Gasrohre
Investitionen in neue Erdgasprojekte könnten bis 2040 geschützt bleiben, fürchten Handelsexperten. (Foto: Susanne Götze)

Seit zwei Jahren verhandeln die EU-Staaten über eine Reform des Energiecharta-Vertrages (Energy Charter Treaty, ECT). Der Vertrag aus den 1990er Jahren soll Investitionen von Energieunternehmen schützen. Er ermöglicht es Konzernen, Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu verklagen. Ende Juni soll die Reform unter Dach und Fach sein.

Die 13. und vorletzte Verhandlungsrunde, die am Wochenende in Brüssel zu Ende ging, blieb offenbar ohne greifbare Fortschritte. Das ECT-Sekretariat teilte am Freitag nur mit, die Modernisierungsgruppe habe über Kompromissvorschläge, Stellungnahmen und Kommentare der Delegationen debattiert.

Fortschritte seien bei den Bestimmungen zur nachhaltigen Entwicklung und zur sozialen Verantwortung der Unternehmen erzielt worden, heißt es weiter. Auch bei der Abgrenzung, was eine "Investition" ist und was nicht, sei man vorangekommen. Die Diskussion über einen speziellen Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten sei fortgesetzt worden.

Der ursprüngliche Zeitplan sah vor, die Verhandlungen in dieser Runde im Wesentlichen abzuschließen. Nun sind dazu für den Juni mindestens drei weitere Tage angesetzt.

Angesichts der mageren Ergebnisse hält das Umweltinstitut München die Reform des Energiecharta-Vertrags für endgültig gescheitert. Die letzte Verhandlungsrunde sei sogar vorzeitig beendet worden, hieß es bei der Umweltorganisation.

Mit der ECT-Reform wollte die EU erreichen, dass die Energiecharta dem Pariser Klimaabkommen und der Energiewende nicht länger im Weg steht. Zudem sollte das umstrittene Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren verändert und der Investitionsschutz an EU-Standards angepasst werden.

Ob in der jetzt abgeschlossenen Runde in diesen Punkten Fortschritte erreicht wurden, ist unklar. Eine entsprechende Anfrage ließ die EU-Kommission bisher unbeantwortet.

"Jetzt rechtssicher aussteigen"

Für Ludwig Essig vom Fachbereich Handelspolitik des Umweltinstituts München stand bereits vor dem Start der Reform-Verhandlungen fest, dass mehr als Kosmetik nicht möglich sein würde. Die EU sei mit ihren Reformzielen gescheitert und müsse das "Anti-Klima-Abkommen" jetzt kündigen. Sollte dies innerhalb der EU nicht gelingen, müsse Deutschland "unverzüglich" einseitig aussteigen.

Das veraltete Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren, so Essig weiter, werde im Rahmen der Modernisierung auch gar nicht verändert. Damit schütze der Energiecharta-Vertrag bestehende Investitionen in Kohle, Gas und Öl noch bis weit in die 2030er Jahre hinein. "Einige neue Gasinvestitionen in Pipelines und Kraftwerke könnten sogar bis 2040 geschützt sein."

Für das Umweltinstitut zeigen dabei der Krieg in der Ukraine und die eskalierende Klimakrise die gravierenden Folgen einer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Gerade in so einer Lage müssten Regierungen die Handlungsfreiheit haben, eine zügige und sozial gerechte Energiewende durchzusetzen. Genau dies behindere der Vertrag, betonte Essig.

Nach Ansicht von Fabian Flues, Handelsexperte bei der Nichtregierungsorganisation Powershift, steckt die Energiecharta-Reform in der Sackgasse. Die EU habe ihre wichtigsten Verhandlungsziele nicht durchsetzen können. Auch nach einer Reform werde der Vertrag ein Klimakiller bleiben.

Als einzigen Ausweg sieht auch Flues, aus dem Vertrag auszusteigen. "Dabei muss Deutschland jetzt vorangehen und möglichst viele weitere Staaten für einen gemeinsamen Austritt gewinnen."

Für Lilian Löwenbrück vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin war ebenfalls abzusehen, dass die Reformgespräche nicht zu grundlegenden Veränderungen führen würden. "Umso wichtiger ist es jetzt, dass möglichst viele Mitgliedsstaaten einen rechtssicheren Ausstieg aus dem ECT in die Wege leiten", sagte Löwenbrück.

Auch sie sieht die Bundesregierung besonders in der Pflicht: "Deutschland sollte sich für einen gemeinsamen Ausstieg der EU-Mitgliedsstaaten in besonderem Maße einsetzen." Schließlich seien es zwei deutsche Energiekonzerne, die die Niederlande für ihr 2019 beschlossenes Gesetz zum Kohleausstieg auf Schadenersatz in Milliardenhöhe verklagen.

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