Mátra Kraftwerk in Ungarn
Das Kraftwerk Mátra ist Ungarns letztes Braunkohlekraftwerk – es ist für etwa die Hälfte der CO2-Emissionen im Energiesektor verantwortlich. (Foto: Fűzős Dosszié/​Wikimedia Commons)

Gute Nachrichten für die Energiewende in Europa kommen in diesen Wochen aus einer Region, für die man das normalerweise nicht erwartet: Osteuropa. Viele Jahre konnte man sicher sein, dass die Staaten, die sich zur sogenannten Visegrád-Gruppe zusammengetan haben, bei Klimaregulierungen aller Art aus Brüssel auf die Bremse treten und selbst beinhart an der Verfeuerung von fossilen Energien festhalten, dass es schon an ein Dogma grenzt.

Doch kurz vor dem Klimagipfel COP 24 im polnischen Katowice gibt es einige Bewegung in Osteuropa – die Energiewende, sie scheint nun auch in dieser Region anzukommen.

Ungarn will letztes Kohlekraftwerk schließen

In den vergangenen Jahren hat Ungarn die meisten seiner Kohlekraftwerke geschlossen – vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Nun gibt es eine Debatte, auch das letzte verbliebene Braunkohlekraftwerk in den Ruhestand zu schicken. Das Kraftwerk Mátra ist für fast die Hälfte des CO2-Ausstoßes im Energiesektor verantwortlich.

"Bei den raketenhaft ansteigenden CO2-Preisen im Emissionshandel ist die Braunkohleverstromung in Europa auf lange Sicht nicht mehr wirtschaftlich, wenn es kein Förderprogramm gibt", sagte Vizeaußenministerin Barbara Botos kürzlich dem Fachportal Climate Home. Botos zufolge favorisiert die Regierung 2030 als Ausstiegsjahr.

Slowakei kürzt fossile Subventionen

Mitte November kündigte der slowakische Wirtschaftsminister Peter Žiga an, dass sein Land die Subventionen für den Kohlebergbau früher als geplant auslaufen lässt, wie die Agentur Reuters berichtete.

Damit würden ab 2023 jährlich 100 Millionen Euro für den Kohlesektor wegfallen – im Fall der Slowakei ist das eine einzige Kohlefirma.

Polen plant den Abschied von der Kohle

Und selbst in Polen, das noch 78 Prozent seines Strombedarfs mit Kohle deckt, scheint inzwischen möglich, was lange undenkbar schien.

Noch Anfang November erklärte der polnische Botschafter in Deutschland, Andrzej Przyłębski, auf einer Veranstaltung des Klima-Konsortiums in Berlin, sein Land wolle bis 2050 den Anteil des Kohlestroms auf 50 Prozent drosseln. Solch ein Ziel stünde im krassen Widerspruch zum Pariser Klimaabkommen, aber auch zur langfristigen Klimastrategie der Europäischen Union.

Diese Woche legte nun das polnische Energieministerium seine lange erwartete neue Energiestrategie vor. Demnach soll der Kohleanteil an der Stromproduktion schon 2030 auf 50 Prozent gedrosselt werden, 2040 auf 22 Prozent.

Die Braunkohle soll ab 2030 vor allem mit Atomenergie ersetzt werden, eine Strategie, an der Beobachter zweifeln, sind neue Atomkraftwerke doch heute meist unrentabel. Die erneuerbaren Energien sollen moderat anwachsen – auf 28 Prozent 2030 und 33 Prozent 2040. Vor allem auf Solarenergie und Offshore-Windanlagen setzt die Regierung – Windenergie an Land will sie hingegen zurückfahren.

Die Diskussion über die Zeit nach der Kohle wird auch durch den Smog in den Städten befördert, vor allem aber durch die zunehmende Unrentabilität der Kohle durch den kräftig gestiegenen CO2-Preis. Die Erlaubnis, eine Tonne CO2 auszustoßen, kostet derzeit etwa 20 Euro – das ist ungefähr eine Verdreifachung in einem Jahr. "Das spielt gerade für ältere Kohlekraftwerke eine Rolle", sagt Andreas Graf von der Denkfabrik Agora Energiewende gegenüber Klimareporter°.

Ein Betreiber, der aufgrund der Emissionsstandards seine Kohlekraftwerke modernisieren muss, die aber schon kaum rentabel fahren und zudem mit steigenden CO2-Preisen belegt werden, wird sich zweimal überlegen, sie weiterzubetreiben – geschweige denn neue Kraftwerke oder Tagebaue zu errichten. Graf bezeichnet die steigenden Preise im EU-Emissionshandel denn auch als "Weckruf" für Betreiber in Osteuropa.

Polen ist Gastgeber des diesjährigen UN-Klimagipfels, seine Rolle in den Klimaverhandlungen wird von Beobachtern mit Spannung erwartet. Zumindest einen Kohlegipfel, der noch 2013 parallel zur UN-Klimakonferenz in Warschau abgehalten wurde, soll es diesmal nicht geben.

Tschechien: Leiser Abschied von der Kohle

Auch die Tschechische Republik stellt sich schon länger auf die Zeit nach der Kohle ein. Seit Jahren existiert ein Strukturwandelplan. Der beinhaltet zwar kein Datum für einen Kohleausstieg und konzentriert sich "lediglich" auf die wirtschaftliche Situation der Regionen. "Aber das ist die Grundlage für einen Kohleausstieg", sagt Graf.

Zudem kommt die Erweiterung der Kohletagebaue in Tschechien ohnehin an ihre Grenzen, schließlich hat ein Gesetz aus den 1990er Jahren Grenzen für den Kohleabbau festgelegt, um Dörfer zu schützen.

Erneuerbare mit schlechtem Ruf

Warum aber hat Osteuropa so lange gebraucht, um sich der Energiewende zu öffnen?

Lange genossen Wind- und Sonnenenergie in osteuropäischen Ländern keinen guten Ruf, da die Bevölkerung selbst wenig von ihnen profitierte. "Große Energieversorgungsunternehmen haben versucht, sie zu monopolisieren", sagt Graf. Das erklärt, warum die Solarenergie in Tschechien (mit hohen staatlichen Förderbeträgen) und die Windenergie in Polen vergleichsweise unpopulär sind.

Auch glaubt Graf, dass Osteuropa schon seit Längerem den Wandel plant, sich aber gegenüber Brüssel nach wie vor skeptisch gibt, um etwa weiter von Subventionen zu profitieren und die heimische Wirtschaft nicht zu überfordern.

Eine einheitliche Linie der Visegrád-Staaten in der EU-Energiepolitik habe es noch nie gegeben (Tschechien etwa ist gegen Kapazitätsmärkte, Polen dafür), und das gelte noch viel weniger heute, da manche Länder aus der Region einen baldigen Kohleausstieg anstreben.

Eines dürfe man sich trotz aller Bewegung aber nicht vormachen, sagt Graf: "Was es bis heute gibt, ist eine geschlossene Front gegenüber Ehrgeiz aus Brüssel."

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