich gesunken. Das spricht dafür, dass der Wettbewerb im Jahresverlauf wieder zunehmen wird und die Preise für Neukunden wieder günstiger werden.

Dass sich die Preisentwicklung im Großhandel wieder radikal umkehrt, halte ich für nicht sehr wahrscheinlich angesichts sehr gut gefüllter Gasspeicher und des nahenden Frühlings mit höheren Temperaturen und mehr Einspeisung von Solarstrom.

Trotzdem: Die Ausnahmesituation im Strommarkt ist noch lange nicht vorbei. Im Vergleich zu Vorkrisenzeiten sind das Preisniveau und die Volatilität, also die Marktschwankungen, immer noch extrem hoch. Unterjährige Preisanpassungen in beide Richtungen werden für die Kunden vorerst häufiger.

Und die sinkenden Großhandelspreise stellen viele Händler vor massive finanzielle Herausforderungen aufgrund der steigenden Bürgschaften für die bereits gekauften Terminmarktmengen – Stichwort Margin Calls.

Selbst bei einem Kohleausstieg bis 2030 ist der Strombedarf Deutschlands gesichert, schreibt die Bundesnetzagentur im Bericht zur Versorgungssicherheit. Nötig seien dafür ein dreimal so starker Ausbau der Erneuerbaren, deutlich höhere CO2-Preise, aber auch der Neubau tausender Megawatt von Gaskraftwerken. Hängt der Kohleausstieg 2030 wirklich von so vielen Bedingungen ab?

Erst einmal zieht der Bericht ja ein absolut positives Fazit: Deutschland kann den vorgezogenen Kohleausstieg und nebenbei den Atomausstieg schaffen – auch bei einem deutlich steigenden Strombedarf für Mobilität und Wärme im Zuge der Sektorenkopplung. Das kann uns Mut machen, muss aber auf jeden Fall auch ein Ansporn sein, die Voraussetzungen für dieses Ziel zu schaffen.

Denn klar ist auch: Niemand hat behauptet, dass ein früherer Kohleausstieg leicht zu haben sein wird. Dass wir einen massiven Ausbau der Erneuerbaren benötigen – vor allem im Vergleich zum größtenteils kläglichen Niveau der Vorjahre –, ist da das Allermindeste und wird wohl niemanden überraschen.

Andere nötige Entwicklungen stehen derzeit nicht so im Fokus. Beispielsweise passiert noch zu wenig, um das enorme Potenzial an Flexibilitäten zu heben. Und von der Notwendigkeit eines höheren CO2-Preises als Steuerungsinstrument will angesichts des hohen Strompreisniveaus natürlich derzeit niemand etwas hören. Das ist verständlich, an dieser Diskussion werden wir aber in ein bis zwei Jahren nicht mehr vorbeikommen.

China und die USA fördern die grünen Industrien mit Riesenprogrammen. EU-Kommissionschefin von der Leyen hat nun einen "Green-Deal-Industrieplan" vorgestellt, um die Herstellung von Windrädern, Solarmodulen oder E-Autos in Europa stärker zu etablieren. Ist es denn wichtig, woher meine Balkonsolaranlage kommt – Hauptsache ist doch, sie liefert Strom?

Den meisten Leuten war es vor gut einem Jahr auch noch egal, woher das Gas nach Deutschland kommt. Ein wichtiger Lerneffekt aus dem russischen Überfall auf die Ukraine ist doch, dass wir uns nicht zu sehr von einem einzelnen anderen Land abhängig machen sollten.

Und genau diese Gefahr besteht bei China, das als Vorlieferant in der Photovoltaikindustrie für uns derzeit unverzichtbar ist und in vielen Bereichen schon fast eine Monopolstellung aufgebaut hat, auch aufgrund der sehr gezielten Förderpolitik der chinesischen Regierung.

Es geht dabei ja auch nicht nur um geopolitische Machtspiele. Wir haben im Zuge der Coronakrise schon erfahren, wie fragil die weltweiten Lieferketten sind – und wie fatal sich Störungen auf die Verfügbarkeit und den Preis wichtiger industrieller Produkte auswirken können.

Für mich folgt daraus, dass bei Schlüsseltechnologien der Energiewende wieder mehr Produktionskapazitäten in der EU aufgebaut werden müssen. Und um das zu erreichen, ist eine aktive Industriepolitik nötig.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Am Montag hat das Bundeskabinett die Formulierungshilfe zur Umsetzung der EU‑Notfallverordnung beschlossen. Das klingt sehr technisch, wird aber hoffentlich im Zusammenspiel mit anderen Maßnahmen relativ kurzfristig den Windenergie-Ausbau in Deutschland spürbar ankurbeln.

Konkret geht es darum, die Genehmigungsverfahren zu vereinfachen und damit zu beschleunigen. Das ist dringend nötig, denn von der ersten Idee bis zur Inbetriebnahme eines Windrads vergehen mittlerweile gut sieben Jahre.

Warum mich der Kabinettsbeschluss überrascht: Die EU-Notfallverordnung ist erst kurz vor Weihnachten im EU-Energieministerrat beschlossen worden. Die Überführung in deutsches Recht binnen gut einem Monat – das hatte ich so schnell nicht erwartet, die Erneuerbaren-Branche ist ja leider anderes gewöhnt. Nun also endlich einmal "neues Deutschland-Tempo" für die Erneuerbaren.

Fragen: Jörg Staude

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