Grafik: Kristin Rabaschus

Zwei Billionen Euro für sieben Jahre – Ursula von der Leyen hat große Pläne mit einem deutlich ausgeweiteten Etat. Ihr Parteifreund Friedrich Merz und andere Euro-Regierungschefs sind damit nicht einverstanden, auch Wirtschaftslobby und Umweltverbände üben wie üblich scharfe Kritik.

Die Diskussionen um den Haushaltsplan der Europäischen Union für den Zeitraum 2028 bis 2034 werden sich freilich noch über viele, viele Monate zäh hinziehen. Und Geld ist ohnehin nicht alles. Gestellt werden die Weichen, die Europa in eine graue oder grüne Zukunft führen werden, nämlich auf dem Rechtsweg.

Bleiben wir optimistisch. Dann folgt Europa der Idee "zwei Schritte vorwärts, ein Schritt zurück". Und nicht dem alten Buchtitel von Wladimir Lenin, der sich vor 120 Jahren mit innerparteilichen Bremsern auseinandersetzte: "Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück".

So schreitet zwar in EU-Kommission, Ministerrat und Parlament die angestrebte Lockerung von Unternehmenspflichten, die zum Schutz von Klima, Umwelt und Menschenrechten eingeführt worden waren, voran. Von der Leyen will Vorschriften und Berichtspflichten – vom Lieferkettengesetz für die Industrie bis zur Taxonomie für Banken und Versicherer – in Teilen schleifen.

Diese Einschränkungen von bisherigen Begrenzungen seien "ein entscheidender Schritt", damit Europas Wirtschaft wieder stärker wachsen und Arbeitsplätze schaffen könne, teilte ein Sprecher des EU-Ministerrats kürzlich mit. Nun sollen mehr (mittelgroße) Unternehmen von den Nachhaltigkeitsregeln ausgenommen, Informationspflichten verringert und Haftungsrisiken gesenkt werden. Der Rat, in dem die Mitgliedsstaaten vertreten sind, geht dabei teilweise weiter als die Europäische Kommission unter ihrer Präsidentin von der Leyen.

Zu dem Politikwechsel in Brüssel und Berlin haben nicht allein Trumps Zollpolitik oder der Ukraine-Krieg beigetragen, sondern auch die schwächelnde Weltwirtschaft – und die Lobbytätigkeit namentlich deutscher Unternehmensverbände. Schließlich finanziert die Bundesrepublik ein Viertel des EU-Etats.

Das Rollback begeistert nur einen Teil der Wirtschaft

Doch längst nicht alle Unternehmen sind begeistert davon, dass starke politische Kräfte die Nachhaltigkeitspflichten zurückdrehen wollen. Finanzdienstleister warnen in einem offenen Brief vor "Rechtsunsicherheit und Kehrtwenden". Verlässliche regulatorische Rahmenbedingungen seien die Grundlage für Investitionen. Unterschrieben haben unter anderem der Münchner Versicherungskonzern Allianz, der schon lange strategisch mit Nachhaltigkeitsrisiken umgeht, und mehrere in Deutschland aktive Geldinstitute wie die niederländische ING Bank.

Dabei geht es auch um Wettbewerb innerhalb der Finanzszene und innerhalb anderer Wirtschaftszweige und Branchen. Schließlich haben die unterzeichnenden Konzerne bereits viel monetäres und personelles Kapital in ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung und in neue "grüne" Prozesse investiert – wohl weit mehr als manche Konkurrenz in und außerhalb der EU.

Christine Lagarde, Präsidentin der Europäische Zentralbank, sorgt sich ihrerseits kraft Amt darüber, dass viele Pläne in den untersten Schubladen verschwinden könnten, die für die Zukunft klimafreundlichere Investitionen vorsahen. Schließlich gefährdet der Raubbau an der Erde und ihren Ressourcen mittelfristig auch die kommerziellen Interessen des Finanzkapitals.

Und auch die Bundesfinanzaufsicht Bafin bleibt risikobewusst, wenn es um ESG geht, also um Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung, englisch environmental, social and governance. "Die Bafin ist seit Längerem bestrebt, bei den beaufsichtigten Unternehmen sukzessive das Bewusstsein für physische und transitorische Risiken zu stärken", heißt es aus Frankfurt am Main.

Solche "physischen Risiken" ergeben sich beispielsweise aus Extremwetterereignissen wie lang anhaltenden Dürren oder Waldbränden. "Transitorische Risiken" treten etwa bei der Umstellung auf eine nachhaltige, CO2-arme Wirtschaft auf.

Neue gesetzliche Vorgaben könnten zur Folge haben, mahnt die Aufsichtsbehörde, dass Gebäude oder Anlagen saniert werden müssen, wodurch hohe Investitionskosten entstünden. Andere politische Maßnahmen könnten bald dazu führen, dass fossile Energieträger noch teurer, letztlich zu teuer würden.

Eine kostspielige Erfahrung, die in Deutschland gerade energieintensive Branchen wie die Chemieindustrie machen. Werke werden geschlossen, weil Strompreise zu hoch sind, um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können.

 

Unterm Strich gibt es also in der Wirtschaft, und zwar nicht allein in Deutschland, erhebliche Widerstände gegen ein ESG-Rollback aus Brüssel und Berlin. Dabei hängen das Pro oder Contra in all ihren Schattierungen maßgeblich von den unterschiedlichen Interessen der Akteure ab. Ein grundlegender Aspekt, der von maßgeblichen Teilen der letzten Bundesregierung sträflich vernachlässigt worden war und zu deren kläglichem Ende entscheidend beitrug.

Verbrauchernahe Unternehmen wie Versicherer oder Bäcker sind oft grüner als verbraucherferne, deren Kunden Kohlekraftwerksbetreiber in China oder Ölunternehmen am Golf sind. Groß oder klein, Autokonzern oder Handwerksbetrieb, all das führt zu unterschiedlichen Interessen, wenn es um Nachhaltigkeit geht.

Und Finanzdienstleister haben nun einmal andere Interessen als Chiphersteller. So viel "Marx" muss man mindestens beachten, wenn die grüne Transformation schrittweise gelingen soll.