Klimapolitik hat eine eigene Sprachwelt. Dort leben Worte wie "Kohlenstoffmärkte" oder "Carbon Markets". Da wird aber nicht mit Kohle gehandelt, sondern mit CO2-Einsparungen.

Entsprechende Zertifikate bescheinigen, dass ein Staat oder Unternehmen irgendwo in der Welt Geld ausgegeben hat, um klimaschädliche Emissionen zu mindern. Diese Einsparung kann sich das Land oder das Unternehmen auf die eigene CO2-Bilanz gutschreiben – oder das Zertifikat auf dem Markt meistbietend verkaufen.

 

Die Idee stammt aus den Anfangszeiten der Klimapolitik. Ab 1997 wurden mit dem damaligen Kyoto-Protokoll die ersten Kohlendioxidmärkte geschaffen. Industrieländer konnten in Entwicklungsländern CO2-Projekte umsetzen und sich den Klimaeffekt anrechnen.

Daneben entstand noch ein sogenannter freiwilliger CO2-Markt. Dort finanzierten Unternehmen Klimaprojekte, meist in Entwicklungsländern und gern zum Waldschutz oder für Solarkocher und Ähnliches. Die Kriterien, wann sich der Investor wie viel CO2-Einsparung zugutehalten konnte, waren allerdings lange Zeit äußerst lasch.

Um die 90 Prozent dieser Zertifikate seien "Schrott" gewesen, beschreibt Friedrich Bohn vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig den Marktzustand. Bei Waldprojekten sei das Geschäftsmodell darauf hinausgelaufen, eine möglichst schlimme Entwaldungsgeschichte zu erzählen, um dann – wenn der Wald erhalten bleibt – eine möglichst große Menge gespeicherten Kohlenstoffs errechnen und entsprechend viele Zertifikate verkaufen zu können, erklärt der Ökosystemmodellierer in einem Podcast von Klimareporter°.

Firmen werden mit Fake-Zertifikaten nicht glücklich

Glücklich werden mit dieser Art Fake-Zertifikaten die Firmen aber auch nicht. Sie wollen eigentlich ihr Klima-Image aufbessern. Ende September dieses Jahres listete die Deutsche Umwelthilfe schon nahezu 100 Unternehmen auf, die sie verklagt hat – wegen Werbeversprechen, Produkte oder Leistungen seien klima- oder CO2-neutral.

Und dass ein Hersteller so eine Klage vor Gericht abgeschmettert bekam, ist bisher nicht bekannt.

Quer durch Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ging deswegen ein Aufatmen, als gleich zum Start des diesjährigen Weltklimagipfels Mitte November in Baku endlich der Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens, der die CO2-Märkte regeln soll, fertig verhandelt und verabschiedet wurde – nach zehnjährigen Verhandlungen.

Für Unternehmen ist dabei der Unterartikel 6.4 besonders interessant. Er soll es der Wirtschaft ermöglichen, Emissionen zu kompensieren, indem sie in Klimaschutzprojekte investiert. Damit soll sich, zumindest theoretisch, Geld zum Klimaschutz besonders für ärmere Länder mobilisieren lassen.

Bessere Standards für Waldprojekte

Aus den Fehlstellen bisheriger Kohlenstoffmärkte hat die Klimagemeinschaft offenbar gelernt. So soll es für Waldprojekte künftig bessere und einheitlichere Standards geben, um den realen Klimaeffekt zu berechnen, lobt Friedrich Bohn. Zudem seien die Standards für die Speicherfähigkeit der Wälder eher konservativ angelegt.

Gelöst wird mit dem Artikel 6 auch das Problem der oftmals kritisierten Doppelzählung. Zuvor konnten sich sowohl die investierende Firma als auch das Land, in dem das Projekt umgesetzt wurde, die CO2-Einsparung jeweils anrechnen.

Werbematerial von McKinsey: CO2-Märkte waren ein wichtiges Thema des Bakuer Klimagipfels. (Bild: Jörg Staude)

"Alle haben den Willen, den Kohlenstoffmarkt zum Laufen zu bringen", macht Friedrich Bohn Hoffnung. In Baku machte dazu das Schlagwort von den "Carbon Markets 2.0" die Runde. Die Einigung beim Artikel 6 sei ein "Gamechanger", mit dem das Rennen gegen die Klimakrise gewonnen werden könne, war auf Podien von Wirtschaftskanzleien wie McKinsey zu hören.

Bis der Markt aber wirklich starten kann, dauert es noch. Anfang nächsten Jahres wird erst einmal das Aufsichtsgremium für den 6.4‑Mechanismus seine Arbeit aufnehmen. Zu klären sind auch noch einige Regeln – zum Beispiel, wie dauerhaft das CO2 in Biomasse oder bei technischen Verfahren wie der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) gebunden werden muss, damit es als Minderung anrechenbar ist.

Die Zeitspanne reicht hier bei Biomasse von Jahren bis zu Jahrzehnten und bei unterirdischer Speicherung bis zu eintausend Jahren. Auch fehlt dem Carbon Market 2.0 noch ein Register, also eine CO2-Buchhaltung, um Betrug und Trickserei zu erschweren.

CO2-Markt kommt nicht von selbst in Gang

Am meisten Kopfzerbrechen bereitet den Fachleuten aber der Umstand, dass der CO2-Markt nicht von selbst in Gang kommt. Dazu reichen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen noch nicht.

So geistern noch immer alte Emissionsgutschriften aus der Zeit des Kyoto-Protokolls herum und drücken den Preis für neue Zertifikate nach unten. Diese alten "Junk Bonds" sollten aus dem Markt genommen werden, wurde in Baku gerade von Investoren aus dem arabischen Raum gefordert.

Diesen gefällt aber auch wenig, dass die CO2-Minderungsprojekte künftig nach High-Quality-Standards bewertet werden sollen. Kriterien sind hier nicht nur eine ehrlichere CO2-Bilanzierung, sondern auch das Einbeziehen lokaler Gemeinschaften und eine Klimaversicherung der Projekte. Zum Beispiel müssten, wenn ein CO2-Spar-Wald abbrennt und der Kohlenstoff als CO2 wieder frei wird, Ersatz-Zertifikate beschafft werden.

All das kostet wiederum Geld. Wird das Generieren von CO2-Zertifikaten aber zu teuer, würde es sich beispielsweise nicht lohnen, in rauen Mengen Erdgas anzubieten, dessen CO2-Gehalt per Zertifikat künstlich abgesenkt ist und das dann als "CO2-armes Gas" vermarktet werden könnte.

Insbesondere Vertreter von Öl- und Gasförderern plädierten in Baku dafür, die Standards nicht zu hoch anzusetzen. Jede eingesparte Tonne CO2 sei doch besser als keine eingesparte, argumentierten sie.

Andere Länder wie Deutschland setzen sich dagegen für verpflichtende Mindeststandards ein und warnten vor einer Wiederkehr von Zuständen wie beim freiwilligen CO2-Markt.

Carbon Markets benötigen höheren CO2-Preis

Eine weitere Voraussetzung, damit der Kohlendioxidmarkt in Gang kommt, ist ein deutlich höherer CO2-Preis, und zwar global. Die Rechnung geht hier so: Im europäischen Emissionshandel kostet die Emission einer Tonne CO2 derzeit 60 bis 70 Euro.

Will man Kohlendioxid zum Beispiel technisch per CO2-Abscheidung aus der Luft holen – das sogenannte Direct Air Capture –, kostet das pro Tonne derzeit bis zu 1.000 Euro, später vielleicht 200 bis 300 Euro. Für Unternehmen ist es gegenwärtig also noch deutlich günstiger, den CO2-Preis zu bezahlen, als in solche technischen CO2-Minderungsprojekte zu investieren.

Deswegen rechnet die Branche damit, dass in der nächsten Zeit eher biogene CO2-Senken wie Wälder, Moore, Aufforstung oder Algenfarmen das begehrte Ziel der Kohlenstoffmärkte sein werden.

 

Dass nun erstmals Standards für den internationalen Handel von CO2-Zertifikaten unter UN-Aufsicht festgelegt sind, ist für Jérôme Cochet ein wichtiger Schritt, damit der Markt entstehen kann. Dies reiche zur alleinigen Qualitätssicherung aber nicht aus, betont der Chef des Berliner Zertifikatehändlers Goodcarbon.

"Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass CO2-Bindungsprojekte dank UN-Siegel jetzt keine weiteren Qualitätskontrollen mehr brauchen", warnte Cochet. "Die UN-Kriterien werden helfen, schlechte Projekte auszusieben – aber nicht alle."

Dem Gamechanger fehlen offenbar noch einige gute Spielregeln.