Einige Arbeiter am Endmontage-Fließband für den 3er BMW in Leipzig.
In der Autoindustrie soll der "digitale Produktpass" erprobt werden. (Foto: BMW/​Wikimedia Commons)

Klimaneutralität bis 2045 ist in Deutschland gesetzlich verankertes Ziel. Erreicht werden kann die "Netto-Null" beim Treibhausgasausstoß aber nur, wenn auch der Rohstoffverbrauch der Wirtschaft sinkt – durch den Übergang zur Kreislaufwirtschaft, in der Materialien bestmöglich wiederverwendet werden und praktisch kein Abfall mehr entsteht.

Die wirtschaftsnahe Stiftung 2 Grad fordert von der künftigen Bundesregierung nun, Deutschland zum "Vorreiter und Technologieführer" dieser "Circular Economy" zu machen.

Dies steht in einem Papier, das im Dialog mit 14 Unternehmen aus der Automobil-, Chemie- und Recyclingindustrie entstanden ist und den Verhandlern für eine Ampel-Koalition zugestellt wurde. Beteiligt waren unter anderem die Konzerne Audi, Celonis, Lanxess und Interseroh.

Konkret geht es um die Einführung eines "digitalen Produktpasses" etwa für Autos und andere Fahrzeuge. Dieser soll es Recyclern ermöglichen, die darin verbauten Materialien – wie Stahl, Aluminium, Kunststoffe, Chemikalien – bei der Demontage sortenrein zu trennen, aufzuarbeiten und den Herstellern wieder für neue Produkte zur Verfügung zu stellen.

Über Konzepte zu dem Pass, der national und auf EU-Ebene funktionieren soll, hat die Stiftung, die Klimaschutz in der Wirtschaft als Schwerpunkt hat, intensiv mit den Unternehmen in Workshops und Dialogen gearbeitet.

Klima und Digitalisierung

Digitale Produktpässe gelten sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene als Schlüssel, um die notwendige Transparenz für Ressourcen- und Klimaschutz herzustellen, ein hochwertiges Recycling durchzusetzen und nachhaltige Geschäftsmodelle zu ermöglichen.

Derzeit werden in Europas Wirtschaft erst rund 13 Prozent der in der Wirtschaft eingesetzten Rohstoffe recycelt und für Neuprodukte eingesetzt.

Die EU-Kommission hat im Rahmen ihres "Green Deal" angekündigt, die Produktpässe einzuführen. In Deutschland beschäftigen sich das Bundeswirtschafts- und das Bundesumweltministerium damit, zudem gibt es Initiativen in Wirtschaft und Wissenschaft dazu.

"Die neue Bundesregierung sollte sich zum Ziel setzen, Deutschland zum Vorreiter bei der Entwicklung eines digitalen Produktpasses zu machen", sagte Stiftungsvorständin Sabine Nallinger. Dafür müsse endlich eine verantwortliche Stelle geschaffen werden, die die verschiedenen Initiativen zusammenführt.

In den Ampel-Sondierungen sei viel von Klimaschutz und Digitalisierung die Rede gewesen, ohne eine Verbindung zwischen beidem herzustellen, bemängelte Nallinger. "Wir präsentieren nun konkrete Vorschläge, wie man beides sinnvoll und nachhaltig miteinander verbinden kann."

Überlegungen zu Produktpässen gibt es vor allem für Branchen wie Auto-, Bau- und Kunststoffindustrie, die einen hohen Ressourceneinsatz haben. Alexander Maak vom Recyclingkonzern Interseroh erläuterte: "Je komplexer das Produkt ist, desto sinnvoller ist ein Produktpass."

Mittel aus dem Corona-Paket

Auf ein Produkt wie das Auto trifft das besonders zu. Es besteht heute aus rund 10.000 Einzelteilen aus unterschiedlichen Materialien, wobei Metalllegierungen aus Eisen und Aluminium den Löwenanteil ausmachen, Kunststoffe inklusive der Reifen kommen auf elf bis 13 Prozent. Der Kunststoffanteil ist in den letzten Jahren immer weiter angestiegen.

Die Stiftung fordert die neue Regierung auf, eine "Roadmap Digitaler Produktpass" aufzustellen. Um den Pass möglichst praxisnah und handhabbar zu gestalten, sollten die betroffenen Unternehmen eng eingebunden und nationale und europäische Initiativen besser abgestimmt werden.

Maak dazu: "Der Dialog mit den Anwendern – den Unternehmen – ist bisher zu kurz gekommen. Die neue Bundesregierung sollte hier Anreize schaffen, damit dieses nützliche Instrument schnell weite Verbreitung findet."

Empfohlen wird, die Produktpässe in groß angelegten Modellprojekten praxisnah zu erproben. "Zu vermeiden ist eine Sammlung von Daten, die am Ende keinen großen Mehrwert für die beschriebenen Zielstellungen hat", heißt es in dem Papier.

Mittel zur Realisierung einer solchen Strategie seien durchaus vorhanden, zum Beispiel im Rahmen des Corona-Konjunkturpakets für den Automobilsektor, das vom Wirtschaftsministerium verwaltet wird. Hier gehe es um "mehrere Milliarden, die unter anderem für Investitionen in die Digitalisierung der Fahrzeughersteller und Zulieferer vorgesehen" seien.

Anzeige